Virtuelle Hauptversammlungen auch im Jahr 2022 – und darüber hinaus

Dr. Lutz Pospiech (li), Claus Christopher Schiller, GÖRG

Law Corner von Dr. Lutz Pospiech, Rechtsanwalt, Claus Christopher Schiller, Rechtsanwalt, GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München/Köln

Im März 2020 wurde aufgrund der COVID-19-Pandemie die Möglichkeit zur Abhaltung virtueller Hauptversammlungen ohne physische Präsenz der Aktionäre geschaffen. Die anfangs nur für das Jahr 2020 vorgesehene Möglichkeit wurde in der fortdauernden Pandemie zunächst für das Kalenderjahr 2021 und kurz vor der Bundestagswahl nochmals bis zum 31.08.2022 verlängert. Nunmehr haben die Parteien der Ampelkoalition in ihren Koalitionsvertrag erfreulicherweise aufgenommen, dass „Online-Hauptversammlungen“ dauerhaft geschaffen werden sollen.

Verlängerter Zeitraum
Der Gesetzgeber hat auf den Druck aus der Praxis und die weiterhin bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der COVID-19-Pandemie reagiert. Durch die Verlängerung der bisherigen Regelungen zur virtuellen HV im GesRuaCOVBekG1 bis zum 31.08.2022 hat er insbesondere für Gesellschaften, deren HV bereits Anfang 2022 stattfinden werden, Planungssicherheit geschaffen. Die Erstreckung auf die HV-Saison 2022 gilt auch für die SE, die KGaA und – mit gewissen Einschränkungen – den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit.

Auch ohne entsprechende Satzungs- oder Geschäftsordnungsermächtigung kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats über die Teilnahme an der HV durch elektronische Kommunikation, die Möglichkeit der Briefwahl sowie die Bild- und Tonübertragung entscheiden. Er kann ebenfalls festsetzen, dass die HV (rein virtuell) ganz ohne physische Präsenz der Aktionäre stattfindet, sofern (1) sie übertragen wird, (2) die elektronische Stimmabgabe gesichert, (3) ein Fragerecht eingeräumt und (4) die Möglichkeit zum Widerspruch zur Niederschrift eröffnet ist.

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Ermessenentscheidung
Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass die virtuelle HV nach Maßgabe des § 1 GesRuaCOVBekG bis dato weiterhin als Ausnahmefall angesehen worden ist. Von der Möglichkeit der virtuellen HV solle daher im Einzelfall nur Gebrauch gemacht werden, wenn dies unter Berücksichtigung des konkreten Pandemiegeschehens und im Hinblick auf die Teilnehmerzahl der jeweiligen Versammlung erforderlich erscheint (vgl. BT-Drs. 19/32275, S. 30).

Wenn sich 2022 das Pandemiegeschehen u.a. aufgrund von Impfungen auch unter Berücksichtigung der Fallzahlen und dem Auftreten weiterer Virusvarianten erheblich verbessern sollte, darf der Vorstand sich jedenfalls nicht ohne Weiteres dazu entscheiden, eine virtuelle HV durchzuführen. Im Rahmen seiner Ermessenentscheidung hat der Vorstand eine entsprechende Abwägung und Prognose (aus ex ante-Sicht) anzustellen. Hierbei werden u.a. die pandemische Lage und (lokale) Inzidenz, die geltenden Landesverordnungen am Veranstaltungsort sowie der Impffortschritt der Bevölkerung (insbesondere auch hinsichtlich „Boosterimpfungen“) zu berücksichtigen sein. Allerdings sind auch die organisatorischen Schwierigkeiten zu beachten, Präsenzversammlungen möglichst ohne Ansteckungsrisiko abzuhalten.

Unter Berücksichtigung von bundesweit geltenden Zugangsbeschränkungen, insbesondere 2G- oder 2Gplus-Modelle, kann der Vorstand im Einzelfall sogar angehalten sein, eine virtuelle HV durchführen zu müssen, um das Teilnahmerecht der Aktionäre angemessen zu wahren. Zuzugestehen sind Vorstand und Aufsichtsrat, dass der Zeitpunkt für die Entscheidung (jedenfalls bei größeren AGs) nicht erst derjenige der Einberufung, sondern der der konkreten Planung/Vorbereitung der HV sein dürfte. In jedem Fall ist den Organmitgliedern dringend anzuraten, Abwägung und Grundlage ihrer Entscheidung zur Durchführung einer virtuellen HV nachvollziehbar zu begründen und hinreichend zu dokumentieren.

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Pläne der Ampelkoalition
In ihrem Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ führen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP als eine der geplanten Gesetzesänderungen im Unternehmens- und Gesellschaftsrechts an, die in Zeiten von COVID-19 an sich nur temporär eingeführte virtuelle HV dauerhaft zu ermöglichen. Die Aktionärsrechte sollen dabei „uneingeschränkt“ gewahrt werden. Zu weiteren Details schweigt sich der Koalitionsvertrag noch aus. Zu erwarten sein dürften jedenfalls Fragerechte und Interaktionsmöglichkeiten der Aktionäre auch noch während der HV und nicht lediglich im Vorfeld.

Fazit
Sowohl die Verlängerung des Zeitraums für die pandemiebedingte Durchführung einer virtuellen HV bis zum 31.08.2022 als auch die Pläne der neuen Bundesregierung zur dauerhaften Etablierung der virtuellen HV – losgelöst vom Abklingen der Pandemielage – sind zu begrüßen. Spannend bleibt die Frage, wie der Gesetzgeber die angekündigte „uneingeschränkte“ Wahrung der Aktionärsrechte umsetzen wird. Eine bloße Übernahme der derzeit geltenden pandemiebedingten Sonderregelungen zur virtuellen HV ist jedenfalls vom Tisch, nachdem die aktuellen Vorgaben zum Teil als nicht aktionärsfreundlich empfunden werden.

1) Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (GesRuaCOVBekG).

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