Deutsche Börse sortiert DAX neu – das Börsenkarussell dreht sich immer schneller

Jahrzehntelang gab kaum Bewegung im DAX. Die alten Industriegrößen und Autokonzerne hatten ihre Club-Mitgliedschaft dort förmlich zementiert. Das ändert sich jetzt. Von Manuel Heyden*

Hier und da gab es ein paar Veränderungen, wenn Banken fusionierten oder Bayer Schering aufkaufte. Auch Wirecard trumpfte auf – wie wir heute wissen durch Betrug – und warf ausgerechnet die Commerzbank hinaus. Alles in allem aber herrschte ruhige See.

Nun jedoch ist das Tempo gestiegen. Dafür sorgen neue DAX-Regeln, der Umbau der Wirtschaft und nicht zuletzt die Corona-Pandemie, die manche Unternehmen unverschuldet abgestraft und andere begünstigt hat: Die gebeutelte Lufthansa musste raus, Delivery Hero als Krisengewinner kam hingegen rein. Und Wirecard musste nach dem Bilanzskandal auch wieder gehen.

In diesem Takt geht es nun mit jedem Quartals-Stichtag weiter. Anfang März sortierte die Deutsche Börse wieder ihren DAX – und das Firmenkarussell drehte sich erneut: Die Siemens Energy AG tauschte mit der Beiersdorf AG die Plätze, die wiederum in den MDAX wechseln musste. Oberflächlich betrachtet ein herber Schlag für den Nivea-Hersteller. Doch das Revirement spiegelt sich bis heute nicht in den Börsenkursen wider. Im Gegenteil. Gibt es also den viel beschriebenen Index-Bonus und folglich auch Malus gar nicht?

Neben dem unfreiwilligen Neuzugang Beiersdorf gab es im MDAX – der 60 mittelgroße Gesellschaften vereint – drei weitere Verschiebungen: Die Porsche Automobil Holding – die gut 53% der Stammaktien von Volkswagen hält – verdrängte die Aareal Bank. Die Encavis AG (Solarkraftwerke und Windparks) tauscht mit Metro die Plätze. Gleiches passierte mit der Nordex SE und Osram Licht.

Auch eine Etage tiefer, im SDAX mit den kleineren Gesellschaften, rotierte die Drehtür heftig: Dort schob Absteiger Aareal Bank die Hornbach Baumarkt aus dem Index. Halbleiterhersteller Süss Microtec verwies Cropenergies vom Platz, gleiches tat die SGL CARBON mit SNP Schneider-Neureither & Partner. Leoni schließlich ersetzte die Deutsche Beteiligungs AG.

Neue Regeln sorgen für mehr Schwung

Einmal im Vierteljahr entscheidet die Deutsche Börse über Auf- und Abstiege, und zwar anhand der Marktkapitalisierung der Aktien im Streubesitz und des Börsenumsatzes. Um in den Dax aufzusteigen, müssen Unternehmen bei beiden Kriterien mindestens auf Rang 30 liegen. Basis für die Änderungen sind auch die neuen Regeln. Sie wurden mit der ersten Stufe der DAX-Reform Ende Februar eingeführt, darunter eine verpflichtende Finanzberichterstattung für Jahresabschlüsse, Quartalsberichte und ein Prüfungsausschuss im Aufsichtsrat. All dies zusammengenommen hat den Schwung in der Börsenbundesliga merklich erhöht.

Siemens Energy profitierte mit dem Aufstieg schon jetzt von dieser umfassenden Indexreform: Die einstige Muttergesellschaft hatte ihre Energietechniktochter erst im September 2020 abgespalten – mit einer Marktkapitalisierung von 16 Mrd. EUR die größte Abspaltung eines Unternehmensteils in Deutschland. An die Börse gebracht wurde das Unternehmen zu einem Kurs von 22,01 Euro. Nach einer zunächst ernüchternden Kursentwicklung stieg die Aktie im Januar auf bis zu 34,48 EUR. Seither ist sie nur leicht gefallen, schwächelte aber kurz nach der Verkündung merklich.

Gleichzeitig legte das Papier des DAX-Absteigers Beiersdorf zu und verbesserte sich in den Tagen danach stetig. Auch Aufsteiger Encavis und Nordex konnten nicht vom Adelstitel profitieren. Seit Januar war der Kurs des MDAX-Aufsteigers deutlich gesunken. Selbst der Index-Aufstieg gab da keinen Auftrieb. Branchenkollege Nordex – einer der weltweit führenden Anbieter von Windenergieanlagen – ging es nicht besser: Seit Monaten stagniert der Kurs, sackte im Umfeld der Entscheidung regelrecht ab, erholte sich aber wieder.

Natürlich sind dies alles nur Momentaufnahmen. Abgerechnet wird, wenn Anleger die Aktien kaufen oder verkaufen. Doch zeigen die Beispiele gut, dass es den so oft bemühten Index-Bonus nicht gibt – genauso wie die prompte Abstrafung des Absteigers. Das HQ Trust, ein Multy Family Office unter anderem für die Familie Quandt – hat dieses Phänomen im vergangenen Jahr untersucht.

Es hat berechnet, dass ein DAX-Aufstieg den Neulingen in der Regel direkt nach der Aufnahme kaum Glück einbrachte. Nur in acht von 25 Fällen konnten sie in den ersten zwölf Monaten ein besseres Ergebnis abliefern als der Leitindex. Vielmehr ist wesentlich sinnvoller, die Aktien weit vor dem Einzug zu identifizieren und in das eigene Portfolio aufzunehmen – statt sie erst nach der offiziellen Verkündung zu kaufen, wenn das Papier bereits in aller Munde ist.

Auf der anderen Seite beweist Beiersdorf, dass der Ausschluss aus dem Top-Index nicht das Ende der Welt bedeutet. „Im Mittel haben die Aufsteiger im Vorfeld des Wechsels ihr Pulver bereits verschossen. Im Jahr vor dem Wechsel machen die Aufsteiger-Aktien im Schnitt fast 25% auf den DAX gut“, schrieb Marcel Müller, Leiter des Portfoliomanagements von HQ Trust.

Kursgewinne locken demnach vor dem Aufstieg, worauf offenbar inzwischen etliche Anleger setzen: „Auffällig ist, dass der Hochpunkt in der relativen Performance dieser Titel rund einen Monat vor dem Aufstieg liegt. Offensichtlich ist hier bereits auf einen Wechsel spekuliert worden.“

Großer DAX-Umbau im September

Spekuliert werden darf in den nächsten Monaten im großen Stil. Denn wem das beschleunigte DAX-Tempo noch nicht reicht: Im September dreht sich das Börsenkarussell besonders schnell. Dann wird der DAX um zehn auf 40 Aktiengesellschaften erweitert. Beiersdorf hat damit gute Chancen, gleich wieder in den Eliteindex einzuziehen. Genauso wird es mit Hellofresh passieren, das schon jetzt alle Kriterien für den DAX30 erfüllt, aber aus Fristgründen noch nicht dabei ist. Auch dass Zalando aufsteigt, gilt als sehr wahrscheinlich. Das Umschichten des Portfolios lohnt sich also. Idealerweise jetzt.

Manuel Heyden

*) Manuel Heyden (M. Sc.) ist Mitgründer und CEO von nextmarkets, Europas gebührenfreiem Neobroker aus Köln. Als CEO steht er Büros in Köln, Lissabon und Malta mit aktuell 42 Mitarbeitern vor. nextmarkets wird von führenden Wagniskapitalgebern wie Peter Thiel, Founders Fund, Christian Angermayer, Axel Springer, Falk Strascheg und der börsennotierten FinLab AG unterstützt. Neben einem der größten Angebote auf dem Markt und innovativen Finanzprodukten wie Fractional Trading oder dem eigens entwickelten Geldmarktprodukt zeichnet nextmarkets der klare Fokus auf Börsenwissensvermittlung durch kostenlose Coaches aus.