
von Jens Hecht*, CFA, Managing Partner, und Dr. Alexander Ebolor**, Senior Consultant ESG/Sustainability, Kirchhoff Consult
Da Regierungen und Stakeholder weltweit ihr Augenmerk verstärkt auf die Leistung in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) richten, hat die Europäische Union (EU) Vorschriften zur Verbesserung der Transparenz, Glaubwürdigkeit und Vergleichbarkeit von ESG-Ratings vorgeschlagen. Dieses regulatorische Umfeld unterstreicht die Bedeutung des Verständnisses von ESG-Ratings und ihres potenziellen Nutzens für Unternehmen.
Laut dem Rat der Europäischen Union in seinem Vorschlag für die Verordnung (EU) 2019/2088, der im Februar 2024 angekündigt wurde, „spielen ESG-Ratings eine wichtige Rolle auf den globalen Kapitalmärkten, da Anleger […] diese ESG-Ratings als Teil des Prozesses nutzen, um fundierte […] Entscheidungen zu treffen.“1 Der Verordnungsvorschlag, „der darauf abzielt, die Zuverlässigkeit, Transparenz und Vergleichbarkeit von ESG-Ratings zu stärken, soll auch sicherstellen, dass Ratingagenturen relevante ESG-Risiken in ihre Ratings einbeziehen.“2 Die vorgeschlagene Verordnung wird 18 Monate nach ihrem Inkrafttreten gelten und muss noch vom Rat und Parlament genehmigt werden.
Eine sorgfältige Lektüre des endgültigen Kompromisstextes der ESG-Verordnung deutet darauf hin, dass die Regulierung von ESG-Ratings und die Verpflichtung der Ratingagenturen, ESG-Kriterien in die Ratings einzubeziehen, dazu führen wird, dass Unternehmen ESG-Ratings mehr Aufmerksamkeit schenken. Ein Eckpfeiler des Vorschlags ist, dass es keine pauschale „Einheitswährung“ für das ESG-Rating eines Unternehmens mehr geben wird. Jede ESG-Säule wird separat bewertet. Und um eine Blackbox zu vermeiden, soll es künftig eine genaue Beschreibung der Methoden geben, die sich bislang von Ratingagentur zu Ratingagentur erheblich unterscheiden.
Auch Ratingagenturen bereiten sich darauf vor, die geplante Verordnung in ihre Ratingmethoden einzubeziehen. So hat EcoVadis die EU-Vereinbarung zur Regulierung von ESG-Ratingagenturen bereits als wichtigen Schritt zur Standardisierung der Transparenz- und Integritätsanforderungen begrüßt.3 Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) ist mit der Regulierung von ESG-Ratingagenturen betraut. Mit diesem Schritt wird auch die Glaubwürdigkeit von ESG-Ratings weiter gestärkt.
Potenziale von ESG-Ratings richtig nutzen
Stärkung von Reputation und Vertrauen: Unternehmen, die ESG-Erwägungen Priorität einräumen und gute ESG-Ratings erzielen, können ihren Ruf erheblich verbessern und Vertrauen bei Interessengruppen wie Kunden, Investoren und der Öffentlichkeit aufbauen. So verzeichnen Immobilienunternehmen, die in energieeffiziente Gebäude investieren, häufig höhere Belegungsraten und eine geringere Mieterfluktuation. Studien haben gezeigt, dass LEED-zertifizierte Gebäude einen durchschnittlichen Vermietungsgrad von 92% aufweisen – verglichen mit 88% bei nicht zertifizierten Gebäuden.4
Zugang zu Kapital: Gute ESG-Ratings können außerdem den Zugang zu einem breiteren Spektrum von Kapitalquellen öffnen, einschließlich nachhaltiger Investmentfonds und Impact-Investoren. Unternehmen mit herausragenden ESG-Ratings erhalten mit größerer Wahrscheinlichkeit leichteren Zugang zu grünen Finanzierungsoptionen und Vorzugszinssätzen für nachhaltige Projekte. Das Vermögen nachhaltiger Anlagen in Europa wird im Jahr 2020 etwa 14,1 Bio. EUR erreichen.5 Der globale Markt für ESG-Anleihen erreichte einen Emissionsrekord von knapp 1 Bio. USD im Jahr 2023 (siehe Abbildung: Emissionsvolumen ESG-Anleihen in Mrd. USD).
Transparenz als Erfolgsfaktor im Wettbewerb: Unternehmen, die ESG-Bewertungskriterien in ihre Geschäftstätigkeit integrieren, orientieren sich gleichzeitig an regulatorischen Initiativen zur Förderung nachhaltiger Finanzen. Durch die proaktive Übernahme von ESG-Ratingkriterien in eine transparente Berichterstattung können Unternehmen die Einhaltung solcher Vorschriften nachweisen und sich einen Wettbewerbsvorteil bei der Gewinnung von Investoren und Kunden verschaffen, die nachhaltige Finanzdienstleistungen suchen. Denn viele Unternehmen verlangen von ihren Business-to-Business-(B2B)-Partnern den Nachweis von ESG-Mindestbewertungen als Grundlage für ihre Geschäftsbeziehungen.
Innovationen und neue Geschäftsmöglichkeiten: Die Priorisierung von ESG-Faktoren führt oft zu innovativen Lösungen und neuen Geschäftsmöglichkeiten. Immobilienunternehmen, die in nachhaltige Technologien wie intelligente Gebäudesysteme, Anlagen für erneuerbare Energien und Wassersparmaßnahmen investieren, reduzieren nicht nur ihre Umweltauswirkungen, sondern erschließen auch den schnell wachsenden Markt für grüne Lösungen. Es wird erwartet, dass der Markt für grüne Gebäude bis zum Jahr 2033 ein Volumen von 500 Mrd. USD erreichen wird, was bedeutende Geschäftsmöglichkeiten für innovative Immobilienunternehmen bietet.6
„Rating the Raters“: Neue Verordnung wird für mehr Transparenz sorgen
Die vorgeschlagene EU-Verordnung für ESG-Ratings zielt darauf ab, die Glaubwürdigkeit und Transparenz von ESG-Ratings zu erhöhen. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass ESG-Ratings für Unternehmen als Voraussetzung für den Erhalt günstiger Finanzierungen und die Fortsetzung von Geschäftsbeziehungen zum Mainstream werden könnten. Es besteht bereits Druck auf Unternehmen, ein Mindestniveau bestimmter Ratings zu erreichen, um vertragliche Beziehungen fortzusetzen. Indem sie den Wert von ESG-Ratings erkennen und nachhaltige Praktiken in ihre Geschäftstätigkeit einbeziehen, können Unternehmen erhebliche Werte freisetzen, zu einer nachhaltigeren Zukunft beitragen und in einem zunehmend ESG-orientierten Geschäftsumfeld erfolgreich sein.
*) Jens Hecht, CFA, ist Managing Partner von Kirchhoff Consult und berät seit über 20 Jahren mittelständische Unternehmen bei der Vorbereitung und Durchführung von Börsengängen sowie in den Bereichen Investor Relations, ESG und Finanzberichterstattung.
**) Dr. Alexander Ebolor ist Senior Consultant im Bereich ESG/Sustainability bei Kirchhoff Consult und Experte für ESG-Ratings. Vor Kirchhoff war er Analyst bei Morningstar Sustainalytics.