Trotz hartnäckiger Inflation scheint globaler Zinsgipfel in Sicht – noch keine Zinswende

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Es besteht kaum mehr ein Zweifel daran, dass sich die globale Konjunktur in diesem Jahr spürbar abschwächen wird. Laut einer aktuellen Prognose von Dun & Bradstreet wird die Weltwirtschaft um 2% wachsen, nach 3% im Vorjahr und 6% im Jahr 2021. Die aktuelle Einschätzung von Dr. Arun Singh, Globaler Chefvolkswirt, Dun & Bradstreet, zur weltwirtschaftlichen Lage und Risiken einzelner Länder und Regionen im August:

In West- und Zentraleuropa wird die Wirtschaftsleistung voraussichtlich sogar nur um 1% zulegen. In Deutschland deuten die fortlaufenden Rückgänge wichtiger Wirtschaftsindikatoren sowie die sich verschlechternde Stimmung in den Unternehmen darauf hin, dass die konjunkturelle Schwächephase länger anhalten könnte als in anderen westlichen Industriestaaten. Zur Verunsicherung in Deutschland tragen außerdem die verstärkten politischen Divergenzen bei.

Inflation bleibt hartnäckig
Was die Inflation betrifft, haben die Notenbanken in der Summe gute Arbeit geleistet. Durch eine angemessene Straffung der Geldpolitik gelang es ihnen, die Gesamtinflationsrate im Vergleich zum Vorjahr deutlich zu senken. Noch nicht gelöst ist indes in vielen Ländern und Regionen das Problem mit der Kerninflation. Bei dieser Teuerungskennziffer werden unter anderem die Energie- und Lebensmittelpreise nicht berücksichtigt.

Ungeachtet dessen könnte bei der Gesamtinflation neues Ungemach drohen. Zum einen, weil Russlands Schwarzmeer-Blockade für ukrainisches Getreide das Angebot verknappt. Zum anderen, weil Extremwetterereignisse infolge des El Niño-Phänomens zu Ernteausfällen führen könnten. Beides könnte die Lebensmittelpreise weiter steigen lassen. Und auch beim Thema Energie haben die Gefahren zugenommen. So sind die Ölpreise infolge der Produktionskürzungen der OPEC+ sowie einer rückläufigen US-amerikanischen Bohrinselproduktion wieder gestiegen.

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Zinsgipfel in Sicht, aber noch keine Zinswende
Auch wenn das Schreckgespenst Inflation noch nicht gebannt ist, dürfte – global gesehen – der Höhepunkt bei den Leitzinsen erreicht oder zumindest nahe sein. Zuletzt hat die Bank of England (BoE) den Leitzins um 25 Basispunkte angehoben und es damit der US-Notenbank Fed sowie der Europäischen Zentralbank (EZB) gleichgetan, die einen entsprechenden Zinsschritt bereits Ende Juli beschlossen haben.

Wie es bei der Geldpolitik weitergeht, hängt von den wirtschaftlichen Gegebenheiten in den einzelnen Märkten ab. Was die westlichen Industrieländer betrifft, erwartet so mancher Marktbeobachter, dass die Notenbanken bald auf einen Zinssenkungszyklus umschwenken könnten. Gegen diese Erwartungen sprechen jedoch die gute Beschäftigungslage auf den Arbeitsmärkten sowie die unzureichenden Fortschritte bei der Bekämpfung der Kerninflation. In Europa inklusive des Vereinigten Königreichs hat die Gefahr eines Abgleitens in die Stagflation zugenommen. Zumindest ist man einem solchen Szenario sehr nahegekommen. In den USA hat sich die Wirtschaft dagegen bislang als vergleichsweise robust erwiesen.

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Gestiegene Risiken in China
Anders als die Industrieländer haben einige Schwellenmärkte wie Brasilien, Vietnam und Chile bereits Zinssenkungen vorgenommen. Das gleiche gilt für China. Die Volksrepublik kämpft mit rückläufigen Exporten und einer nachlassenden Binnennachfrage. Mit Zinssenkungen und Konjunkturprogrammen will Peking Konsum und Investitionen wieder ankurbeln. Die handels- und machtpolitischen Spannungen mit den USA sind ein nicht zu unterschätzender Risikofaktor. Der neueste Akt in diesem Wirtschaftskrimi sind Exportkontrollen für Gallium und Germanium, die kürzlich eingeführt wurden. Diese Industriemetalle spielen in der Halbleiterproduktion eine wichtige Rolle. Obwohl sowohl Washington als auch Peking nach wie vor Gesprächsbereitschaft zeigen, sind Ausfuhrbeschränkungen ein genereller Risikofaktor für Lieferketten und Geschäftsklima. Dun & Bradstreet hat vor diesem Hintergrund das Environment-Risk-Rating für China in der Kategorie „Angebotsrisiko“ („Supply“) gesenkt. Eine Herabstufung gab es unter anderem auch für Mexiko, und zwar in den Kategorien „Marktrisiko“ („Market“) und „Politisches Risiko“ („Political“). Auslöser dafür sind die hohe Inflation und die Enteignung einer privatwirtschaftlich betriebenen Bahnstrecke.

Dr. Arun Singh, Dun & Bradstreet

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