Endlich Inflation? Die langfristigen Folgen der Covid-19-Pandemie

Seit der globalen Finanzkrise liegt die Inflation mit einer durchschnittlichen Rate von 1,3% in der Eurozone und 1,6% in den USA hartnäckig unter der historischen Norm und den Zielwerten der Notenbanken – von Mark Richards und Matthew Morgan, Jupiter Asset Management*

Dabei haben antideflationäre Maßnahmen wie Negativzinsen und Anleihekäufe in diesem Zeitraum für außergewöhnlich lockere Finanzierungsbedingungen gesorgt. Durch die Anleiheankäufe weitete sich die Bilanz der US-amerikanischen Notenbank (Fed) in der Spitze bis auf 14,5 Bio. USD aus – trotzdem blieb die Inflation gedämpft.

Warum ist die Inflation so niedrig geblieben?

Verantwortlich für die niedrige Inflation ist eine Kombination struktureller Faktoren. Alternde Bevölkerungen sparen mehr und geben weniger aus. Globalisierung und Deindustrialisierung haben die kollektive Verhandlungsposition der immer weniger gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmerschaft geschwächt und die Weltwirtschaft mit einem reichlichen Angebot an günstigen Arbeitskräften versorgt. Durch technologische Fortschritte sind die Kosten gesunken. Wie Abbildung 1 verdeutlicht, sind dadurch die Unternehmensgewinne auf Kosten der Löhne gestiegen. Der Anteil der Löhne am US-BIP ist auf den niedrigsten Stand seit 1929 gesunken und hat für Abwärtsdruck auf die Inflation gesorgt.

Was ist dieses Mal anders?

Die Coronavirus-Krise hat zu einem weltweiten Nachfrage-Schock geführt. Notenbanken und Regierungen haben mit gigantischen geld- und fiskalpolitischen Stimuluspaketen reagiert. Da es sich hierbei aber um eine Gesundheitskrise handelt, wird es ohne eine medizinische Lösung auch keine vollständige wirtschaftliche Erholung geben. Bis diese gefunden ist, werden die Volkswirtschaften durch einen teilweisen Neustart der Wirtschaft nur stotternd in Gang kommen, bei weiterhin sehr vorsichtigen Investitionen und einem sehr schwachen Konsum.

Wenn die Wirtschaft erst einmal wieder komplett hochgefahren worden ist, werden die Stimulusmaßnahmen das globale Wachstum fördern und die Notenbanken vor die Herausforderung stellen, dem Markt wieder Liquidität zu entziehen. Daher erwarten jetzt viele in der Zukunft höhere Inflationsraten.

Aber warum sollte es diesmal anders sein? Die deflationär wirkenden strukturellen Faktoren haben weiterhin Bestand. Die demografische Alterung dauert an, die Staatsschulden werden nach dieser Krise noch höher sein als zuvor und der technologische Fortschritt schreitet weiter voran. Und auch nach der letzten Krise haben die enormen Stimulusmaßnahmen die Inflation nicht angeheizt.

Trotzdem halten wir eine Phase mit einer moderat höheren Inflation für wahrscheinlich. Allerdings nicht notwendigerweise sofort: Bis die Wirtschaft den durch die Pandemie verursachten Nachfrage-Schock verdaut hat, könnten Jahre vergehen. Tiefe Rezessionen sind immer deflationär. Das zeigt sich bereits am außergewöhnlichen Kollaps des Ölpreises.

Wir müssen aber auch die längerfristigen Perspektiven im Blick behalten, da es sowohl eine nachfrageinduzierte Inflation als auch eine Kostendruckinflation gibt. Für die Regierungen und Notenbanken wird es schwierig werden, die in der Krise umgesetzten Maßnahmen wieder zurückzunehmen. Die Haushaltsdefizite werden vermutlich strukturell höher sein und freigestellte Arbeitnehmer könnten die Arbeit schneller wieder aufnehmen als nach einem normalen Konjunkturabschwung, wodurch sich die Produktionslücke schneller schließen dürfte. Die Notenbanken dürften ein Überschießen ihrer Inflationsziele tolerieren – zum einen, um die vielen Jahre zu niedriger Teuerungsraten zu kompensieren, und zum anderen, um die Staatsverschuldung über eine steigende Inflation real zu reduzieren.

Außerdem dürften die Volkswirtschaften aufgrund der Art der Krise und der politischen Reaktionen zusätzliche Kosten zu schultern haben, wenn die Lieferketten neu konfiguriert und neue Abwägungen zwischen dem Einsatz von Kapital und Arbeitskräften getroffen werden.

Zudem könnten einige der deflationären strukturellen Faktoren an Bedeutung verlieren. Die Globalisierung zum Beispiel wurde durch die Handelskonflikte bereits untergraben. Jetzt hat die Pandemie einige der inhärenten Schwächen globalisierter Lieferketten offengelegt. Daher rechnen wir damit, dass sich die nationalen Regierungen für eine Rückverlagerung systemrelevanter Produktion in den Heimatmarkt einsetzen werden. Außerdem hat die Krise deutlich gemacht, wie abhängig die Gesellschaften von relativ schlecht bezahlten systemkritischen Berufsgruppen sind, nicht nur im Gesundheitswesen, sondern in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Sektors. Die öffentliche Unterstützung für eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen für diese Berufsgruppen könnte nachhaltig zunehmen. Das könnte dazu beitragen, den in der Abbildung erkennbaren Trend umzukehren, und ein höherer Lohnanteil am BIP könnte zu einer höheren Inflation führen.

Ausmaß und Tragweite des Nachfrage-Schocks durch den weltweiten wirtschaftlichen Shutdown infolge von Covid-19 sind nicht zu unterschätzen. An den Märkten werden kurz- bis mittelfristig weiterhin krisenbedingte Deflationssorgen vorherrschen. Die strukturellen deflationären Kräfte wirken zwar immer noch, werden aber schwächer, und wenn sich die Volkswirtschaften letztlich erholen, halten wir mittel- bis langfristig auch eine Rückkehr der Weltwirtschaft zu einer moderaten Inflation für wahrscheinlich.

Matthew Morgan

Matthew Morgan

Welche Anlagen könnten sich in einem von einer moderat höheren Inflation geprägten Umfeld gut schlagen?

Mark Richards

Mark Richards

Investoren sollten Anlagen wie Gold und inflationsgeschützte Anleihen im Blick behalten sowie Anlagen, die von einer Versteilung der Zinsstrukturkurve profitieren, und Bereiche der Aktienmärkte, in denen auch in einem inflationären Umfeld nachhaltige Margen erwirtschaftet werden können. Die deflationären Auswirkungen der Viruskrise werden uns allerdings vermutlich noch einige Zeit beschäftigen. Bei einigen dieser Investments dürfte daher auch der Einstiegszeitpunkt wichtig sein.

*) Mark Richards, Multi-Asset-Stratege; Matthew Morgan, Multi-Asset-Produktspezialist bei Jupiter Asset Management