Besondere Pflicht zur Aufklärung über Inflationsrisiken

Dr. Rolf Kobabe (li.), Ingo Wegerich, Luther RAs

Law Corner von Dr. Rolf Kobabe und Ingo Wegerich, Rechtsanwälte und Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

Mit einer aktuellen öffentlichen Stellungnahme vom 27. September 2022 (ESMA35-43-3328) hat die European Securities and Markets Authority (ESMA) Wertpapierfirmen in die Pflicht genommen, auf die Auswirkungen der aktuell hohen Inflation im Rahmen ihrer Wertpapierdienstleistungen explizit hinzuweisen.

Die ESMA führt aus, dass im Hinblick auf die europaweit gestiegenen Inflationsraten (bedingt durch die Invasion Russlands in die Ukraine und die damit verbundene Verteuerung der Energie- und Rohstoffpreise) nicht nur die Lebenshaltungskosten gestiegen sind, sondern dass insbesondere Verbraucher aufgrund der hohen Inflationsraten auch in ihren Investments und ihren Investmententscheidungen nachhaltig betroffen sind.

Hierdurch seien Anleger einem besonderen Risiko ausgesetzt, da sie den Zusammenhang zwischen Inflation und Kapitalmarkt nicht erkennen würden und daher nicht verstehen, inwieweit Überlegungen zur Inflation bzw. deren Entwicklung bei Investmententscheidungen berücksichtigt werden sollten.

Alle Wertpapierfirmen werden daher an die einschlägigen Anforderungen von MiFID II erinnert, da nach Auffassung der ESMA die Wertpapierfirmen bei der Herstellung und dem Vertrieb von Anlageprodukten und bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen insbesondere für Kleinanleger eine Rolle bei der Berücksichtigung der Inflation und des Inflationsrisikos spielen können, auch um das Bewusstsein der Kunden für dieses Risiko zu schärfen.

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Um ihre Position deutlich zu machen, greift die ESMA auf einige Grundsätze der MiFID II zurück, die in Deutschland durch das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) umgesetzt wurden. Nach § 63 Abs. 6 Satz 1 WpHG (Art. 24 Abs. 3 MiFID II) müssen alle Informationen, einschließlich Marketing-Mitteilungen, die eine Wertpapierfirma an Kunden oder potenzielle Kunden richtet, redlich, eindeutig und nicht irreführend sein. Dieser allgemeine Grundsatz wird dann in den Anforderungen an die Bereitstellung von Informationen für Kunden in Kapitel III der MiFID II-Umsetzungsverordnung weiter ausgeführt.

Nach deren Art. 44 Abs. 2 muss eine Wertpapierfirma dafür sorgen, dass die relevanten Informationen folgenden Voraussetzungen gerecht werden: „b) die Informationen sind zutreffend und weisen stets redlich und deutlich auf etwaige Risiken hin, wenn sie Bezugnahmen auf mögliche Vorteile einer Wertpapierdienstleistung oder eines Finanzinstruments enthalten; … e) durch die Informationen werden wichtige Punkte, Aussagen oder Warnungen nicht verschleiert, abgeschwächt oder unverständlich gemacht; …“

Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze zu redlichen, eindeutigen und nicht irreführenden Informationen sollen nach Auffassung der ESMA die Wertpapierfirmen sicherstellen, dass die Informationen, die sie an Kleinanleger richten, in verständlicher Form die Inflationsrisiken und die möglichen Auswirkungen auf den Wert und die Rendite der Anlage wiedergeben.

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Als Beispiel führt die ESMA das Angebot eines Finanzinstruments mit einer Garantie oder einem Kapitalschutz auf, bei dem deutlich erklärt werden sollte, dass eine solche Garantie oder ein solcher Kapitalschutz die Anleger nicht vor den Auswirkungen der Inflation im Laufe der Zeit schützt und dass die inflationsbereinigte Rendite negativ sein könnte.

Weiterhin beruft sich die ESMA auf Anforderungen zur Geeignetheitsprüfung nach Art. 25 Abs. 2 MiFID II (§ 64 Abs. 3 WpHG) bzw. den Art. 54 und 55 der MiFID II-Umsetzungsverordnung sowie ihrer hierzu erlassenen Richtlinien. Hiernach erwartet die ESMA von den Wertpapierfirmen, dass sie im Rahmen der Beurteilung der Eignung als Teil der Beurteilung des Markt- und Kreditrisikos das Risiko, dass die Inflation die Performance und/oder den Wert einer Anlage untergräbt, sorgfältig berücksichtigen. In dieser Hinsicht sei es besonders wichtig, dass die Wertpapierfirmen die Anlagehorizonte ihrer Kunden sorgfältig bewerten und verstehen. Diesbezüglich sollten die internen Policies und Verfahren entsprechend geprüft und angepasst werden.

Gleichermaßen nimmt die ESMA die Hersteller und Distributoren von Finanzprodukten in die Pflicht und erwartet von ihnen – ausdrücklich zur Vermeidung strengerer Maßnahmen durch die zuständigen Aufsichtsbehörden –, dass sie den Effekt der erwarteten Inflation in ihre Product-Governance-Prozesse berücksichtigen.

Inflationseffekte sind wie erwähnt im Finanzvertrieb keine unbekannte Größe, weswegen die ESMA-Stellungnahme von den Marktteilnehmern ernst genommen werden sollte, um sich vor aufsichtsrechtlichen Maßnahmen, aber auch vor zivilrechtlichen Haftungsfolgen zu schützen. Dies bedeutet für die Hersteller von Finanzprodukten, wie z.B. Anleiheemittenten, in den Wertpapierprospekt einen ausdrücklichen wertpapierbezogenen Risikohinweis aufzunehmen und bei laufenden Emissionen entsprechend nachzutragen. Vertriebe und Finanzportfolioverwalter sollten zudem der aktuellen Entwicklung der Inflationsrate sowie deren Auswirkung auf die Werthaltigkeit von Investments bei der Beratung ihrer Kunden besondere Aufmerksamkeit schenken.