Der Euro erreicht die Parität – und die Privatanlegerstimmung kippt

Die jüngsten Nachrichten zum fallenden Euro verunsichern zunehmend auch viele Privatanleger. Von Christian-Hendrik Knappe, German Sales Director bei Spectrum Markets

Der Sentiment-Index SERIX, bezogen auf das Währungspaar Euro-US-Dollar, fiel kürzlich von 129 auf die Marke von 105 Punkten. Der von Spectrum Markets berechnete Index fasst die Marktstimmung aus Short- und Longtrades zusammen.

Am 2. Juni hatte der Basiswert des Währungspaares Euro-US-Dollar bereits einen Tiefpunkt erreicht und sich danach wieder erholt. Ein Wert unter 100 zeigt an, dass sich mehr Anleger mittels verbriefter Derivate gegen den Wert des Euro stellen, als Gegenpositionen bestehen.

Der schwache Euro ist ein Indikator dafür, dass das Vertrauen in die europäische Wirtschaft zunehmend schwindet. Nachdem bereits Covid-19, der BrExit und anhaltende Lieferkettenprobleme für einen stotternden Wachstumsmotor sorgten, führen seit Kriegsbeginn in der Ukraine extreme Preissteigerungen für Energie, Dünger und Lebensmittel zu einem inflationären Schub.

Bei gleichzeitig niedrigen Wachstumszahlen rückt die Gefahr einer Stagflation, der von den Märkten gefürchteten Mischung aus wirtschaftlicher Stagnation und einhergehender erhöhter Inflation, immer näher. Zwar kann die EZB mit Zinsanpassungen die Inflation abfedern, die großen wirtschaftlichen Fragen aber bleiben zunächst ungelöst.

Vor großen Problemen steht insbesondere der einstige EU-Wirtschaftsmotor Deutschland. Denn während sich andere Länder wie Frankreich oder die Schweiz frühzeitig mit einem breiten Energiemix unabhängiger einzelnen Energieträger gemacht haben und dadurch ihre Preise relativ stabil halten können, hat sich Deutschland nie aus der jahrzehntelangen Abhängigkeit russischer Erdgaslieferungen befreien können.

Deutschlands Abhängigkeit von russischem Gas als Inflationstreiber

1965 hatte sich Erich Apel, der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission der DDR in seinem Dienstzimmer erschossen, weil er den Handelsvertrag zwischen DDR und UdSSR nicht mittragen wollte, einem Knebelvertrag, der der DDR über Rohrleitungen dauerhaft Erdgas zu überhöhten Preisen aufzwingen sollte. Der Vertrag wurde von Apels Nachfolger unterzeichnet – mit dem auf diesem Vertrag aufbauenden Bau der Druschba-Erdgas-Trasse wurde 1974 begonnen. Die Infrastruktur dieses Vertrages besteht bis heute, sichtbar etwa in Leuna und Schwedt.

Ulbricht und Honecker hatten es sich bequem in der so geschaffenen Abhängigkeit eingerichtet, während Kohl die Gaspipelines für seine Zwei-plus-Vier-Verhandlungen nutzte und Schröder als Karrieresprungbrett für die Zeit nach seiner Kanzlerschaft. Ex-Kanzlerin Merkel verwendete sie wiederum, um den Ausbau der deutschen Wirtschaft weiter voranzutreiben – und zementierte dadurch weiter deren Abhängigkeit von Energie aus Russland.

Robert Habeck versucht zwar gerade, die Scherben zusammenzukehren und den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben, doch die können in der Kürze der Zeit nicht die gewaltige Lücke füllen, die das möglicherweise bevorstehende Ende von Nordstream1 reißen könnte. Und dass die für Ende 2022 geplante Abschaltung der letzten drei deutschen Kernkraftwerke Emsland, Isar2 und Neckarwestheim2 ausgerechnet von einem grünen Wirtschaftsminister in letzter Sekunde rückgängig gemacht werden könnte, glaubt bislang hierzulande auch niemand ernsthaft.

Christian-Hendrik Knappe

Europa agiert zu langsam – aber mit Erfolg

Die Agrarproteste in den Niederlanden, die mittlerweile auch nach Deutschland herüberschwappen, zeigen die Vielschichtigkeit der Probleme, mit denen Europa aktuell zu kämpfen hat. Sie zeigen vor allem aber auch, wie langsam Europa auf Veränderungen reagiert; so langsam, dass die Durchsetzung strenger EU-Nitrat-Richtlinien angesichts steigender Lebensmittelpreise ebenso zur Unzeit kommt wie die Abschaltung von Kraftwerken vor dem Hintergrund eines drohenden Kältewinters.

Allerdings besteht – neben der Hoffnung auf eine baldige Beendigung des Ukraine-Krieges – auch Grund zur Zuversicht: Die bevorstehende Aufnahme Kroatiens als 20. Mitglied der Eurozone symbolisiert den Willen der europäischen Staaten zum weiteren Ausbau der europäischen Integration. Jede Volkswirtschaft, die neu hinzukommt, stärkt langfristig auch den europäischen Wirtschaftsraum und belegt, dass Europa – trotz aller Krisen – langfristig eine Erfolgsgeschichte werden kann.

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