Deutschlands Fintechs: Rekordinvestitionen – doch Wettbewerbsfähigkeit ist nur zweitklassig

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Deutschlands Fintech-Szene scheint es prächtig zu gehen: 2021 steckten Investoren hierzulande laut KPMG 5,4 Mrd. USD in die Finanz-Startups. Damit so viel wie noch nie und eine Verdoppelung gegenüber 2020. Die Rekordzahlen zeigen sich auch eindrucksvoll in den Unternehmen. Malte Rau*, CEO von pliant, über den Fintech-Standort Deutschland:

Etliche Fintechs wie beispielsweise N26 sind inzwischen längst über den Unicorn-Status hinausgewachsen. Die Internetbank hatte im Herbst weitere 900 Mio. USD eingesammelt und wurde zu diesem Zeitpunkt mit 9 Mrd. USD bewertet. Im Juni 2021 erhielt wiederum das Versicherungs-Startup Wefox 650 Mio. USD, was eine Bewertung von 3 Mrd. USD bedeutete. Inzwischen dürften es bei beiden Unternehmen deutlich mehr sein. Beste Verhältnisse also, könnte man meinen; zumal die Milliardenzuflüsse Innovationen ermöglichen, von denen Kunden und Markt profitieren.

Großbritannien: Die Champions League der Fintechs
Trotzdem spielt die ganz laute Musik woanders, vor allem in Großbritannien, dem global führenden Standort. Nicht nur gibt es dort – zumeist am Traditionsfinanzplatz London – wesentlich mehr Investitionen, und zwar 37 Mrd. USD (gegenüber den 5,4 Mrd. USD in Deutschland). Hier laufen auch die meisten Deals ab: Von den zehn größten Transaktionen in Europa 2021 fanden fünf im Vereinigten Königreich statt, drei in Schweden und je eins in Dänemark und den Niederlanden. Dass Schweden und Dänemark hier gleich viermal vertreten sind, ist kein Zufall und beweist ebenfalls die Stärke der dortigen Fintech-Szene. Die nordischen Länder zusammengenommen übertreffen bei den Investitionen mit 18,5 Mrd. USD Deutschland bei weitem, trotz viel geringerer Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft.

Bei all der Freude über Finanzierungsvolumen, Neugründungen und Unicorns müssen wir also realistisch einschätzen, dass wir im Vergleich eher im Mittelfeld der Liga spielen. Warum ist das so?

Fokus auf alte Strukturen und Prozesse
Ein Grund liegt im Bereich „Politik und Regulierung“. Immerhin gab es bis vor einigen Monaten den Fintech-Rat, angesiedelt im Bundesfinanzministerium – dessen vorheriger Chef nun Bundeskanzler ist. Die Bilanz des Fintech-Rats schätzte der bisherige Vorsitzende Chris Barz, CEO und Co-Founder der Elinvar GmbH, in einem Interview als positiv ein. Der Rat habe sich bewährt, strategische Entscheider haben wichtige Impulse gesetzt. Dann jedoch folgt, zwar diplomatisch ausgedrückt, ein großes Aber: „Es bleibt viel zu tun. So sind beispielsweise die regulatorischen Rahmenbedingungen in ihrem Kern weiterhin auf traditionelle Prozesse und Strukturen ausgerichtet“, kritisiert er den Fokus auf die etablierten Finanzinstitute. Barz betonte daher: „Die nächste Legislaturperiode wird entscheidend für unsere globale Wettbewerbsfähigkeit in diesem Bereich.“ Wenig ambitioniert klingt daher die entsprechende Passage im Koalitionsvertrag der Bundesregierung: „Für Fintechs, Insurtechs, Plattformen, Neobroker und alle weiteren Ideengeber soll Deutschland einer der führenden Standorte innerhalb Europas werden.“ Einer, nicht DER.

Frankreich: Direkter Draht zum Präsidenten
In Frankreich, einem Zentralstaat, erhält die Branche politische Unterstützung von ganz oben: von Emanuel Macron persönlich, einem ehemaligen Investmentbanker, der schon mal zu Branchenevents und Firmenfeiern eilt. In Deutschland gibt es da kein Äquivalent und riesige Kompetenzüberschneidung, laut Barz vor allem bei den Themen „digitalen Identitäten“, Cloud und Datenschutz. Hier zeigt sich die Schattenseite des deutschen Föderalismus, wo Gesetzestexte in jedem Bundesland anders interpretiert werden. „So wird echte Verlässlichkeit ausgehebelt und stattdessen zur Regulierungsarbitrage eingeladen – typischerweise zum Nachteil von Unternehmen mit Sitz in Deutschland“, so Barz. Folge: Französische Fintechs expandieren nach Deutschland und fordern deutsche Platzhirsche heraus.

Großbritanniens Erfolg hat natürlich etwas mit seinem traditionsreichen Finanzplatz London zu tun, aber auch mit dem BrExit, so schmerzlich er für viele ist. Zumal auch vorher UK bekanntlich immer seine Unabhängigkeit zu wahren gesucht hat – anders als Deutschland, wo bei EU-Regulierungen oft noch etwas draufgesetzt wird.

Die Registrierungspflicht wegen Geldwäsche etwa treibt hierzulande Fintechs mit Krypto-Features weg. Dabei machten Investments in den Krypto-Bereich weltweit 30 Mrd. USD im Jahr 2021 aus, sechsmal so viel wie im Vorjahr. So wichtig solche Vorgaben sind – dieses Beispiel zeigt bestens, dass sich bei fehlender Einheitlichkeit die Firmen rasch andere Standorte suchen.

Malte Rau, CEO, pliant

Die Abschlussbilanz des Fintech-Rats trägt denn auch den Titel „Roadmap Europe“. Darin wird als erster Punkt gefordert, „Initiativen zum Abbau von Hindernissen für grenzüberschreitende Tätigkeiten zu stärken.“ Denn: „Die Anbieter innovativer Dienstleistungen erzielen häufig in ihren Heimatmärkten nicht die erforderlichen Skaleneffekte, um Innovationen zum Durchbruch zu verhelfen und einen europaweiten Kundennutzen zu stiften.“

Die von der KPMG dokumentierten Milliardendeals zeigen: Der Markt befindet sich in der Konsolidierungsphase; die Pionierzeiten sind für die meisten Geschäftsbereiche weitestgehend vorbei. Nun gilt es, alles dafür zu tun, dass Deutschland vom Mittelfeld in den Titelkampf einsteigt.

*) Malte Rau ist CEO und Co-Gründer des Berliner Fintechs pliant. Seit über zehn Jahren arbeitet er im Fintech- und Bankenbereich mit Stationen bei KPMG, der Kreditkartenplattform auxmoney und Rocket Internet. Sein Anspruch ist es, mit pliant die digitale Kreditkartenlösung für maximale Flexibilität und Ersparnis an Unternehmen zu bringen.