Prospektfreie Anleiheemission – Finanzierung über den Kapitalmarkt in der Krise

Dr. Mirko Sickinger, LL.M., RA und Partner, Lena Pfeufer, RAin, Heuking Kühn Lüer Wojtek
Dr. Mirko Sickinger und Lena Pfeufer, Heuking

Der Law Corner Beitrag von Dr. Mirko Sickinger, LL.M., Rechtsanwalt und Partner, Lena Pfeufer, RAin und Salaried Partnerin, Heuking Kühn Lüer Wojtek.

Auch vor dem Hintergrund der anhaltenden COVID-19-Krise und deren Auswirkung auf die deutsche Wirtschaft spielt die Beschaffung von Finanzmitteln über den Kapitalmarkt gerade für Mittelständler weiterhin eine wichtige Rolle.

Zwar gibt es diverse staatliche Unterstützungsprogramme wie das KfW-Sonderprogramm 2020 der Bundesregierung, das Unternehmen Zugang zu günstigen Bankkrediten erleichtern und Hausbanken mobilisieren soll, liquiditätsstärkende Kredite in erheblichem Umfang zu gewähren. Allerdings sind solche Kredite an diverse Voraussetzungen und nicht zuletzt auch an gewisse Förderausschlüsse, z.B. betreffend Dividendenausschüttungen, gebunden. Da in Krisensituationen üblicherweise kurzfristig Kapital benötigt wird, dürften die im Juli 2018 in das Wertpapierprospektgesetz übernommenen Erleichterungen zur prospektfreien Emission umso mehr an Bedeutung gewinnen.

Anleihen bis 8 Mio. EUR
Bei einem Anleihevolumen von bis zu 8 Mio. EUR bedarf es seit dem Jahr 2018 nicht mehr der Erstellung und Billigung eines Wertpapierprospektes durch die BaFin. Dadurch kann eine solche kleinvolumige Anleihebegebung zu einer erheblichen Zeit- und auch Kostenersparnis für den Emittenten gegenüber einer Emission mit Wertpapierprospekt führen.

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Das bei einem Volumen von mindestens 100.000 EUR erforderliche Wertpapierinformationsblatt (WIB) umfasst nur maximal drei DIN A4-Seiten und ist von der BaFin zu gestatten. Allerdings ist der Gestattungsprozess für das WIB gegenüber der Billigung eines weitaus umfangreicheren Wertpapierprospekts mit erheblich geringerem zeitlichem Aufwand verbunden und bedeutet damit auch eine reduzierte Kostenbelastung für den Emittenten.

Zu bedenken ist aber stets, dass bei einer Emission ab 1 Mio. EUR die Mindestanlagenschwelle für Anleger zu beachten ist, die alleine durch Einschaltung eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens nachvollzogen werden kann, womit dann auch eine zusätzliche Kostenlast für den Emittenten verbunden ist.

Mindestanlage 100.000 EUR pro Anleger
Eine weitere Möglichkeit eine Anleihe prospektfrei und damit mit geringerem Kosten- und Zeitaufwand zu begeben, ist die Emission mit einer Mindestanlage von jeweils 100.000 EUR pro Anleger. In diesem Fall ist nicht einmal ein WIB erforderlich. Es besteht auch keine Begrenzung des Emissionsvolumens, d.h. die Anleihe könnte weit über die vorgenannten 8 Mio. EUR hinaus begeben werden.

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Auch in diesen Fällen kann die Anleihe im allgemeinen Freiverkehr einer deutschen Börse, z.B. in das Quotation Board der FWB einbezogen werden. Grundsätzlich bestehen für den allgemeinen Freiverkehr an deutschen Börsen, anders als etwa für das Qualitätssegment Scale an der FWB, keine Vorgaben für die Stückelung der Teilschuldverschreibungen.

In der Praxis wurden zuletzt auch großvolumige prospektfreie Anleihebegebungen und nachfolgende prospektpflichtige öffentliche Angebote kombiniert. In einer ersten Tranche wird die Anleihe mit einer großen Stückelung oder Mindestzeichnungssumme von 100.000 EUR je Schuldverschreibung prospektfrei ausgegeben. Parallel dazu wird ein Prospekt für ein nachfolgendes öffentliches Angebot einer zweiten Tranche der Anleihe mit einer kleinen Stückelung von 1.000 EUR je Schuldverschreibung und ohne Mindestzeichnungssumme erstellt. Nach dem öffentlichen Angebot werden auch die Schuldverschreibungen der ersten Tranche gegebenenfalls auf 1.000 EUR je Schuldverschreibung neu eingeteilt.

Fazit
Gerade in der gegenwärtigen Situation sollten die Möglichkeiten, die das Wertpapierprospektgesetz für prospektfreie Anleiheemissionen vorsieht, von Emittenten verstärkt in den Fokus genommen werden. Gerade kleinvolumige Anleihen sind mit vergleichsweise geringem zeitlichen und finanziellen Aufwand umsetzbar. Die Begebung großvolumiger Anleihen ist prospektfrei und mit geringen Kosten- und Zeitaufwand möglich, wenn eine Mindestanlage von 100.000 EUR pro Anleger bzw. eine entsprechende Stückelung vorgesehen ist. Ein nachfolgendes öffentliches Angebot der Anleihe mit kleiner Stückelung und gegebenenfalls späterer Anpassung der Stückelung der ersten Tranche kann insbesondere für Emittenten von Interesse sein, die ein Listing der Anleihe in einem Qualitätssegment des Freiverkehrs einer deutschen Börse, etwa Scale an der FWB oder m:access der Münchener Börse planen.