Weberbank-Marktkommentar: Für ein paar Dollar mehr

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An den Kapitalmärkten scheint die Coronakrise im Rückspiegel immer kleiner zu werden und die Mehrheit der Akteure hat den Blick schon längst nach vorn gerichtet. Welche Themen die Anleger im Moment beschäftigen, erfahren Sie in dieser Ausgabe von Finanzmarkt aktuell. Ein Kommentar von Hannah Thielcke, Portfoliomanagerin bei der Weberbank AG.

Für ein paar Dollar mehr
Im Showdown der Notenbanken läutete die US-Notenbank (Fed) letzten Donnerstag eine neue Runde ein. In Zukunft wird die Fed nun einen Inflationsdurchschnitt von 2% anpeilen und damit auch für gewisse Zeit ein deutliches Überschießen der Inflationsrate tolerieren. Das bedeutet vor allem, dass der Leitzins auf absehbare Zeit nicht angehoben werden wird – ein weiterer ultraexpansiver Schritt für die Geldpolitik.

Auf der anderen Seite des Atlantiks erhöht dies den Druck auf die EZB, insbesondere durch den zuletzt extrem starken Euro und eine gleichzeitig überraschend niedrige Inflation. Der stärkere Euro drückt damit weiter auf die ohnehin schon schwache Inflation, da so Importgüter automatisch günstiger werden und kann die EZB bald zum Eingreifen bewegen. Die Bereitschaft dazu hat die EZB in dieser Woche schon verkündet. Allein diese Nachricht konnte den EUR/USD Kurs zunächst unter der Marke von 1,20 stabilisieren.

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Während die Zentralbanken also weiterhin im Krisenmodus unterwegs sind und oft an mehreren Fronten kämpfen, ist die Politik – zumindest in den USA – schon wieder in Grabenkämpfe verwickelt. Der Wahlkampf hat begonnen und die Konsensfindung für neue dringend benötigte Covid-19-Hilfspakete für Wirtschaft und Haushalte wird zunehmend schwieriger. Stattdessen feuert US-Präsident Trump auf Twitter gegen Joe Biden und lobt sich für neue Allzeithochs des Nasdaq 100 Index, die er auf seine erfolgreiche Politik der letzten Jahre zurückführt. Für angeschlagene private Haushalte und Unternehmen tickt allerdings eine Zeitbombe.

In Europa sorgt das durch die Staats- und Regierungschefs vorläufig beschlossene Rettungspaket nach wie vor für einen positiven Blick in die Zukunft. Aktuelle Zahlen aus Industrie und Einzelhandel für die Monate Juli und August unterstreichen dabei einmal mehr, wie unterschiedlich die europäischen Staaten von der Krise getroffen werden. Während in der deutschen Industrie die Erholungsbewegung in vollem Gange ist, kämpft zum Beispiel der Dienstleistungssektor in Italien nach wie vor mit den Auswirkungen der Krise. Auch die erneute Reisewarnung für ganz Spanien trifft den für das Land so enorm wichtigen Tourismussektor schwer. Diese heterogene Erholung zeigt, wie bedeutend die Entscheidung der Europäischen Union für eine solidarische Unterstützung der am stärksten getroffenen Staaten ist. Leider ist auch hier noch nicht die Kuh vom Eis – das EU-Parlament muss noch zustimmen und hat bereits Nachbesserungsbedarf angekündigt.

Moderne Zeiten
In China ist der Blick indes wieder voll auf große Zukunftsprojekte gerichtet und der Ausbau der Hochgeschwindigkeitszüge zur Integration wichtiger Ballungszentren sowie die Investition in 5G-Infrastruktur läuft wieder nach Plan. Der starke staatliche Fokus auf die investitionsgetriebene Unterstützung der Wirtschaft funktioniert, während der chinesische Verbraucher sich weiterhin in Zurückhaltung übt. Dies liegt nicht zuletzt an den fehlenden Hilfsprogrammen für private Haushalte, wie wir sie in Europa und den USA gesehen haben. Insgesamt kommt die chinesische Volkswirtschaft im internationalen Vergleich jedoch mit am besten durch die Krise und wird im Jahr 2020 eines der wenigen Länder mit positivem Wirtschaftswachstum sein.

Mit großer Sorge schauten Anleger hingegen in den letzten Monaten in Richtung Brasilien, wo der rasante Anstieg der Neuinfektionen die wirtschaftliche Aktivität und die Stimmung privater Haushalte drückte. Zuletzt gemeldete Vorlauf-Indikatoren und erste Daten zur Industrieproduktion legen allerdings nahe, dass Brasilien insbesondere im Vergleich zum Rest des Kontinents wie Phönix aus der Asche aus der Krise hervorgehen könnte. Obwohl die politische Unsicherheit hoch bleibt, ist hier das Potenzial für eine deutliche Aufhellung der Anlegerstimmung vorhanden.

Hannah Thielcke, Weberbank

Die Welt ist nicht genug
Die weiterhin enorm expansive Geldpolitik in den Industrieländern treibt Anleger weiterhin in Sachanlagen. So scheinen einige Anleger Technologieaktien mittlerweile als sicheren Hafen zu sehen. In der Tat scheinen die Kurse dieser Aktien aktuell keine Grenzen zu kennen. Kritiker weisen hier vermehrt auf die Dotcom-Blase Ende der 1990er Jahre hin. Ein großer Unterschied zu den damals gehypten Unternehmen ist allerdings, dass die jetzigen Überflieger zwar luftige Bewertungen aufweisen, jedoch schon heute profitable Geschäftsmodelle und somit ordentliche Gewinne vorweisen können. Auch in Gold fließt weiter täglich neues Geld – Investoren vertrauen auf das Edelmetall als rettenden Anker in Zeiten negativer Realverzinsung. Die Kombination aus expansiver Notenbankpolitik und gleichzeitig höheren angestrebten Inflationsraten wirkt so doppelt unterstützend für Gold. In diesem Umfeld bleibt es wichtiger denn je, nicht blind auf jeden fahrenden Zug aufzuspringen und stattdessen das Augenmerk auf eine genaue Selektion zu legen.

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