Insolvenzwelle im Einzelhandel: Ein Blick auf die Fundamentaldaten offenbart die unterschiedlichen Herausforderungen

Zwischen stationärem Einzelhandel und Onlinegeschäft bestehen offensichtliche Unterschiede – erklärt am Beispiel CECONOMY. Von Vladislav Krivenkov*

Anfang September schlug die Nachricht vom Insolvenzverfahren des traditionsreichen Schuhhändlers Görtz hohe Wellen. Der stationäre Einzelhandel ist in einer Stresssituation, da die hohe Inflation das verfügbare Einkommen von Verbrauchern spürbar schmälert. Hinzu kommt, dass – anders als im Online-Handel – die vielen Filialen geheizt und beleuchtet werden müssen. Hier schlagen die gestiegenen Energiepreise auf die Kostenseite des stationären Einzelhandels voll durch.

Als in diesem fragilen Umfeld die Ratingagentur Moody’s verkündete, die Bonitätsbewertung für den CECONOMY-Konzern (MediaMarkt/Saturn) auf der Skala um gleich zwei Stufen tiefer, auf das Niveau „Ramschanleihen“, herabzustufen, explodierten in der Folge die Prämien für Kreditausfallversicherungen auf die CECONOMY AG. Dass es beim Elektrogeräte-Händler innerhalb des nächsten Jahres zu einer Insolvenz kommt, wurde in der Spitze mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 35% bewertet, so dass sich hier berechtigterweise die Frage stellt, ob die CECONOMY AG ein Insolvenz-Kandidat ist.

Denn ebenso die Aktienkursentwicklung des Unternehmens zeichnet kein optimistisches Bild der aktuellen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens. Von Anfang Januar 2021 bis Ende September 2022 büßte das Unternehmen knapp 80% seines Börsenwerts ein.

Einzelhandel : CECONOMY als Bestandsverwalter eines langsam auslaufenden Geschäftsmodells

Der Blick auf die Fundamentaldaten von Görtz und CECONOMY quantifiziert jedoch deutlich die unterschiedlichen Ausprägungen der strukturellen Herausforderungen, mit denen die beiden Einzelhändler konfrontiert sind. Während Fashion-Retailer nur einer begrenzten Beratungsnachfrage ausgesetzt sind („Haben Sie den Schuh auch eine Nummer größer?“) und dadurch immer mehr durch den Onlinehandel verdrängt werden, kann der Elektrogeräte-Händler CECONOMY von der Komplexität seiner Produkte profitieren und die Verdrängung durch den Onlinehandel zumindest etwas verlangsamen.

Die Corona-Pandemie verstärkte zusätzlich den Trend zum Online-Shopping. Die Lockdown-Phasen trafen Görtz schwer. Während das Corona-Jahr 2020 bei Görtz einen Umsatzeinbruch von mehr als 20% verursachte, ist beim Betreiber der MediaMarkt- und Saturn- Märkte die Corona-Pandemie in der Umsatzentwicklung nicht sichtbar.

Obwohl dies auf den ersten Blick als eine positive Nachricht aufgefasst werden könnte, offenbart es bei genauer Betrachtung die Tatsache, dass CECONOMY nicht von einer Nachfrage auf Home-Office Equipment profitieren konnte. Auch gab es keinen positiven Effekt auf die seit Jahren fallende Gewinnmarge des Unternehmens.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Inflationszahlen erstaunt die Tatsache, dass der Umsatz von CECONOMY im ersten Halbjahr 2022 knapp auf dem Niveau vom ersten Halbjahr 2019 liegt und da, obwohl das statistische Bundesamt für diesen Zeitraum eine Preissteigerung bei Elektrogeräten von rund 8% meldete. Damit wirkt die CECONOMY wie ein Bestandsverwalter eines langsam auslaufenden Geschäftsmodells im Kontext Einzelhandel.

Überreaktion am CDS- und Anleihemarkt oder Signal für wirtschaftliche Schieflage?

Trotz der strukturellen Herausforderungen, denen CECONOMY ausgesetzt ist und der schwachen Ertragskraft des Unternehmens, wirkt die Reaktion als Folge des Rating-Downgrades wie eine Überreaktion. Anders als Görtz steht CECONOMY, dank seiner zwar nicht sonderlich profitablen, aber mehr oder minder konstanten Geschäftsentwicklung keiner unmittelbaren bilanziellen Überschuldung gegenüber. Auch stehen bis 2024 keine Fälligkeiten von Anleihen oder Schuldscheindarlehen an, die das Unternehmen bei einer gescheiterten Refinanzierung in eine Liquiditätskrise bringen könnten. Des Weiteren kann CECONOMY die Zinszahlungen für die Finanzverbindlichkeiten aus Überschüssen des operativen Geschäfts bedienen.

Die Anmeldung einer Sanierung in Eigenverwaltung, wie es Görtz tat, um den Konzern schwerwiegenden Umstrukturierungen zu unterziehen, würde dem Elektronikhandelskonzern den Zugang zum Kapitalmarkt kosten. Bei einem Schuldenstand von 2,9 Mrd. EUR in Form einer Anleihe und mehreren Schuldscheindarlehen scheint dies keine Option.

Anleihen bei 15% Rendite p.a. – und eine zyklische Aktie

Vladislav Krivenkov

Auch wenn die Bäume bei der CECONOMY AG nicht in den Himmel wachsen und die Einzelhandelsbranche strukturellen Herausforderungen ausgesetzt ist, so scheint das aktuelle Niveau von Anleihe und Aktie übertrieben. Die CECONOMY-Anleihe mit Fälligkeit im Jahr 2026 weist noch eine Rendite von gut 14% p.a. aus. Auch die Aktie ist durch die bisherigen Rezessionssorgen stark unter die Räder gekommen. Für risikoorientierte Anleger könnten sich hier interessante Einstiegsopportunitäten bieten.

*) Vladislav Krivenkov ist Portfoliomanager bei der nordIX AG

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