Der künftige Ablauf der virtuellen Hauptversammlung

Dr. Thorsten Kuthe, Heuking

Law Corner von Dr. Thorsten Kuthe, Partner, Heuking Kühn Lüer Wojtek

Das Bundesjustizministerium hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, um die virtuelle Hauptversammlung dauerhaft im Aktiengesetz zu verankern. Aus Sicht der Gesellschaften wird das durchweg begrüßt, Investoren sind jedoch nicht über alle Vorschläge erfreut.

Wie soll eine virtuelle Hauptversammlung ablaufen? Der Gesetzgeber stellt es sich wie eine vorgezogene Generaldebatte vor. Gehen wir einmal den künftigen Ablauf durch.

Phase 1: vorgezogene Informationen an die Aktionäre
Die erste Phase ist die Information der Aktionäre. Wir warten wie bekannt mit der Einberufung, wieder mit der alten Frist von ca. sechs Wochen. Aber jetzt kommt der neue Part: Der Bericht des Vorstands oder dessen wesentlicher Inhalt sollen den Aktionären bis spätestens sechs Tage vor der virtuellen Hauptversammlung zugänglich zu machen sein.

Phase 2.1: Die Aktionäre … fragen
Dann sind – wie man das aus der HV kennt – die Aktionäre an der Reihe, die Generaldebatte ist eröffnet: Der Vorstand soll entscheiden können, Fragen der Aktionäre nur im Vorfeld der virtuellen Hauptversammlung zuzulassen. Damit entsteht ein im Vergleich zur Rechtslage vor dem COVMG ganz neuer Ablauf: Aktionäre stellen ihre Fragen vor der Versammlung und können dabei aber schon die vorab veröffentlichte Rede des Vorstands berücksichtigen. Die Zeit der Aktionäre für Fragen zwischen Vorstandsrede und Deadline für die Fragen scheint auf den ersten Blick sehr knapp mit zwei Tagen. Allerdings: in der Präsenz-HV galt bislang spontane Rede, spontane Fragen dazu. Also bekommen die Aktionäre zwei Tage zusätzliche Zeit.

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Phase 2.2: Die Aktionäre … schreiben
Des Weiteren können Aktionäre im Vorfeld der Hauptversammlung auch schriftliche Stellungnahmen an die Gesellschaft zur Veröffentlichung durch die Gesellschaft bis spätestens vier Tage vor der virtuellen Hauptversammlung an die Gesellschaft übermitteln. Eingereichte Stellungnahmen müssen von der Gesellschaft den Aktionären zugänglich gemacht werden, von börsennotierten Gesellschaften über die Internetseite. Also die vorgezogene Aktionärsrede.

Phase 2.3: Die Aktionäre … beantragen (ein wenig)
Aktionäre sollen wie schon nach derzeit geltender Rechtslage im Vorfeld der Versammlung Gegenanträge zu einzelnen TOPs stellen können. Neu: Diese Anträge müssen später während der Versammlung nicht wiederholt gestellt werden, sondern sind zu behandeln.

Phase 3: Veröffentlichung der Antworten (fehlt)
Man könnte meinen, jetzt ist wieder die Gesellschaft dran und muss die Antworten vor der Versammlung veröffentlichen, damit Aktionäre dann noch mal Nachfragen stellen können. Diese Phase ist allerdings (wie bislang) freiwillig. Warum? Befürchtet wird, dass streitbare Aktionäre Wort für Wort der Antworten sezieren und dies als Basis für Anfechtungsklagen nutzen. Will man das? Nein. Lässt sich das vermeiden? Wenn man mutig auf die verständige Auslegung durch die Gerichte vertraut, in vielen Fällen schon. Allerdings muss man auch ehrlich sagen, aus dem Backoffice der HV weicht man auch schon mal gerne der ein oder anderen Frage mit einer weichen Antwort aus.

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Die Gründe sind vielfältig, einer davon: Vertraulichkeit gegenüber Wettbewerbern. Anderseits: Manche Gesellschaften haben zuletzt die vorab gestellten Fragen auf der Website beantwortet. Zu vermuten ist, dass der Gesetzgeber zum Fragerecht noch mal Verbesserungen nachliefert, denkbar wäre z.B. Anfechtungsrechte nur zu erlauben, wenn der Aktionär während der HV noch einmal zu einer aus seiner Sicht vorab nicht vollständig beantworteten Frage nachfragt.

Phase 4.1 In der HV … Antworten
Jetzt sind wir in der HV und der Vorstand muss die Fragen beantworten, die vorab gestellt wurden. Kennen wir aus der Generaldebatte. Spannend ist, ob es dann weitergeht mit dem nächsten und nächsten und nächsten Schwung an Fragen.

Phase 4.2 In der HV … Nachfragen, Reden, Anträge
Jetzt kommt die Rede der Aktionäre. Oder besser gesagt durch einige wenige Aktionäre, die sich vorab angemeldet haben. Aber Fragen sind während der Rede nicht erlaubt. Zulässig sind nur Nachfragen zu vorab gestellten Fragen, die elektronisch eingereicht wurden. Das wirkt in der Tat etwas gekünstelt und wird von Investoren stark kritisiert. Neu ist: spontane Anträge im Wege der elektronischen Kommunikation sollen den Aktionären ermöglicht werden. Wie in der Präsenz-HV sollen Aktionäre dann also neue Beschlussvorschläge einbringen aber auch Verfahrensanträge stellen können. Hier gibt es wie in der Präsenz-HV ein latentes Risiko von Zufallsmehrheiten. Die Gesellschaften sollten sich also absichern, dass große Aktionäre live dabei sind und sie unterstützen.

Phase 5: Das Schlusswort
Geschafft, die HV ist vorbei. Nicht mehr so entspannt wie nach den Corona-Regularien, aber manche Schlachten zwischen Versammlungsleiter und Aktionären, Zwischenrufe, Störungsversuche werden zur Vergangenheit. Aber auch manche Form des Austauschs kann fehlen. Außer, die Gesellschaften versuchen sich an kreativen Lösungen. Schließlich gehört es am Ende zum Börsenleben, die Eigentümer mitzunehmen und zu überzeugen. Das gilt für die Investorenkonferenz wie für die HV. Eigentlich könnte man beides ja kombinieren. Ich bin gespannt, was kommt.

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