Zerfaserung der Regulatorik für kleine Emissionen

Foto: © Talaj – stock.adobe.com

Law Corner von Dr. Thorsten Kuthe, Partner, Heuking Kühn Lüer Wojtek

Die Ampel-Koalition will nach dem Koalitionsvertrag den Zugang zum Kapitalmarkt für kleine und mittelgroße Unternehmen erleichtern und hierzu auch die Zulassungsvoraussetzungen vereinfachen.

Während diese Zeilen geschrieben werden, gibt es eine Ankündigung, dass bis zum Erscheinen dieses Beitrags hierfür erste Eckpunkte vorliegen sollen. Doch dies sind wohl primär Vorschläge der FDP. Das wird dann durch die Ampel-Koalition müssen, und am Ende des Tages gibt es auch noch die EU. Momentan entsteht ein regulatorischer Flickenteppich, der ab November durch neues EU-Recht noch unübersichtlicher wird.

Ein „schönes“ Beispiel zu diesem Flickenteppich ist der Vertrieb von Wertpapieren (Aktien oder Anleihen) bei kleinen Emissionen durch ein öffentliches Angebot. Werfen wir einen Blick auf die Regulierungslage:

– Eine Emission einer Anleihe von bis zu 1,0 Mio. EUR ist prospektfrei möglich, erfordert aber die Veröffentlichung eines Wertpapierinformationsblattes, das von der BaFin gestattet werden muss.

– Bei Emissionsvolumen über 1,0 Mio. bis 8,0 Mio. EUR kommt noch die Verpflichtung hinzu, Anlagegrenzen nach § 6 WpPG einzuhalten, d.h. Anleger dürfen nur über einen Wertpapierdienstleister zeichnen und dieser muss gewährleisten, dass im Regelfall nur 1.000 EUR, je nach Vermögensverhältnissen max. 25.000 EUR pro Privatanleger investiert werden.

– Bei Aktienemissionen gilt grundsätzlich das Gleiche. Wenn die Emission aber eine Bezugsrechtskapitalerhöhung eines Unternehmens im Regulierten Markt ist, entfallen Wertpapierinformationsblatt und Anlageschwellenprüfung. Geht es um den Freiverkehr, dann entfallt die Anlageschwellenprüfung, aber nicht das Wertpapierinformationsblatt. Hinsichtlich des Überbezugsrechts würfelt die BaFin – der eine Sachbearbeiter sagt nach ständiger Verwaltungspraxis erfordert das die Anlageschwellenprüfung, der andere lässt es so durchgehen.

– Wenn das Wertpapier keine Plain-Vanilla-Anleihe, sondern eine Wandelanleihe ist, dann wird aus dem Wertpapierinformationsblatt ein Basisinformationsblatt, das nicht mehr von der BaFin gestattet werden muss. Zu den Schwellenprüfungen gilt das, was vorstehend ausgeführt wurde (nicht bei Bezugsangebot, sonst Regulierter Markt: nein, Freiverkehr: ja), entsprechend.

– Die Emission über eine Crowd-Finanzierungsplattform bei Beträgen bis zu 5,0 Mio. EUR unterfällt ab dem 10. November 2002 dem Anwendungsbereich der EU-Schwarmfinanzierungsverordnung mit dem eingängigen Namen ECSP-VO. Die Plattform braucht der Emittent für die oben erwähnte Anlagenschwellenprüfung. Dann muss die Plattform aber eine Erlaubnis nach dieser Verordnung haben, wenn die Emission nicht über 5,0 Mio. EUR liegt. Dafür entfallt das WIB. Stattdessen gibt es keinen Kuss, sondern ein KISS.

Key Investment Information Sheet von 6 Seiten – ohne Prüfung durch die BaFin, sondern der Plattformbetreiber muss die Aufgabe der BaFin übernehmen. Und es ist dann eine europaweite Platzierung ohne weitere Prüfung nationaler Voraussetzungen. Wenn allerdings in einem EU-Staat der Schwellenwert für prospektfreie Emissionen nicht bei 8,0 Mio. EUR liegt, sondern unter 5,0 Mio. EUR, dann gilt für die Platzierung in diesem EU-Staat an Stelle der 5,0 Mio.-EUR-Grenze der geringere Schwellenwert. Ach, und bislang hört man nur von der BaFin, dass sie noch nicht soweit sei, solche Lizenzen zu vergeben.

Foto: © Sarah – stock.adobe.com

Dr. Thorsten Kuthe, Heuking

Alles klar? Vermutlich nicht. Einfache und nachvollziehbare Regeln zur Förderung von kleinen Emissionen sind das Gegenteil von diesem Zustand. Verbraucherschutz sieht ebenfalls anders aus. Für eine unkomplizierte normale Anleihe braucht man ein Wertpapierinformationsblatt, das durch die BaFin mehrere Wochen intensiv geprüft und dann gestattet wird. Für ein komplexes Produkt wie eine Wandelanleihe hingegen kann der Emittent selbst ein Basisinformationsblatt erstellen mit weniger Informationsgehalt und ohne Prüfung durch die BaFin.

Erklären kann das wohl niemand. Mit der ECSP-VO tritt ein neues Element dazu, das die Sache noch unübersichtlicher macht. Ob jemand in der Gesetzgebung mal diese Zusammenstellung gemacht oder in der Praxis damit gearbeitet hat? Lauter Fragen, auf die es leider keine befriedigenden Antworten gibt. Aktuell muss man sich diese Matrix vor Augen fuhren – einschließlich der Änderungen ab November.

Unsere neueste BondGuide Jahresausgabe ,Green & Sustainable Finance 2022‘ ist erschienen und kann ebenso wie unser BondGuide Nachschlagewerk ,Anleihen 2021‘ als kostenloses E-Magazin bequem heruntergeladen, gespeichert & durchgeblättert werden.

! Bitte nutzen Sie für Fragen und Meinungen Twitter – damit die gesamte Community davon profitiert. Verfolgen Sie alle Diskussionen & News zeitnaher auf Twitter@bondguide !