Deminor: „Sind in Deutschland in der Prozessfinanzierung leider einige Jahre hinterher“

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Auf den ersten Blick nicht das einfachste Thema: Prozessfinanzierung. Auf den zweiten wird klar: Das könnte durchaus Sinn machen für KMUs. BondGuide sprach mit dem Deutschlandchef von Deminor, Felix von Zwehl.

BondGuide: Herr von Zwehl, zunächst einmal: Wer ist Deminor und wofür steht der Unternehmensname?
von Zwehl: Wir sind ein Prozessfinanzierer mit internationaler Ausrichtung, der mit eigenem Büro in Deutschland vertreten ist und das Geschäft hierzulande weiter ausbaut. Dabei decken wir einerseits die Finanzierung von Wirtschaftsstreitigkeiten, Anlegerklagen und Kartellklagen ab. Zum anderen verstehen wir uns aber auch als strategischer Partner unserer Kunden. Will heißen: Wir können für einen Kunden quasi als verlängerte Werkbank der Rechtsabteilung die komplexen Prozesse mit Rechtsanwälten und Experten steuern und unser Backoffice kann große Mengen Daten verarbeiten und analysieren. Wir sind also mehr als nur ein Finanzierer von Rechtsverfahren. Unsere unternehmerischen Wurzeln haben wir in der Beratung von Minderheitsaktionären, daher stammt auch unser Name, der sich vom französischen Wort défense des minoritaires ableitet. Unsere Erfolgsquote bei Rechtsstreitigkeiten liegt bei mehr als 80% und damit über dem Branchendurchschnitt.

BondGuide: Sie möchten sich stärker auf dem deutschen Markt für Prozessfinanzierung engagieren. Gibt es denn Besonderheiten in Deutschland, die man kennen sollte?
von Zwehl: Wir sehen am deutschen Markt hohes Potenzial im Bereich der Prozessfinanzierung. Historisch gesehen, war Prozessfinanzierung in Deutschland in den letzten 20 Jahren eher etwas für finanzschwache Verbraucher, die Ihr Recht nur mithilfe der Prozessfinanzierung durchsetzen konnten. Dieses Bild hat sich mittlerweile stark gewandelt. Gerade finanzstarke Unternehmen sehen eine Möglichkeit, Prozessrisiken abzusichern und dadurch in der Lage zu sein, mehr werthaltige Ansprüche zu verfolgen. Zudem ist Prozessfinanzierung eine gute Möglichkeit für Unternehmen, die eigene Bilanz frei von bereits angefallenen bzw. zukünftigen Kosten zu halten, da die Kosten ja vom Prozessfinanzierer und nicht dem Unternehmen getragen werden. Das Unternehmen, das einen Prozessfinanzierer einbindet, muss so für diesen Teil auch keine Rückstellung bilden. Immer mehr deutsche Unternehmen erkennen die Vorteile, Prozess- und Gerichtskosten auf Dritte auszulagern. Im angelsächsischen Raum hat sich diese Erkenntnis schon seit vielen Jahren durchgesetzt: Wir in Deutschland sind nur ein paar Jahre der Entwicklung hinterher.

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BondGuide: Wie muss sich ein Laie den Ablauf der Prozessfinanzierung vorstellen, was sind die einzelnen Schritte dabei?
von Zwehl: Wenn ein potenzieller Kunde, ein Unternehmen oder aber auch ein Investor, proaktiv auf uns zukommt, prüfen wir im ersten Schritt zunächst den Fall und bewerten die Erfolgsaussichten aus juristischer Sicht. Bei Deminor sind wir mit wenigen Ausnahmen fast alles ehemalige Rechtsanwälte, so dass die Prüfung auch sehr komplexer Fälle auf Augenhöhe mit den Rechtsanwälten erfolgt. Daneben prüfen wir, ob unser Investment in einen Fall aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll ist. Relevante Kriterien sind neben den Erfolgsaussichten auch die voraussichtlichen Verfahrenskosten und die Verfahrenslänge. So unterscheiden wir uns nicht von anderen Unternehmen wie Private Equity, die die Finanzierungsentscheidung auf Grundlage gewisser Kennzahlen treffen.

BondGuide: In Ihrer Erfolgsbilanz findet man namhafte Rechtsstreitigkeiten wie u.a. Steinhoff, Parmalat oder auch Lehman Brothers. Was war denn der spektakulärste Fall Ihrer Ansicht nach und warum?
von Zwehl
: Bei Deminor haben wir in den letzten 30 Jahren viel gesehen. Es ist daher nicht ganz einfach, einen einzigen Fall herauszugreifen. Ein Meilenstein für Deminor war sicherlich der Fortis-Fall, bei dem im Zusammenhang mit der Übernahme von ABN Amro der Kapitalmarkt falsch informiert wurde. Deminor ist einer der wesentlichen Architekten des Vergleichs über 1,2 Mrd. EUR, dem höchsten jemals in Europa abgeschlossenen in diesem Bereich. In Deutschland sticht sicherlich die aktuell noch laufende Anlegerklage gegen Volkswagen im Zusammenhang mit dem Dieselskandal heraus. Beeindruckend sind hier neben der medialen Präsenz sicherlich auch das Schadensvolumen unserer Kunden im hohen dreistelligen Millionenbereich und der Umgang mit den Fakten seitens Volkswagen.

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BondGuide: Kartellklagen scheinen zuzunehmen. Liegt es daran, dass zunehmend gigantomanische Unternehmen wie Meta, Apple oder Facebook entstehen?
von Zwehl: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den Sie ansprechen. Insbesondere in der Tech-Branche sieht man eine starke Konzentrierung auf mächtige Großkonzerne, also ebenjene Tech-Giganten, die Sie nannten. Hier herrscht eine ungleiche Machtverteilung, so dass kleinere Unternehmen mit ähnlichen Geschäftsmodellen kaum eine Chance haben. Behördliche Kartellstrafen werden einfach in Kauf genommen, da diese Konzerne sich auch nach Zahlung der Strafe insgesamt einen wirtschaftlichen Vorteil von dem wettbewerbswidrigen Verhalten erwarten. Kommt es dann noch zu einem Rechtsstreit zwischen kleineren Unternehmen und einem Großkonzern, sind Letztere finanziell besser aufgestellt und haben meist auch besseren Zugang zu den besten Rechtsanwalts-Teams. Das finanzielle Risiko ist gerade für kleinere Unternehmen, aber auch für den Mittelstand ohne Prozessfinanzierung hoch. Wir geben also auch kleineren Parteien die Möglichkeit, auf Augenhöhe gegen dominante Gegner vorzugehen – ohne das Risiko, sich finanziell zu übernehmen.

BondGuide: … es sind aber auch scheinbar weniger populäre Fälle wie das ‚Lkw-Kartell‘ darunter. Wird die aktuell kritische Lage der Wirtschaft erfahrungsgemäß eine Zunahme unerlaubter Absprachen befördern? – selbstverständlich aus Sicht der Betroffenen lediglich zum Selbstschutz.
von Zwehl: In der Tat haben Unternehmen in der Vergangenheit auf einen höheren Preisdruck entweder durch ein sich änderndes Wettbewerberumfeld oder eine sich abschwächende Nachfrage oft mit Preisabsprachen reagiert. Zutreffend ist dies besonders für eher homogene Produkte, wie beispielsweise Zement. Hauptargument der Unternehmen war immer, einen ruinösen Preiskampf verhindern zu müssen. Aktuell ist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage noch hoch, aber wir sehen bereits erste Tendenzen einer deutlichen Abkühlung. Ob Unternehmen sich ähnlicher wettbewerbswidriger Absprachen bedienen werden, ist schwierig vorherzusehen. Heute ist die Sensibilität innerhalb von Unternehmen, was erlaubt und was verboten ist, sehr viel höher.

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BondGuide: Ist die Prozessfinanzierung auch für den Bondmarkt spannend?
von Zwehl: Die Prozessfinanzierung ist natürlich auch für Anleihegläubiger ein Thema im Falle eines Schadens, der vom Emittenten verursacht wurde. Insbesondere fehlerhafte Ratings können schwere finanzielle Folgen für den Bondholder verursachen. So haben wir im Rahmen des sog. Dieselskandals auch gesehen, dass Anleihen unter Druck gekommen sind. Einige Investoren mussten z.B. durch veränderte Ratings ihre Position zu schlechten Konditionen verkaufen und einen Verlust hinnehmen. Der hierdurch entstandene Schaden kann abhängig von der jeweiligen Fallkonstellation ein Fall für eine Prozessfinanzierung sein.

Felix von Zwehl, Deminor Deutschland

BondGuide: Könnten Sie dieses Szenario für unsere Leser noch etwas detaillierter ausführen?
von Zwehl
: Nehmen wir mal ganz fiktiv an, ein DAX-Unternehmen erhält ein Rating für seine Anleihe, die eine sehr gute Bonität aufweist. Durch gravierendes Fehlverhalten des Vorstands kommt es aber nun zu einer Rating-Abwertung. Investoren, bei denen ein bestimmtes Rating Voraussetzung für eine Investition ist, müssen statutgemäß die Anleihe verkaufen, auch wenn hierdurch ein deutlicher Verlust erlitten wird. Das Rating zeigt ja an, dass das Ausfallrisiko der Anleihe und damit das finanzielle Risiko des Investors gestiegen ist. Insbesondere für institutionelle Anleger können damit Schäden in Höhe von vielen Millionen Euro entstehen. Im Falle eines solchen Szenarios haben die Verwalter die Pflicht, die Aussichten auf eine Entschädigung für die Anleger zu prüfen. Bei der gerichtlichen Durchsetzung kann eine Prozessfinanzierung also helfen.

BondGuide: Herr von Zwehl, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit und die überaus detaillierten Einblicke!

Interview: Falko Bozicevic