Globale Aktienindizes haben vieles vorweggenommen, was sich erst noch bewahrheiten muss

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In den kommenden Wochen bleiben die politischen Akzente für die Wirtschaft spannend, China bietet Aufwärtspotenzial, die USA scheint bereits am Maximum zu sein, Europa noch zu schlafen, so das Urteil von Thomas Böckelmann, leitender Portfoliomanager der Vermögensmanagement Euroswitch, in seinem monatlichen Marktbericht. „Die US-Aktienmärkte und damit auch die globalen Aktienindizes haben – auch technisch getrieben – vieles vorweggenommen, was sich erst noch bewahrheiten muss. Damit rücken erneut Aussagen der Notenbanken zu Wachstum und Inflation und die kommende Berichtssaison der Unternehmen in den Vordergrund“, so der Investmentexperte.

Gemessen an den Rezessionsgefahren
und historisch hohen Zinsanhebungen im Kampf gegen die Inflation, gemessen an geopolitischen Unsicherheiten und politischen Fehlentscheidungen sei mindestens die Aktienrallye in diesem Jahr erklärungsbedürftig – vor allem hinsichtlich der großen, von US-Technologieunternehmen geprägten globalen Indizes wie den MSCI World. „Die Sache wird nachvollziehbarer, wenn man technische Faktoren gegenüber fundamentalen Erwägungen übergewichtet. Anleger suchen angesichts historischer Ereignisse wie Pandemie, Lieferkettenbrüchen, Kriegen, Inflation und historischen Zinsanstiegen vorzugsweise nach vergleichbaren Mustern in der Vergangenheit. Da sich eigentlich keine passenden finden lassen, werden Narrative bemüht, um die komplexe Welt zu vereinfachen“, erklärt Böckelmann.

Hier ließen sich vor allem zwei identifizieren: Da sei einerseits die Hoffnung auf Zinssenkungen, die sogenannten Long-Duration-Aktien, in erster Linie Wachstumstitel nach oben treibe – auch solche mit erst künftig erhoffter Profitabilität. Da sei andererseits der Hype um Künstliche Intelligenz, der vergleichbar der Technologieblase um das Jahr 2000 zahlreiche Gelder magisch anziehe und damit die Kurse steigen lasse. Zum einen werde die positive Aktienmarktbewegung auf Indexebene durch Markttechnik und Veränderungen im Anlegerverhalten befeuert, zum anderen habe dies jedoch zu einigen Bewertungsanomalien geführt. Der Fondsmanager dazu: „Korrelationen sind für viele Marktteilnehmer aktuell wichtiger als tatsächliche Kausalität – die Argumentationsketten sind oft fundamental sehr dünn und vor allem technisch. Der berühmte Satz der Investorenlegende Warren Buffet ‚der dümmste Grund, eine Aktie zu kaufen, ist, weil sie steigt‘ wird offenkundig ignoriert.“

Mittlerweile haben vor allem US-Technologieaktien Bewertungen erreicht (Nasdaq KGV 150 gegenüber DAX KGV 15), die nur zu rechtfertigen seien, sollte sich eine perfekte Welt aus niedriger Inflation, niedrigen Zinsen und vor allem ohne politische Handelsbeschränkungen einstellen. „Gleichzeitig zeichnet sich eine zunehmende Politisierung bei den Aktienbewertungen ab – so ist die Bewertungsspanne vergleichbarer global tätiger Unternehmen je nach ihrem Sitz in der Region Amerika, Asien oder Europa extrem“, sagt Böckelmann.

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Vor allem die US-amerikanische Administration scheine wieder vieles richtig zu machen: Die Inflation geht zurück, Konsumenten- und Investorenvertrauen bleiben hoch, eine schwere Rezession kann vielleicht sogar vermieden werden. Der Experte erläutert: „Aktienanleger verlieren ihre Angst vor steigenden Zinsen, da diese jetzt wieder symptomatisch für gesunde Wachstumsperspektiven verstanden werden. Abgerundet wird das positive Bild durch historische Wirtschaftsförderungsprogramme, die die berechtigte Sorge um die Überschuldung der USA vorerst vergessen lassen.“

Dagegen präsentiere sich Europa als Kontinent der Tränen. „Die EU betrachtet ihre internationale Politik des moralisch erhobenen Zeigefingers als gescheitert und verpflichtet jetzt die gesamte europäische Wirtschaft über ihr Lieferkettengesetz zu Hilfspolizisten. Statt Wirtschaftsförderung gibt es Wettbewerbsnachteile, Rechtsunsicherheiten und erneut mehr Bürokratie. Die Warnungen von IWF und OPEC werden ignoriert“, so Böckelmann. Seit Übernahme der Ampelregierung sind 132 Mrd. USD Direktinvestitionen aus Deutschland abgeflossen. „Ein trauriger Rekord. Wenn EU-weit nicht gegengesteuert wird, droht der Weggang von Branchen, Arbeitsplätzen und steuerzahlenden Unternehmenssitzen aus der EU“, befürchtet der Fondsmanager.

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Ein Blick nach Asien: Die bedeutendsten Kräfte seien vor allem China und Indien, wobei vor allem die Demokratie Indien in vielen Köpfen als der zukünftig interessantere Standort gelte. Dabei sei China aus Bewertungssicht relativ attraktiv, die chinesische Administration sendet Signale einer geplanten Wirtschaftsförderung. Nachdem man der westlichen Zinspolitik nach 2008 sehr kritisch gegenüberstand und nach jüngsten Problemen im eigenen Immobiliensektor, stelle sich jetzt die Frage, welche politischen Impulse in welchen Sektoren gesetzt werden. „Fakt ist, dass zuletzt Unternehmen wie Tencent oder Alibaba durch Regulierung gelitten haben und noch leiden“, so Böckelmann.

Laut Euroswitch-Experte liegt nach Inflation und Zinspolitik der Schlüssel für die weitere Entwicklung vor allem in der Weltkonjunktur: „Da trotz jüngster Euphorie vor allem um das Thema Künstliche Intelligenz die Gefahr einer Stagflation nicht ausgeblendet werden darf, sehen wir uns eher bei Warren Buffet und halten in den meisten Aktienstrategien am Fokus auf Qualität fest.“ Bei Anleihen hat Böckelmann sein Zinsengagement weiter ausgebaut, mehrheitlich in kurzen Laufzeiten. Hier sieht er Vorteile – insbesondere bei unverändert gegebener Tendenz zu strukturell höherer Inflation. „Nach historisch hohen Vorjahresverlusten hat sich die Lage an den Rentenmärkten stabilisiert – durchschnittlich 2% im Plus seit Jahresbeginn kompensieren zwar nicht für die Inflation, aber insbesondere die kurzfristigen Zinsen von 3,5% im EUR und 5,25% im USD sind eine Alternative zu risikobehafteten Anlageklassen“, fasst er zusammen.

Thomas Böckelmann, Euroswitch

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