Drastischer Zinsschritt der EZB gerechtfertigt?

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Katharine Neiss, Chief European Economist bei PGIM Fixed Income, kommentiert die anstehende EZB-Sitzung am 8. September 2022:

Die Märkte gehen zunehmend davon aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) auf ihrer nächsten Sitzung den Leitzins um noch nie dagewesene 75 Basispunkte anheben wird. Anlass dafür sind die überraschend hohen Inflationsdaten und Energiepreise, die in Europa stark in die Höhe geschnellt sind.

Es ist aber fraglich, ob ein solch drastischer Schritt gerechtfertigt ist. Das Lohnwachstum ist im zweiten Quartal 2022 zurückgegangen und liegt nach wie vor unter dem Niveau, das mit einem Inflationsziel von 2% vereinbar ist. Darüber hinaus ist die kurzfristige Preissteigerung im Dienstleistungssektor, die einen besseren Indikator auf den inländischen Preisanstieg geben könnte, zurückgegangen und steht nun im Einklang mit dem EZB-Inflationsziel von 2%.

Die Gefahr einer länger anhaltenden höheren Inflation besteht jedoch darin, dass sie sich in der Wirtschaft festsetzt und die schwierige Anpassung an den Energieschock weiter erschwert. Die EZB wird sehr darauf bedacht sein, eine Verschärfung der ohnehin schon schwierigen Situation im Euroraum zu vermeiden.

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Die Geldpolitik ist nicht in der Lage, die Inflation auf 2% zu bringen, wenn die Energiepreise durch den Krieg in die Höhe getrieben werden. Zur Veranschaulichung: Wenn die Energie-Verbraucherpreise um 50% steigen, müssten alle anderen Preise um etwa 5% sinken, um die durchschnittliche Inflation bei 2% zu halten. In der Vergangenheit konnte eine so starke Preissenkung nur durch einen starken Rückgang der Wirtschaftstätigkeit und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit erreicht werden. Es ist nicht klar, ob auf diese Weise „Preisstabilität“ erreicht werden könnte. Für die Schocks, mit denen der Euroraum konfrontiert ist, scheint es keine einfachen Antworten zu geben.

Katharine Neiss, PGIM

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