Law Corner von Dr. Mirko Sickinger, LL.M., Rechtsanwalt und Partner, Sven Radke, LL.M., Rechtsanwalt und Salaried Partner, und Lena Pfeufer, Rechtanwältin und Salaried Partnerin, HEUKING
>> aus BondGuide #25-2024 vom 13. Dez. <<
Am 14. November 2024 wurde der sog. EU Listing Act im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht, der insbesondere im EU-Prospektrecht zu weitreichenden Änderungen führen wird. Dadurch ergeben sich auch für Emittenten von Anleihen neue Ausnahmen und Erleichterungen. In diesem Beitrag sollen eine Schneise in das Dickicht der europarechtlichen Vorschriften geschlagen und die neu geschaffenen Möglichkeiten und Vorteile aus der Sicht von Anleiheemittenten dargestellt werden.
Prospektbefreiung bei Emissionen von bis zu 12 Mio. EUR
Ein öffentliches Angebot von Anleihen wird zukünftig (konkret: ab dem 5. Juni 2026) bis zu der Grenze eines Gesamtgegenwertes von bis zu 12 Mio. EUR (anstatt wie bisher von bis zu 8 Mio. EUR) innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten prospektfrei möglich sein. Zwar kann der nationale Gesetzgeber diese Grenze auf bis zu 5 Mio. EUR herabsenken. Es bestehen allerdings derzeit keine Anzeichen dafür, dass der deutsche Gesetzgeber hiervon Gebrauch machen wird.
Für die Berechnung des aggregierten Gesamtvolumens kommt es auf den Umfang der während des 12-Monatszeitraums angebotenen (d.h. nicht der ausgegebenen) Wertpapiere (d.h. entweder Aktien und/oder Anleihen) des Emittenten an. Abweichend von der bisherigen Verwaltungspraxis sind auch Angebote völlig gattungsverschiedener Wertpapiere aufeinander anzurechnen. Die Neuregelung enthält also auch eine Verschärfung zu Lasten der Emittenten: Während im Juli 2025 z.B. noch öffentliche Angebote über Aktien in einem Volumen von bis zu 7 Mio. EUR und parallel von Anleihen in einem Volumen von bis zu 7 Mio. EUR möglich sind, wären derartige parallele öffentliche Angebote ab dem 5. Juni 2026 zunächst nicht mehr prospektfrei möglich.
Die Neuregelung kann sogar „rückwirkend“ Nachteile für Emittenten entfalten: Hat ein Emittent im Juli 2025 die genannten 7 Mio. EUR Aktien öffentlich angeboten, kann bei erstmaliger Anwendung der neuen Vorschrift am 5. Juni 2026 ein öffentliches Angebot über Anleihen zunächst nur noch im Gegenwert von bis zu 5 Mio. EUR prospektfrei erfolgen. Statt einer Anhebung des prospektfreien Gesamtvolumens kann es also Fälle geben, in denen sich das prospektfreie Volumen reduziert.
Sofern von der volumenmäßigen Prospektbefreiung Gebrauch gemacht wird, ist – wie bisher – anstelle eines Prospekts lediglich ein maximal 3-seitiges Wertpapierinformationsblatt (WIB) zu erstellen.
Prospektausnahmen bei Sekundäremissionen
Neben der vorerwähnten künftigen Erweiterung der volumenmäßigen Prospektbefreiung gelten bereits jetzt schon zwei neue Prospektausnahmen für sogenannte Sekundäremissionen. Hierfür muss der Emittent bereits Anleihen begeben haben, die zum Handel an einem regulierten Markt oder an einem KMU-Wachstumsmarkt (in Deutschland ist dies nur das Scale-Segment der Frankfurter Wertpapierbörse) zugelassen sind.
Ferner müssen die neu zu begebenden Anleihen mit den bereits zugelassenen Anleihen „fungibel“, d.h. austauschbar, sein. Dies setzt voraus, dass die neuen und alten Anleihen hinsichtlich Laufzeit, Zinssatz, Art der Verzinsung und Endfälligkeit identisch sind. Damit können die Prospektausnahmen im Ergebnis nur für eine Erhöhung des Volumens einer bereits ausgegebenen Anleihe genutzt werden.
Sofern die vorstehenden Voraussetzungen vorliegen, besteht sowohl eine volumenmäßig beschränkte als auch eine volumenmäßig unbeschränkte Prospektausnahme:
– Nach der volumenmäßig beschränkten Prospektausnahme können über einen 12-Monatszeitraum neue Anleihen in einem Volumen von weniger als 30% (d.h. 30% minus eine Teilschuldverschreibung) prospektfrei sowohl öffentlich angeboten als auch zu demjenigen regulierten Markt zugelassen werden, zu dem die (alte) Anleihe bislang zugelassen ist.
– Sofern die Zulassung der bereits begebenen Anleihen zum regulierten Markt oder KMU-Wachstumsmarkt bereits über einen Zeitraum von mindestens 18 Monaten bestanden hat, können neue Anleihen sogar in unbegrenzter Höhe öffentlich angeboten und zu jedem beliebigen regulierten Markt zugelassen werden.
Die vorgenannten Prospektausnahmen für Sekundäremissionen sind allerdings dann nicht anwendbar, wenn das Unternehmen sich in einem Insolvenzverfahren oder einer Umstrukturierungssituation (einschließlich einer Übernahmesituation) befindet.
Sofern die Prospektausnahme in Anspruch genommen wird, ist anstelle eines Prospekts lediglich ein 11-seitiges Dokument zu erstellen. Dieses bedarf auch keiner Genehmigung der BaFin, sondern ist lediglich bei dieser zu hinterlegen.
EU-Folgeprospekt
Sofern von der volumenmäßigen Prospektbefreiung oder den Prospektausnahmen für Sekundäremissionen kein Gebrauch gemacht werden kann oder soll, besteht darüber hinaus ab dem 5. März 2026 die Möglichkeit, den neuen EU-Folgeprospekt zu erstellen. Dieser ersetzt den bisherigen vereinfachten Prospekt für Sekundäremissionen.
Voraussetzung ist auch hier, dass der Emittent bereits Wertpapiere (Anleihen oder Aktien) begeben hat, die seit mindestens 18 Monaten zum Handel an einem Regulierten Markt oder KMU-Wachstumsmarkt zugelassen sind.
Der EU-Folgeprospekt kann sowohl für die Zulassung als auch das öffentliche Angebot von neuen Anleihen genutzt werden. Er ist nicht auf die Ausgabe fungibler Wertpapiere beschränkt, so dass er auch für die Emission neuer, inhaltlich anders ausgestalteter Anleihen genutzt werden kann.
Der EU-Folgeprospekt hat eine maximale Länge von 50 Seiten und ist damit wesentlich kürzer als der bisherige Prospekt für Sekundäremissionen.
EU-Wachstumsemissionsprospekt
Auch für den Fall, dass ein Emittent noch keine börsenzugelassenen Wertpapiere ausgegeben haben sollte, schafft der EU Listing Act ab dem 5. März 2026 durch den neuen EU-Wachstumsemissionsprospekt erhebliche Erleichterungen. Dieser richtet sich an (i) KMU; (ii) Emittenten, deren Wertpapiere an einem KMU-Wachstumsmarkt notieren oder notieren sollen und (iii) öffentliche Angebote, die innerhalb von 12 Monaten einen Gesamtwert von 50 Mio. EUR (bislang: 20 Mio. EUR) nicht überschreiten (in letzterem Fall allerdings nur dann, wenn der Emittent u.a. nicht mehr als 499 Mitarbeiter beschäftigt).
Der EU-Wachstumsemissionsprospekt kann aber nur für das öffentliche Angebot und nicht für die Zulassung zu einem regulierten Markt genutzt werden.
Für Aktien ist für den EU-Wachstumsemissionsprospekt eine ausdrückliche Begrenzung auf 75 Seiten vorgesehen. Zwar fehlt für Anleihen eine solche ausdrückliche Begrenzung des Umfangs. Allerdings ist davon auszugehen, dass bei Anleihen diese Grenze ebenfalls nicht über-, sondern eher unterschritten werden wird.
Fazit
Der EU Listing Act schafft für Anleiheemittenten wesentliche Erleichterungen und damit neue Spielräume für die Ausgabe von Anleihen. Es bleibt zu hoffen, dass die Unternehmen von diesen Möglichkeiten Gebrauch machen werden und es zu der vom EU-Gesetzgeber beabsichtigten Belebung des Kapitalmarkts kommt.
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