Anlässlich des Zusammenbruchs der Wirecard AG wirft Kathleen Dewandeleer, Managerin Stewardship bei Aberdeen Standard Investments, einen Blick auf die zweigeteilte Struktur der Unternehmensführung mit Vorstand und Aufsichtsrat in Deutschland und der Rolle unterschiedlicher Stakeholdergruppen – nicht zuletzt von Investoren und Portfoliomanagern – bei der Kontrolle der Governance in Unternehmen.
„Seit vielen Jahren loben Investoren die zweistufige Führungsstruktur von Aktiengesellschaften in Deutschland mit Vorstand und Aufsichtsrat. Nach der Finanzkrise 2008 regten tatsächlich einige US-Unternehmen an, von einer ein- zu einer zweigliedrigen Unternehmensführung überzugehen. Eine gut funktionierende zweigliedrige Unternehmensführung bietet schließlich größere Unabhängigkeit und klare Leitlinien für die Aufteilung von Verantwortung und Rechenschaftspflicht zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. Angesichts des jüngsten Zusammenbruchs des deutschen Zahlungsdienstleisters Wirecard steht die zweistufige Unternehmensführung jedoch auf dem Prüfstand. Daher stellt sich die Frage, ob dieses zweigliedrige Modell noch zeitgemäß ist.
Was also ist bei Wirecard alles falsch gelaufen? Der Druck auf das FinTech-Unternehmen hatte seit einiger Zeit zugenommen, ausgelöst durch eine Untersuchung der Financial Times und die Aktionen einiger Leerverkäufer. Am 18. Juni räumte das Unternehmen schließlich ein, dass die Prüfer Barmittel in Höhe von 1,9 Mrd. EUR nicht auffinden konnten. Sofort zeigten alle Finger auf den Aufsichtsrat. Die Investoren kritisierten auch, dass es die Rechnungsprüfer versäumt hätten, Unstimmigkeiten in der Buchführung des Unternehmens aufzudecken. Viele warfen der Bankenaufsicht Bafin vor, ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen zu sein. Natürlich ist Wirecard nicht der erste Unternehmensskandal in Deutschland. Da waren die Monsanto-Übernahme, die für Bayer zum Desaster wurde, der „Dieselgate“-Abgasskandal bei VW sowie die Korruptionsaffäre bei Siemens. Alle genannten Unternehmen hatten eine zweistufige Unternehmensführung.
Doch auch den Investoren kommt eine wichtige Rolle zu. Durch die umfassende Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und Governance-Faktoren (Environmental, Social and Governance, ESG) innerhalb des Anlageprozesses können Investoren unserer Meinung nach die Risiken und Chancen ihrer Engagements besser nachvollziehen. In diesem Zusammenhang halten wir es für unerlässlich, dass Portfoliomanager vor, während und nach ihren Investments regelmäßig mit Managementteams und Entscheidungsträgern sprechen. Eine aktive Stewardship-Kultur und eine offene Interaktion können den Unternehmen dabei helfen, den Blick für den eigenen Status quo zu weiten – für die Frage, wer sie sind, was sie tun und wie sie hoffen, ihre zukünftigen Ziele zu erreichen.
Doch Unternehmen agieren nicht in einem Vakuum, weshalb es wichtig ist, mit einer Vielzahl von Anspruchsgruppen zusammenzuarbeiten. Dazu gehören Regulierungsbehörden, politische Entscheidungsträger, Lieferanten, Kunden, externe Analysten, Akademiker und nichtstaatliche Organisationen. Es geht darum, ein möglichst detailliertes Bild zu zeichnen. Dazu gehört es auch, festzustellen, wo Unternehmen bei ihrer Governance versagen. Wie das Beispiel Wirecard jedoch zeigt, ist Betrug oftmals nur schwer zu erkennen, unabhängig von der Vorstandsstruktur. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um einen „ausgeklügelten und raffinierten“ Betrug handelt, wie Ernst & Young, der Prüfer von Wirecard, es formulierte. Wir alle müssen daher unsere ESG-Aktivitäten weiter verbessern und das Engagement bei den Unternehmen in den Mittelpunkt des Investmentprozesses stellen.“
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