„Keine Revolution, eher Evolution“

BondGuide im Gespräch mit Carsten Hahn über digitale Wertpapiere. Mit dem aktuellen Referentenentwurf werde zunächst einmal die Basis gelegt – die nächsten Schritte würden schon folgen, so der Experte für regulatorische Kapitalmarktthemen und disruptive Technologien.

Herr Hahn, dass digitale Wertpapiere anno 2020 möglich sind, bezweifelt inzwischen niemand mehr. Aber wie notwendig sind sie auch Ihrer Einschätzung nach?

Das Thema digitale Wertpapiere gewinnt immer mehr an Bedeutung und die Erwartungen in der Industrie sind sehr groß. Dies betrifft insbesondere mögliche Kosten- und Prozesseffizienzen in der Abwicklung gegenüber der klassischen Wertpapierabwicklung – aber auch die Entwicklung neuer Anlageprodukte.

Mit dem traditionellen deutschen System unter Regide von Clearstream – bekanntlich zur Deutschen Börse gehörend – würde man dem Platzhirschen ziemlich in die Parade fahren. Mit wie viel Gegenwind ist dabei im weiteren Fortgang zu rechnen?
Ich denke nicht, dass wir hier von Gegenwind sprechen sollten. Entscheidend wird sein, wie zeitnah Clearstream marktrelevante Produkte und Services anbieten kann. Die derzeitige Position der Clearstream – mit dem breiten Kundenetzwerk – macht es durchaus realistisch, hier auch in Zukunft die zentrale Rolle beizubehalten. Eine Option für Clearstream kann neben dem reinen Verwahrgeschäft der weitere Ausbau im Bereich Infrastrukturdienstleistungen sein. In diesem Bereich müssen hohe Sicherheitsstandards eingehalten werden und die Clearstream genießt hier bereits ein hohes Vertrauen der Marktteilnehmer.

Und alternative bzw. neue Marktteilnehmer?
Sicherlich werden wir sehen, dass auch neue Anbieter versuchen, sich auf dem Markt zu etablieren. Wir müssen aber davon ausgehen, dass sich nicht alle Teilnehmer auf Dauer behaupten können.

Prof. Sandner prognostiziert gar, in fünf Jahren werde es die traditionelle Wertpapierverwahrung der letzten hundert Jahre nicht mehr geben. Sehen Sie das ähnlich revolutionär?
Ich betrachte es nicht als Revolution, sondern eher als Evolution. Ein stabiler rechtlicher Rahmen ist für die Anbieter und Marktteilnehmer zwingend notwendig, um Investitionen im Bereich Wertpapierverwahrung durchzuführen. Grundsätzlich stimme ich Prof. Sander zu, dass das heutige Modell ein Auslaufmodell ist. Hinsichtlich der Ablösungszeiten in Richtung neuer Modelle und deren Marktakzeptanz bin ich etwas zurückhaltender und rechne mit einer längeren Übergangszeit.

Die Vorteile sind gemeinhin bekannt und erläutert – aber: Was spräche im Gegensatz zu den genannten Vorteilen dagegen?
Aus Sicht Effizienz und Kosten ist der Weg in Zukunft klar vorgezeichnet. Es sind sicher noch eine Reihe von rechtlichen und technischen Fragestellungen zu lösen, aber dies wird die derzeitige Entwicklung nicht aufhalten. In Europa können wir aktuell bereits erkennen, dass das Thema auch von regulatorischer Seite an Dynamik gewinnt.

Gibt es in dieser Hinsicht schon Erfahrungswerte aus anderen Ländern – wie ist international der Stand der Entwicklung?
Betrachtet man das aktuelle Volumen von ca. 55 Mio. USD, verteilt auf ca. 60 Wertpapier-Token Börsen, sieht man klar, dass der Markt noch am Anfang der Entwicklung steht. Es wird noch dauern, bis sich liquide Märkte etabliert haben.

Was würde eine solche – oder zumindest in Teilen ähnliche – (R)Evolution für die bisherigen Dienstleister der Branche bedeuten (Aktienregister, Deutsche Börse, Emissions-begleitende Banken etc.)?
Mit dem aktuellen Referentenentwurf wird die Basis gelegt und ein umfassender Veränderungsprozess der Digitalisierung im Kapitalmarkt eingeläutet. Er schafft für die Marktteilnehmer Rechtsicherheit und unterstützt ausdrücklich den Einsatz moderner technologischer Ansätze, z. B. Nutzung der DLT-Technologie.

Auch in Bereichen, an die man nicht ganz zuerst denkt?
Mit dem Produkt Schuldverschreibung beginnt dieser Prozess und wird sich zwangsläufig auf weitere Produkte ausweiten. Im Rahmen der Digitalisierung und der damit verbundenen Entflechtung der Wertschöpfungsketten werden die bekannten Marktteilnehmer ihre Rollen teilweise neu definieren, bzw. ihr Geschäftsmodell anpassen müssen. Emissionsbegleitenden Banken bieten sich neue Möglichkeiten im Bereich der digitalen Produktinnovation. Hier werden wir sicher eine Reihe neuer Produkte beobachten können.

Interviewpartner Carsten Hahn, Capco

Wie lautet die Perspektive dazu?
Bereits jetzt gibt es im Bereich digitaler Wertpiere ein Ökosystem mit einer Reihe von spezialisierten Anbietern für die Teile der Wertschöpfungskette. Banken stehen vor der Frage, ob sie zukünftig eigene Prozesse entwickeln oder Partnerschaften mit existierenden Anbietern eingehen möchten. Das digitale Wertpapier ist aber auch nur ein Baustein auf dem Weg zu einem vollständig digitalisierten Kapitalmarkt. Vollständig effizient werden die Abwicklungsprozesse dann, wenn auch das Settlement über digitale Währungen abgewickelt wird. Hierfür ist die Basis bereits vorhanden.

Carsten Hahn ist Senior-Partner bei der Beratung Capco in Frankfurt. Er ist Experte für regulatorische Kapitalmarktthemen und beschäftigt sich intensiv mit dem Einsatz disruptiver Technologien.