Ekosem-Agrar: „Bedienung der Anleihen auch unter verschärften Bedingungen bleibt oberste Priorität“

BondGuide im Gespräch mit Wolfgang Bläsi, CFO der Ekosem-Agrar AG, zur Restrukturierung der beiden Unternehmensanleihen

Herr Bläsi, läuft das operative Geschäft der Ekosem so schlecht, dass Sie so eine harte Restrukturierung vorschlagen?
Ich denke, wir müssen unterschiedliche Themenbereiche betrachten. Zum einen, das operative Geschäft, so wie es heute ist und wie wir es für die nächsten Monate bzw. Jahre erwarten. Zum anderen die Tatsache, dass wir als deutsche Holding mit einem zu 100% russischen operativen Geschäft heute zwischen zwei Stühlen sitzen.

Das operative Geschäft läuft heute – gemessen an den Umständen – stabil. Es gibt zahlreiche Herausforderungen im Hinblick auf die Beschaffung betriebsnotwendiger Inputstoffe wie Saatgut und Dünger, sowohl im Hinblick auf die Verfügbarkeit und die Logistik als auch auf die Kostenentwicklung. Wir können vor Ort aber öffentliche Unterstützung in Anspruch nehmen, weil ansonsten ein massiver Einbruch in der landwirtschaftlichen Produktion zu erwarten wäre. Wir gehen also davon aus, dass wir die Produktion im Pflanzenbau und auch die kontinuierliche Rohmilchproduktion auf einem guten Niveau sicherstellen können.

„Als deutsche Holding mit einem zu 100% russischen operativen Geschäft sitzen wir zwischen zwei Stühlen“

Wirtschaftlich sehen wir allerdings Herausforderungen im Hinblick auf die rückläufige Entwicklung der Kaufkraft in Russland und im Hinblick auf Markteingriffe der russischen Regierung. Es gibt im Bereich pflanzlicher Erzeugnisse bereits heute Exportbeschränkungen und flächendeckende Exportzölle. Dies vor dem Hintergrund, dass die Preise für Agrarrohstoffe global auf einem sehr hohen Niveau sind. Durch die Exportrestriktionen wird sichergestellt, dass im Land so weit wie möglich Betriebsmittel zu erschwinglichen Preisen verfügbar sind. Das heißt im Umkehrschluss, dass wir Gefahr laufen, die hohen Inputkosten nicht an die Kunden weitergeben zu können, was natürlich Druck auf unsere Margen nach sich ziehen könnte. All diese Themen sind aus heutiger Sicht kaum zu prognostizieren – aber nochmal: Stand heute funktioniert das operative Geschäft stabil.

…und wo sitzen Sie ‚zwischen zwei Stühlen‘?
Wie Sie wissen, sitzt unsere Muttergesellschaft, die Ekosem-Agrar AG, in Deutschland. Hier gibt es derzeit massive Vorbehalte gegen alles Russische – mit teilweise schon sehr befremdlichen Ausprägungen. Wenn deutsche Unternehmen, die einen Bezug zu Russland haben, kein Bankkonto mehr eröffnen können oder aber Banken generell den kompletten Zahlungsverkehr mit Russland einstellen, auch wenn es von keiner Sanktion gefordert wird, dann macht dies die Arbeit sehr schwierig.

„Deutschland – wie alle anderen Staaten, die Sanktionen erlassen haben – wird als unfreundlicher Staat in Russland eingestuft.“

Auf der anderen Seite findet unser Geschäft ausschließlich in Russland statt. Dort gibt es derzeit die Situation, dass Deutschland – wie alle anderen Staaten, die Sanktionen gegen Russland erlassen haben – als „unfreundlicher Staat“ eingestuft wird. Es gibt teilweise Finanzierungsverbote für ausländische Unternehmen und deren russische Töchter. Unternehmen, die Russland verlassen wollen, droht Enteignung und den Unternehmern, die die westlichen Sanktionen befolgen, drohen laut Entwurf der Strafgesetzbuch-Novelle Zwangsarbeit, hohe Geldstrafen und bis zu zehn Jahren Haft.

Das heißt, wir müssen bei allem, was wir tun und bei allem, was wir sagen, evaluieren, welche Konsequenzen es auf welcher Seite haben könnte. Und es gibt Situationen, wo man es nicht auf beiden Seiten richtig machen kann. Wir müssen aber vermeiden – auch im Interesse der deutschen Holding und der Anleihegläubiger – das russische operative Geschäft zu riskieren. Ansonsten haben sowohl unsere mehr als 12.000 Mitarbeiter als auch unsere Anleihegläubiger und unsere Vertragspartner das Nachsehen. Das gilt es zu berücksichtigen, wenn in Deutschland derzeit – auch von uns – klare Stellungnahmen gefordert werden.

„Es gilt auch, unsere mehr als 12.000 Mitarbeiter der Ekosem in Russland zu berücksichtigen, wenn von uns klare Stellungnahmen gefordert werden.“

Nur um das klarzustellen: Auch wir sind der Meinung, dass Krieg immer der falsche Weg ist, weil er Leid vergrößert und praktisch nie Lösungen mit sich bringt. Insofern sind unsere Gedanken bei den Millionen Menschen, die hier schreckliches Leid erfahren und hoffen inständig, dass die Kämpfe in der Ukraine aufhören und der friedliche Dialog wieder aufgenommen wird.

Ein wesentlicher Kritikpunkt, wenn ich die Veröffentlichungen zusammenfasse, besteht darin, dass Sie nun harte Einschnitte von allen Anleihegläubigern der Ekosem fordern; aber für den Fall, dass das Unternehmen sich besser als erwartet entwickelt, keinerlei Ausgleich an die Gläubiger zahlen – wie sehen Sie das?
Das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben die Tagesordnungspunkte der Gläubigerversammlungen veröffentlicht und wir sind uns durchaus bewusst, dass wir den Gläubigern Einiges abverlangen. Aus diesem Grund sind wir auch bereit, über eine Variante mit einem ‚Besserungsschein‘ mit den Gläubigern zu sprechen. Das machen wir seit Veröffentlichung der Einladung ebenso wie die Vertreter der e.Anleihe GmbH, die Gemeinsamer Vertreter für die Anleihe 2019/24 ist und auch für die Anleihe 2012/22 für diese Funktion vorgeschlagen ist. Wir werden uns auf dieser Basis in den nächsten Tagen mit dem Gemeinsamen Vertreter zusammensetzen und bis zur Gläubigerversammlung einen Kompromissvorschlag erarbeiten, der einen fairen Interessenausgleich schafft.

„Bis zur Gläubigerversammlung werden wir einen Kompromissvorschlag erarbeiten, der einen fairen Interessenausgleich schafft.“

Was auch nicht alltäglich ist, ist der qualifizierte Rangrücktritt auf die massiv reduzierten Zinsen, den die Gläubiger aussprechen sollen – warum?
Wir haben neben der unklaren wirtschaftlichen Lage – schauen Sie sich nur die Währungsschwankungen des Rubel an – die die in Russland verfügbaren Cashflows determiniert, eine weitere Hürde im Hinblick auf die Zahlung der Anleihezinsen in Deutschland. So stellt sich die Frage, ob und wie überhaupt Zahlungen von den russischen Gesellschaften an die deutsche Mutter vorgenommen werden können. Hier gibt es derzeit Restriktionen in Russland, die dem Ziel dienen, den Abfluss von Fremdwährung so weit wie möglich zu vermeiden. In Deutschland wiederum lehnen die Banken teilweise den kompletten Zahlungsverkehr ab, wenn die Überweisung aus Russland kommt.

All das führt dazu, dass wir derzeit keine zuverlässige Aussage darüber treffen können, ob es möglich sein wird, Liquidität von den russischen Gesellschaften zur Bedienung der Zinsen an die Ekosem-Agrar AG zu transferieren. Aus diesem Grund können wir als Unternehmen auch den reduzierten Zinssatz nur vereinbaren, wenn wir bei Nicht-Zahlung nicht direkt in die Zahlungsunfähigkeit fallen. Generell bleibt die Bedienung der Anleihen auch unter verschärften Bedingungen unsere oberste Priorität gegenüber unseren Anleihegläubigern.

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„Wir können auch den reduzierten Zinssatz nur vereinbaren, wenn wir bei Nicht-Zahlung nicht direkt in die Zahlungsunfähigkeit fallen.“

Neben den oben genannten Punkten gibt es noch den Vorschlag, dass die Gläubiger auf die Rückzahlung verzichten für den Fall, dass ein sog. Change of Control eintritt – das klingt nach einem Komplettverzicht.
Nein, das ist kein Komplettverzicht. Es geht nicht um den prinzipiellen Verzicht auf die Rückzahlung, sondern um den Verzicht auf die so genannte Put-Option für den Fall, dass wir zur Sicherung des Unternehmens die Anteile an den russischen Zwischenholdings nach Russland übertragen müssen. Beweggrund dieses Vorschlags ist die oben schon erläuterte Situation ‚zwischen den Stühlen‘. Wir können nicht ausschließen, dass in Russland weitere scharfe Restriktionen für ausländische Unternehmen erlassen werden. Es gibt bereits ein teilweises Finanzierungsverbot und es gibt weitergehende Forderungen in Russland, um auf das Einfrieren von russischen Vermögenswerten zu reagieren. Sollten die Anleihegläubiger im Falle eines solchen Change of Control die Rückzahlungsoption ausüben, könnte die Gesellschaft ihre Verpflichtungen aus den Anleihen aus heutiger Sicht nicht bedienen und wäre gezwungen, Insolvenz anzumelden. Aus diesem Grund bitten wir die Anleihegläubiger hier um einen Verzicht. Die Rückzahlung am Ende der Laufzeit ist davon unberührt.

Wolfgang Bläsi, Ekosem- Agrar AG

Wie kommt der Restrukturierungsvorschlag in Ihrer Wahrnehmung bisher bei den Anleihegläubigern an?
Wir hatten in der vergangenen Woche eine Telefonkonferenz für unsere Anleihegläubiger, an dem weit über 50 Investoren teilgenommen haben. Daneben habe ich ebenso wie meine Kolleginnen in Walldorf und unsere IR-Berater von IR.on weitere Gespräche geführt. Meine Wahrnehmung ist, dass es weitgehend unisono grundsätzliches Verständnis gibt, dass wir angesichts der Entwicklung keine besseren Optionen haben, als die vorgeschlagene Restrukturierung durchzuführen. Die Forderung nach einem „Besserungsschein“ ist dabei deutlich zu vernehmen und wie oben schon ausgeführt, sind wir hier bereits in Gesprächen, um eine für alle Seiten akzeptable Lösung zu finden.

Herr Bläsi, ganz herzlichen Dank wie gewohnt an Sie im Vorfeld der Info-TelKo (Einladende sind OSA, SdK und DLR Legal) sowie der AGVs!

Interview: Falko Bozicevic