
Vor dem Hintergrund eines herausfordernden Jahres haben die Makro- und Investmentexperten von Federated Hermes in einer kleinen Serie die Märkte betrachtet. Im letzten Teil: CEO Saker Nusseibeh, Dr. Hans Hirt und Leon Kamhi zu Stewardship & Verantwortung.
Saker Nusseibeh, CBE, CEO bei Federated Hermes:
In meiner einstigen Prognose für das Jahr 2020 hatte ich angenommen, dass die UN-Klimakonferenz COP 26 den „Initiativen, Verpflichtungen und Versprechen zum Klimawandel“ in der Geschäfts- und Finanzwelt sowie seitens anderer Stakeholder eine neue Dynamik verleihen würde.
Letztendlich fand die Konferenz nicht statt. Stattdessen litt die Welt unter einer heftigen Pandemie, die Millionen von Menschen schmerzhaft an unsere eigene Verwundbarkeit erinnerte. Sie offenbarte, wie verletzlich die Menschheit ist – und verdeutlichte für viele die enormen Risiken, denen unsere Welt ausgesetzt ist.
Andererseits klarte sich während des Lockdowns der Himmel über den Städten auf und viele Bewohner atmeten zum ersten Mal frische Luft. Weltweit wurde auf staatlicher Ebene über einen verbesserten Wiederaufbau („Build Back Better“) und neue umweltpolitische Zusicherungen diskutiert, während eine Vielzahl großer Marken und bedeutenden Umweltsündern Pläne für ihre CO2-Neutralität entwickelte.
Es kam zwar so, wie ich es erwartet hatte, allerdings nicht aus den Gründen, von denen ich – oder irgendjemand anders – ausgegangen war. Paradoxerweise fühle ich mich, nachdem wir dieses Jahr fast hinter uns gebracht haben, optimistischer als je zuvor. Ich stelle dies aus der Perspektive eines langfristigen Anlegers fest, der bereits seit Langem für verantwortungsvolle Investitionen als einzige Möglichkeit für eine nachhaltige Wertschöpfung eintritt.
2021 verspricht viel Positives
Im Jahr 2021 findet nicht nur die verschobene COP-26-Konferenz, sondern auch der UN-Gipfel zur biologischen Vielfalt (COP15) statt – ein wichtiges Zusammentreffen der Nationen zu dieser entscheidenden Thematik. Zudem wird im Weißen Haus ein Präsident regieren, der bereits den Wiedereintritt in das Klimaabkommen von Paris zugesichert hat.
Parallel zur stärkeren gesellschaftlichen Kontrolle im Anschluss an eine Pandemie, die das Bewusstsein vieler Menschen geschärft hat, werden diese Faktoren Impulse für ambitioniertere Pläne hinsichtlich der Dekarbonisierung von Volkswirtschaften liefern.
Ich bin zuversichtlich, dass wir nach der Aufhebung der COVID-Beschränkungen eine beschleunigte Wirtschaftstätigkeit erleben werden, die dem Anspruch Rechnung trägt, die Versprechen des Mottos „Build Back Better“ einzulösen. Angesichts der anhaltend niedrigen Zinsen bieten sich Chancen zur geschäftlichen Transformation. Wie mein Kollege Geir Lode hervorhebt: Innovative und disruptive Unternehmen erzielen unabhängig vom wirtschaftlichen Umfeld Wachstum.
Das Leben feiern – denn es ist das Einzige, was zählt
Nächstes Jahr wird es zudem zu einer stärkeren Kooperation von Aufsichtsbehörden und anderen Organen kommen. Alle haben das Ziel, die Datenqualität und -erhebung für ein breiteres Spektrum von ESG-Kennzahlen zu verbessern. Dies ist deshalb so entscheidend, weil wir bessere Berichtsstandards benötigen und das Phänomen des „Greenwashing“ weiter bekämpfen müssen.
2020 war ein Jahr voller außergewöhnlicher gesellschaftlicher Umwälzungen, deren Folgen noch bis weit in die Zukunft zu spüren sein werden. Wenn es allerdings etwas Positives aus dieser Zeit gibt, ist es sicherlich das neue Bewusstsein, das wir entwickelt haben und die Chancen, die dies mit sich bringt.
Insgesamt ist die Welt den Ereignissen dieses Jahres mit der Einstellung begegnet, dass das Leben zählt. Und das sollten wir feiern. Das Jahr 2021 wird ähnliche Anstrengungen von uns verlangen, allerdings im Hinblick auf ein deutlich breiteres Spektrum an Herausforderungen.
Dr. Hans Hirt, Head of EOS, dem Stewardship-Dienstleister bei Federated Hermes:
Die Pandemie hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesellschaft und wird Menschen und Unternehmen auch im kommenden Jahr weiter belasten. Sie hat die umfassende gegenseitige Abhängigkeit verschiedener Teile unserer Gesellschaft, darunter auch der Staat, hervorgehoben. Es wurde klar verdeutlicht, dass Unternehmen ihre Kernwerte und ihren Geschäftszweck überdenken müssen, um gut für eine nachhaltige Wertschöpfung aufgestellt zu sein. Dies wirkt sich auch auf unsere Stewardship-Aktivitäten aus und bedeutet, dass wir 2021 Themen rund um Stakeholder-Beziehungen, Risikomanagement und dem Geschäftszweck erneut Nachdruck verleihen werden.
Da Unternehmen direkt von umfangreichen staatlichen Ausgaben und Unterstützungsmaßnahmen profitieren konnten, wird das unternehmerische Verhalten insbesondere vor dem Hintergrund hoher Arbeitslosigkeit und öffentlicher Verschuldung auf dem Prüfstand stehen. Bei unserem aktiven Dialog mit Unternehmen werden wir sehr genau auf deren Umgang mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten achten – vor allem in Situationen, in denen schwierige Kompromisse erforderlich sind.
Krisenvorsorge verbessern
Die Pandemie hat außerdem gezeigt, warum Unternehmen ihre Krisenvorsorge und ihre Möglichkeiten zu einer schnellen und umfassenden Anpassung ihrer Betriebsabläufe verbessern müssen. Wir werden daher dem Risikomanagement besondere Aufmerksamkeit widmen, um die Widerstandsfähigkeit und Belastbarkeit von Unternehmen sicherzustellen.
Herausforderndes Umfeld für Unternehmen
Die 2020er werden für die Gesellschaft noch größere Herausforderungen mit sich bringen, etwa die Bewältigung der Klimakrise, den Umgang mit Arbeitsplatzverlusten durch technologische Disruption und den Kampf gegen Rassismus im Zuge des demografischen Wandels. Auch wenn sie mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen haben, dürfen Unternehmen diese Themen nicht aus den Augen verlieren.
Durch unseren Dialog mit Unternehmen im Rahmen der Initiative Climate Action 100+ und unser politisches Engagement werden wir die Beschleunigung des Übergangs zu einer emissionsarmen Wirtschaft weiter vorantreiben. Und schließlich: Wir werden angesichts der Ursachen der Pandemie unseren Fokus auf Biodiversität und eine nachhaltige Landnutzung verstärken, da uns bewusst ist, dass die Beeinträchtigung des Ökosystems ernsthafte Risiken für das Finanzsystem und die Weltwirtschaft darstellt.
Leon Kamhi, Head of Responsibility bei Federated Hermes:
Obwohl nach wie vor große Ungewissheit darüber herrscht, wie schnell und effektiv sich die Welt von dem menschlichen Leid und den wirtschaftlichen Schäden in Folge der Pandemie erholen wird, sollten wir davon ausgehen, dass 2021 ein Jahr werden wird, in dem wir unsere Wirtschaft umgestalten und Risse schließen, die sich in unserer Gesellschaft aufgetan haben.
Es gibt viele positive Schlussfolgerungen, die wir aus den staatlichen und unternehmerischen Maßnahmen als Reaktion auf die Krise sowie den unterschiedlich strikten Lockdowns, die weiterhin in verschiedenen Ländern und zu unterschiedlichen Zeitpunkten gelten, ziehen können. Aus der Pandemie gewonnene Erkenntnisse werden sich in Zukunft als unverzichtbar erweisen: Die Notwendigkeit, schnell radikale Maßnahmen ergreifen zu können, aufrichtige Sorge und Respekt in Bezug auf das Wohlergehen anderer Menschen und Kollegen sowie die Erkenntnis, dass langfristige Geschäftsbeziehungen wichtiger sind als kurzfristige Transaktionsvorteile.
2021 als Jahr der Progression
Sollten wir gemeinsam Erfolg damit haben, die Branche zu stärken und die Zahl der Insolvenzen und pandemiebedingten Entlassungen auf ein Minimum zu beschränken, kann 2021 ein Jahr werden, in dem progressive Unternehmen Pläne zur Bewältigung drängender sozialer, technologischer und klimabezogener Herausforderungen werden, die sich rasant entwickeln. Dazu gehört auch die Frage, wie ein gerechter Übergang zu einer emissionsneutralen Wirtschaft gestaltet und die Würde und das Wohlergehen des Menschen ins Zentrum jeder geschäftlichen Praxis gerückt werden kann.
Im Rahmen dieser Pläne sollten auch die Absicherung von Arbeitsplätzen und Weiterbildungsmaßnahmen im Hinblick auf den rapiden technologischen Wandel berücksichtigt werden. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass Technologien in einer Weise eingesetzt werden, die den Datenschutz gewährleistet und das psychische Wohlergehen der Nutzer schützt und diese nicht zum Opfer von Ausbeutung macht. Es wird eine deutliche Verschiebung in der Einstellung der Kunden geben, die stärker auf den Aufbau von Beziehungen als auf das Ausführen von Geschäften und Transaktionen ausgerichtet ist.
Verschiebung von Shareholdern zu Stakeholdern
Für das neue Jahr sollten wir uns außerdem darauf einstellen, dass Stakeholder stärker in den Mittelpunkt der Unternehmensführung rücken, die traditionell eher an den Shareholdern orientiert war. Zudem hege ich die Hoffnung, dass Unternehmen und Investmentgesellschaften sich von reinen Lippenbekenntnissen zu ESG-Kriterien und der Praxis des „Greenwashing“ abwenden und endlich positive Maßnahmen zur praktikablen und sinnvollen Bewältigung gesellschaftlicher Themen ergreifen. Ich bin fest davon überzeugt, dass diejenigen Unternehmen, die diesen Weg beschreiten, die künftigen Branchengewinner sein werden.
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