Gewinner der Energiekrise: Was macht Norwegen mit den Gas-Milliarden?

Es gibt viele Verlierer, aber auch Gewinner der Energiekrise – einer davon ist Norwegen. Überhaupt muss an vielen Stellen differenziert werden. Von Vladislav Krivenkov, NordIX

In der gegenwärtigen Energiekrise überschlagen sich die Ereignisse. Betroffen sind alle Gesellschaftsschichten und die unterschiedlichsten Wirtschaftszweige. Beispielsweise geben Seniorenheime die massiven Energiekostensteigerungen an die Angehörigen der Bewohner weiter. Die über 500 Beschäftigen des Hamburger Stahlwerks wurden aufgrund der horrenden Energiekosten und einer nicht mehr profitablen Produktion in Kurzarbeit geschickt und durch die kürzlich verabschiedete Energieeinsparverordnung wird es in öffentlichen Gebäuden künftig etwas frischer.

Aktienmarkt im Bärenmodus – Industriewerte gehören zu den Verlierern

Der DAX hat seit Jahresstart um 20% korrigiert und befindet sich damit definitionsgemäß in einem Bärenmarkt. Damit folgt er auf den MDAX, der seit Jahresstart schon über 30% an Wert verloren hat. Wenig überraschend ist, dass die Korrektur auch von klassischen Industrie-Titeln wie Covestro (minus 40%), BASF (minus 28%) oder Lanxess (minus 38%) angeführt wird. Diese geraten durch die Rezessionssorgen auf der Ertragsseite und durch die Energiekosten auf Kostenseite in Bedrängnis.

Preis für Elektrizität hat sich mehr als verzehnfacht; Quelle: nordIX AG, Bloomberg

Energie-Versorger als Gewinner?

Der Blick auf die aktuell gehandelten Großhandelspreise für Elektrizität fördert zwei Erkenntnisse zu Tage.

Zum einen ist der rasante Preisanstieg unübersehbar, wie er in jüngster Zeit nur in Hausse-Phasen bei Kryptowährungen zu beobachten war. Zum anderen kommt die Vermutung auf, dass Energieversorger, wie z.B. RWE, jetzt aktuell das ganz große Geschäft machen müssten.

Der Blick auf den Versorger-Subindex des breiten STOXX Europe 600 überrascht jedoch.

Europäische Versorger-Aktien auf Talfahrt; Quelle: nordIX AG, Bloomberg

Mit einem Verlust von rund 10% seit Jahresstart liegt dieser nur unweit des Hauptindizes, der eine Preiskorrektur von 13,5% hinnehmen musste. Und mit Blick auf die vergangenen zwei Jahre liegt der Versorger-Index mit einer Performance von 8,6% rund 10 Prozentpunkte hinter der Wertentwicklung des Gesamtindizes. Zurückzuführen ist dies auf die unscharfe Definition des „Versorger“-Begriffs. In diesem Begriff werden u.a. Energieerzeuger (Kohle, Kernkraft, EE, Gas, etc.), Energie-Distributeure (z.B. Uniper), und Netzbetreiber (z.B. EuroGrid) zusammengefasst, die jeweils unterschiedlich von den aktuellen Verwerfungen an den Energiemärkten betroffen sind.

Gewinner ist nicht der Erzeuger von Energie, sondern der Lieferant des Energieträgers

Die diskutierte Übergewinnsteuer oder die jetzt ins Spiel gebrachte „Zufallsgewinnsteuer“ soll Unternehmen betreffen, die von den hohen Stromkosten profitieren, aber selbst Einkaufskosten-seitig nicht von den Verwerfungen am Energiemarkt tangiert werden. Angeführt werden beispielsweise Kohlestrom-Erzeuger. Der Blick auf die Entwicklung des Kohlepreises, welches ein Substitutionsgut von Gas ist, zeigt jedoch eine Preissteigerung um den Faktor 7,6 bei den Rotterdam Coal Futures und eine Verzehnfachung bei seinem australischen Pendant. Somit sollten die Übergewinne bei Kohlestrom-Erzeugern geringer als anfangs vermutet ausfallen.

Kohlepreis in der Spitze verzehnfacht; Quelle: nordIX AG, Bloomberg

Auch die Atomstrom-Erzeuger wie der französische Atomstrom-Konzern EDF haben aktuell keinen leichten Stand. Die niedrigen Wasserstände und die höheren Wassertemperaturen sorgten für Probleme bei der Kühlung und hatten eine geringe Auslastung der französischen Meiler zur Folge. Die Kombination mit der französischen Strompreisbremse verschlechterte die Wirtschaftlichkeit von EDF in einem Maße, dass die französische Regierung angekündigt hat, den Konzern, der mehr als dreimal so groß ist wie die RWE AG, wieder vollständig zu verstaatlichen.

Mit staatlichen Hilfen wird auch der deutsche Gas-Distributeur Uniper am Leben gehalten. Rund die Hälfte des eingekauften Gases stammte bisher aus Russland. Dafür muss jetzt Ersatz gefunden werden. Und das zum 26fachen des vorher kalkulierten Preises.

In dieser Gemengelage gibt es eigentlich nur Verlierer. Einzig die Lieferanten von Energieträgern wie Kohle und vor allem Gas können ihr Glück kaum fassen. Für sie hat sich kostenseitig nichts geändert. Die Einnahmen sprudeln jedoch wie noch nie zuvor. Zu den Gewinnern zählt beispielsweise der norwegische Staat und sein Gasförderer „Equinor“. Dieser machte in den ersten sechs Monaten 2022 mehr Umsatz als im gesamten Jahr 2019. Der norwegische Staat verdient an Equinor kräftig mit. Die effektive Besteuerung von Equinors Gewinnen liegt bei rund 70 Prozent. In den letzten zwölf Monaten konnte Norwegen sich insgesamt über Zuflüsse von 38,9 Mrd. Euro an Steuereinnahmen aus Equinors Geschäftsaktivitäten freuen. Ein echter Übergewinn gegenüber den 6,6 Mrd. Euro Steuereinnahmen im Jahr 2019. Eine traumhafte Dividende gibt es für den norwegischen Staat als größten Aktionär noch obendrauf.

Umverteilung in den Norden – Der große Gewinner: Norwegen

Die Frage, wie Norwegen die Milliarden an zusätzlichen Steuereinnahmen einsetzen möchte, ist eher rhetorischer Natur. Fest steht, dass die aktuelle Situation dem Nicht-EU-Mitglied Norwegen zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen wird. Der Anteil an norwegischen Gaslieferungen in die EU liegt aktuell bei rund einem Drittel. Die „Faxdiplomatie“, d.h. wie die EU dem EWR-Mitglied Norwegen die Gesetze des EU-Binnenmarkts diktiert, könnte in Zukunft neu definiert werden. Fest steht auch, dass Norwegen massiv wirtschaftlich von den Verwerfungen an den Energiemärkten profitiert.

Gaspreise: kräftiger Schub für Norwegens Wohlstand; Quelle: nordIX AG, Bloomberg

Während in der EU aktuell diskutiert wird, wie stark die Rezession ausfallen wird, kann sich Norwegen über ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in 2022 in zweistelliger Höhe freuen. Bei der Berechnung des Bruttoinlandsprodukts, das den Rohstoffhandel des Landes einschließt, wird das Wachstum bei rund 30 Prozent liegen.

Vladislav Krivenkov, NordIX

In dem Zusammenhang überrascht die aktuelle Bewertung der norwegischen Staatsanleihen. Die in Norwegischen Kronen denominierte und einheitlich mit AAA geratete Drei-Prozent-Kupon-Anleihe mit Fälligkeit am 14.03.24 bietet nach Währungsabsicherung eine Rendite 1,25% p.a. für die Restlaufzeit von 1,5 Jahren. Die deutsche Null-Prozent-Kupon-Staatsanleihe mit Fälligkeit am 15.03.2024 bietet hingegen nur eine Rendite von rund 0,7%. Damit weist die norwegische Staatsanleihe eine Überrendite von 50 Basispunkten aus. Zu Verwerfungen kommt es aktuell wohl nicht nur an den Energiemärkten.

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