mwb Kapitalmarkt-Standpunkt: die Auferstehung der Fossilien

Der monatliche Kapitalmarkt-Standpunkt von Kai Jordan, Vorstand der mwb Wertpapierhandelsbank AG. Dieses Mal: Verbal und real werden derzeit Mauern errichtet – oder eingerissen.

Nun ist es rum, das Osterfest mit den Feierlichkeiten zur Auferstehung. Gleichzeitig entwickelt sich die Situation rund um den Angriffskrieg der russischen Föderation zu einer innereuropäischen und vor allem in Deutschland heftigen Diskussion rund um die Lieferung schwerer Waffen oder die Ausweitung der Boykottmaßnahmen bei den Energieträgern. Wir haben in unserem SonderstandpunktEr muss ihn haben“ dazu bereits Position bezogen und die kontroverse Diskussion mit stichhaltigen Argumenten auf beiden Seiten weiter verfolgt.

Wenngleich wir der Meinung sind, dass an der Entwicklung der Situation um die Ukraine auch Zauberlehrlinge aus dem Westen mitgemischt haben, so ist die jetzige Eskalation auf dem Schlachtfeld ein furchtbarer Rückfall in längst vergessene Zeiten und mancher der hofft, dass sich diese Situation – nach einem hoffentlich raschen Ende des Konflikts – wieder normalisieren sollte, wird sich noch die Augen reiben: Das wird nicht der Fall sein. Dieser Rückfall bringt die Wiederauferstehung einiger ebenfalls längst totgesagter Fossilien. So schlagzeilte die Welt Anfang April zu Putin „Als Kriegsherr ein Stalin, ökonomisch Ceausescu“.

Die Situation rund um die europäische und globale Sicherheit und Versorgungslage führt zu einer massiven Diskussion über Dinge, die aus unserer Sicht bereits versteinert waren oder auf dem Weg dahin. Der lange nicht für möglich gehaltene Rückfall Europas in einen Kriegszustand sorgt jetzt auch auf EU-Ebene für eine Rolle rückwärts bei der Beurteilung dessen, was als ESG-konform angesehen wird. So verdichten sich derzeit die Zeichen, dass in Brüssel nach Wegen gesucht wird, Waffenhersteller aus dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit wieder als investierbar einzuordnen. Öl und Gas stehen auf dem Prüfstand.

Putin war bereits vor dem Beginn des Krieges der aus seiner ökonomischen Perspektive nachvollziehbaren Auffassung, dass der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen nicht bis 2035 oder 2050, sondern nur bis 2070 möglich sei. Auch die Europäer erkennen nun faktisch, wie stark sie in ihrer Gesamtheit von diesen Lieferungen abhängig sind. Egal ob Fracking oder Katar – es gibt keine Idee, die ökologisch und gleichzeitig den Energiehunger der Industrie gleichzeitig befriedigen kann.

Viele Staaten insbesondere aus Osteuropa halten nun Ausschau nach fossilem Ersatz, der oft sogar noch klimaschädlicher ist als russisches Öl und Gas. Kohle und Flüssiggas sind 2021 zu Recht geächtet worden. Nun wird über eine Kohleverstromung in Deutschland diskutiert.

In Teilen Europas schielen Regierungen wieder auf Gas- und Ölfelder, deren Erschließung dem Klima zuliebe bis vor Kurzem noch tabu war. Auch in den USA werden Bidens Bemühungen zum Klimaschutz immer mehr ausgebremst.

Die Agrarlobby versucht mit Hinblick auf die Lebensmittelversorgung die Uhr zurückzudrehen. Die EU-Kommission hat ein Aktionsprogramm vorgestellt, in dem auf Flächen, die eigentlich aus Naturschutzgründen brach gelassen werden sollen, kurzfristig wieder angebaut werden darf. Klimafreundlichkeit oder Nachhaltigkeit sind vorübergehend zweitrangig – dabei ist die Landwirtschaft für bis zu einem Drittel der globalen klimaschädlichen Emissionen verantwortlich. „Die Gefahr sei groß, dass aus der kurzfristigen, kriegsbedingten Suche nach fossilen Ersatzquellen wieder eine langfristige Abhängigkeit entsteht“, warnte Uno-Generalsekretär Guterres vor kurzem: „Das ist Wahnsinn.“

Doch wegen der Inflation schauen die Verbraucher mehr aufs Geld – und weniger auf Klimaschutz und Tierwohl. Dabei muss langfristig klar sein: „Wenn wir fossile Energien von Autokraten importieren, bringen wir unsere Sicherheit in Gefahr und heizen die Klimakrise weiter an.“

Und diese Klimakrise pausiert nicht, nur weil die Menschen einmal mehr Krieg führen. In der Arktis auf der Nordhalbkugel geht das Eis durch die Erderwärmung drastisch zurück. Nun beobachten Forscher dies auch für den Südpol. „Die Erderwärmung hat auf allen Kontinenten größeren Schaden angerichtet als bislang angenommen“, warnte der Weltklimarat in einem neuen Bericht zu den Folgen der Klimakrise. Polar-, Berg- und Küstenregionen überall stünden vor dem Kollaps, mit kaum noch beherrschbaren Auswirkungen auf den Menschen. „Fast die Hälfte der Menschheit lebt – jetzt – in der Gefahrenzone“, sagte Uno-Generalsekretär António Guterres. „Viele Ökosysteme sind – jetzt – an einem Punkt angekommen, von dem es kein Zurück mehr gibt.“ Dann fügte er hinzu: „Aufschub bedeutet Tod.“

Dabei zeigt sich mit jedem Tag deutlicher, dass sich Putins Krieg unmittelbar und potenziell verheerend auf die von Guterres beschriebene Lage auswirkt. Die in Deutschland bereits versteinerte Diskussion zur Atomenergie wird neu aufgemacht und in Ländern wie Frankreich beispielsweise auch beantwortet. Und Tesla Boss Elon Musk sagte jüngst in einem Interview: „Absoluter Wahnsinn von Deutschland, jetzt die Kernkraftwerke abzuschalten.“ Eine ausweglose Situation? Mitnichten, wenn es den Regierungen gelingt, hier gegen alle Widerstände insbesondere aus dem Bereich rechtspopulistischer Parteien einen klaren Kurs beizbehalten.

Es sei „eine riesige Chance“, die Energieversorgung Europas noch schneller noch grüner zu gestalten, sagte Frans Timmermans, der Green-Deal-Beauftragte der EU-Kommission. Ob dabei das Thema Atomenergie eine sinnvolle Lösung darstellen kann, können wir hier in der Kürze nicht beurteilen. Wir hören aber auch hier von Entwicklungen und Effizienzsteigerungen auch bei der Frage der Endlagerung.

Allerdings müssen die EU und die Regierungen die nunmehr ggfs. veränderten Rahmenbedingungen zügig abstecken, damit Sicherheit für die gigantischen Investitionsherausforderungen der Dekarbonisierung und den Umbau der Wirtschaft gegeben ist. Dann werden auch die Kapitalmärkte weiterhin substanziellen Beitrag leisten können zur Finanzierung dieser Herkulesaufgabe. Auch – und gerade im wichtigen KMU-Segment, dem Rückgrat der deutschen Wirtschaft.

Wir gehen davon aus, dass die westlichen Regierungen zumindest mittelfristig die richtigen Entscheidungen treffen werden. Die Märkte spiegeln dies trotz des Zinsanstieges auch wider. Damit stehen sie Emittenten mit zukunftsorientierten Geschäftsmodellen auch weiterhin offen – trotz der halben „Rolle rückwärts“ die wir vorstehend beschreiben.

Gelingt dies allerdings nicht, dann profitieren nur die Deichbauer. So ging der Aktienkurs des holländischen (das Land liegt teilweise 6 Meter unter dem Meeresspiegel) Spezialisten Boskalis Westminster vor kurzem wegen eines Kaufangebotes des Großaktionärs durch die Decke. Boskalis ist ein international operierendes Unternehmen und ist – nach eigenen Angaben – Weltmarktführer im Bereich von Baggerarbeiten, Landgewinnung, Küstenschutz und damit verbundenen Services.

Als Kernkompetenzen sieht das Unternehmen vor allem die Konstruktion und den Betrieb von Häfen und Wasserwegen, die Landgewinnung, Küstenbefestigung sowie den Flussuferschutz. Und das Unternehmen erhielt einen weiteren Auftrag zur Küstenbefestigung der Küsten in Togo und Benin. Eine Empfehlung zu dieser Aktie geben wir ausdrücklich nicht ab. Aber wie wusste schon der Schimmelreiter:wer nicht will deichen, der muss weichen“. Und endet am Ende womöglich auch als Fossil.

Kai Jordan, mwb

Kai Jordan, mwb

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Die mwb fairtrade Wertpapierhandelsbank AG ist ein von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zugelassener Wertpapierdienstleister mit Niederlassungen in Gräfelfing bei München, Hamburg, Hannover, Frankfurt und Berlin. Das Unternehmen wurde 1993 gegründet. 1999 erfolgte der Börsengang. Heute ist die mwb-Aktie (DE000 665610 1) an der Börse München im Segment m:access notiert wie auch im Freiverkehr an den Börsen Berlin, Düsseldorf, Frankfurt (Basic Board), Hamburg und Stuttgart.

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