EZB: Der Zinshöchststand scheint erreicht – Zinssenkungen kommen früher als erwartet

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Den jüngsten Zinsentscheid der EZB kommentieren Jill Hirzel, Senior Investment Specialist, Insight Investment und Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa bei T. Rowe Price.

Klare Worte der EZB
von Jill Hirzel, Senior Investment Specialist, Insight Investment:

Die EZB erhöhte die Zinssätze um 25 Basispunkte, gab aber ihre bisher klarste Prognose ab, dass eine nennenswerte Trendumkehr der Daten erforderlich sei, um weitere Erhöhungen zu rechtfertigen. Auch wenn der Höchststand der Zinssätze nun erreicht sein könnte, gehen wir davon aus, dass die Politik noch für einen längeren Zeitraum restriktiv bleiben wird, um die Inflation ohne einen Wachstumsschock wieder auf das Zielniveau zu bringen. Die in den kommenden Monaten veröffentlichten Daten werden einen besseren Eindruck von den verzögerten Auswirkungen früherer Zinserhöhungen auf die Wirtschaft vermitteln.

Der nächste Zinsschritt wird wahrscheinlich eine Senkung sein, und zwar früher als erwartet. Der Euro wird weiter an Wert verlieren.
von Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa bei T. Rowe Price:

Die EZB hat die Leitzinsen um 0,25%-Punkte erhöht. Damit erreicht der Einlagensatz den höchsten Stand seit der Einführung des Euro. Allerdings betonte die EZB in ihrer Mitteilung, dass die Finanzierungsbedingungen nun die Nachfrage belasten. Zudem stellte die EZB fest, dass die Zinssätze ein Niveau erreicht hätten, das, wenn es lange genug beibehalten werde, einen wesentlichen Beitrag zur Rückkehr der Inflation zum Zielwert leisten werde.

Jill Hirzel, Insight Investment

Meiner Meinung nach hat die EZB signalisiert, dass die Zinsen für einige Zeit auf diesem Niveau bleiben werden und dass die Messlatte für eine künftige Zinserhöhung hoch liegt. Die Märkte stimmen dem zu. Sie rechnen mittlerweile mit einer vollständigen Zinssenkung bis zum 24. Juli, nachdem die Wahrscheinlichkeit zuletzt noch bei 30% lag. EZB-Präsidentin Christine Lagarde erklärte, dass es von den Daten abhängen werde, wie lange die Zinsen auf diesem Niveau bleiben werden. Der EZB-Rat hat diese Frage auf der jüngsten Sitzung nicht diskutiert, obwohl einige Mitglieder des EZB-Rates es vorgezogen hätten, den Zinssatz auf dieser Sitzung unverändert zu lassen.

Ich gehe davon aus, dass sich die Daten in den nächsten drei bis sechs Monaten weiter verschlechtern werden, und zwar schneller, als von der EZB erwartet wird. Die EZB unterschätzt möglicherweise die Auswirkungen der sehr starken geldpolitischen Straffung, die sie der Wirtschaft im vergangenen Jahr auferlegt hat. Wie EZB-Chefin Christine Lagarde betonte, ist der Arbeitsmarkt nach wie vor widerstandsfähig – aber ich glaube, dass die Wende am Arbeitsmarkt schneller kommen wird als erwartet. In Deutschland, Italien und Frankreich sind die Arbeitslosenquoten im Juli bereits gestiegen. Die Gesamtarbeitslosenquote blieb im Juli nur deshalb auf ihrem Rekordtief, weil die Arbeitslosigkeit in Spanien weiter zurückgeht. Da die Umfragen jedoch darauf hindeuten, dass der Dienstleistungssektor in Spanien zu schrumpfen beginnt, ist es unwahrscheinlich, dass die spanische Outperformance bei der Arbeitslosigkeit von Dauer sein wird. Die Frühindikatoren deuten darauf hin, dass sich die Lage am Arbeitsmarkt in den kommenden Monaten weiter verschlechtern wird.

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In der Vergangenheit hat die EZB die Zinsen in der Regel dann gesenkt, wenn sich die Lage am Arbeitsmarkt deutlich zu verschlechtern begann. Ich denke, dass wir dieses Stadium in den nächsten sechs Monaten oder so erreichen werden. Das bedeutet eine frühere Zinssenkung, als die Märkte derzeit erwarten. Ich glaube, dass die EZB den Leitzins im nächsten Jahr deutlich senken wird, sobald sich die Lage am Arbeitsmarkt ändert. Die Märkte werden weitere Zinssenkungen im Laufe des nächsten Jahres einpreisen müssen, wenn die Daten in den kommenden Monaten schwach ausfallen.

Tomasz Wieladek, T. Rowe Price

Der Euro ist jetzt datenabhängig und wird weiter fallen. Ich glaube, dass die Daten schwach bleiben oder sich weiter verschlechtern werden. Der Euro dürfte bis Jahresende auf 1,05 gegenüber dem Dollar fallen, da weitere Zinssenkungen eingepreist sind.

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