OneCrowd: „Bei Tokenisierungen steht erst noch Pionierarbeit an“

OneCrowd, Betreiber der Crowdinvesting-Plattformen Seedmatch, Econeers und Mezzany, holt Kapitalmarkt-Spezialist Marc Speidel in die Geschäftsführung. BondGuide nutzte den Anlass zum Gespräch mit dem bisherigen Geschäftsführer, Johannes Ranscht, und seinem neuen Co, Marc Speidel – bisher bekannt als Kopf von Lewisfield Deutschland, der er erhalten bleibt.

BondGuide: Herr Ranscht, bisher war OneCrowd v.a. für Nachrangdarlehen und Anleihen bekannt. Welche Pläne verfolgen Sie aktuell, auch vor dem Hintergrund Ihres neuen Co-Geschäftsführers?
Ranscht: Im Bereich Crowdinvesting dominieren bislang das Nachrangdarlehen sowie Varianten davon. In den vergangenen Jahren wurden jedoch Wertpapier-Emissionen via Crowdinvesting sowohl bei Anlegern als auch Emittenten immer populärer und nehmen daher auch bei uns stetig an Bedeutung zu. Wir haben 2019 mit der Veganz-Anleihe die erste Anleihe-Emission auf unseren Plattformen durchgeführt, 2021 kam mit der Veekim-Aktie die erste Aktienemission hinzu. Bei diversen Wertpapieremissionen, unter anderem bei der neuen börsennotierten Unternehmensanleihe von SUNfarming, haben wir sehr eng mit Lewisfield und Herrn Speidel zusammengearbeitet. Wir sind also schon bisher gar nicht so weit entfernt vom Kapitalmarkt gewesen und erhalten in diesem Bereich mit Marc Speidel nun weitere Expertise.
Speidel: Hier sieht meine Funktion zukünftig vor, die Punkte Kapitalmarkt, Produktstrukturierung und auch Juristisches weiterzuentwickeln. Selbstverständlich machen wir uns sehr viele Gedanken darüber, wie wir die OneCrowd strategisch positionieren wollen. Die Nachfrage der Investoren gibt uns dabei die Richtung vor, doch ebenso haben wir die Interessen und den Bedarf der Emittenten im Blick. Ihnen wollen wir fortan ein komplettes, verlängertes Dienstleistungsspektrum mit maßgeschneiderten Finanzierungslösungen für alle Unternehmensphasen anbieten: vom Seed Investment bis hin zu einem IPO / Börsengang.

Veganz hat bereits mehrere Schritte am Kapitalmarkt hinter sich

BondGuide: In der Meldung zum Wechsel in der Geschäftsführung der OneCrowd war auch von Tokenisierung die Rede. Ist das der nächste, vielleicht auch logische Schritte in Richtung noch breiteres Spektrum des Angebots oder ist es nur ein Modethema, das man wohl auch abdecken müsste?
Speidel: Um das Thema kommt man heute nicht mehr herum. Jeder, mit dem oder der ich spreche, vertritt die Meinung, dass das VIB, das Vermögensanlageninformationsblatt, ein Auslaufgeschäft ist. Die stellenweise recht kleinteiligen Erstellungsprozesse der VIB möchte auf lange Sicht weder die Aufsicht, noch ist diese Tätigkeit im Tagesgeschäft einfach zu handhaben. Ein logischer Schritt sind daher Tokenisierungen – aber auch da steht noch Pionierarbeit an, bis das Setup stimmt.

BondGuide:
Gesprächspartner Andreas Woelfl von iMaps EIT bescheinigte mir neulich im Gespräch, er halte Deutschland aktuell für das kryptofreundlichste Land – sogar weltweit.
Ranscht:
Das ist meiner Ansicht nach ein zweischneidiges Schwert. Investoren interessiert das Thema praktisch noch überhaupt nicht. Deutschland mag in der Regulierung tatsächlich sogar aktuell vorneweg gehen, aber doch eher deshalb, weil andere Finanzmarktprodukte zunehmend schwerer handhabbar gemacht wurden durch eine überbordende Regulierung.

BondGuide: Und der Weg verstärkt in Richtung Kapitalmarkt ist Ihnen geheuer? – Da geht es bekanntermaßen auch mal ruppig zu.
Ranscht: Das sind sicherlich Risiken und Nebenwirkungen, die wir Emittenten auch nicht verschweigen. Für eine Sichtbarkeit am Kapitalmarkt gibt es zahlreiche Gründe, nicht nur die des direkten Zugangs zu Kapital. Nehmen Sie als Beispiel die Veganz AG: Das Unternehmen ist mit einer Crowdfinanzierung über das Nachrangdarlehen gestartet, ließ dann eine börsennotierte Unternehmensanleihe folgen, die wir ebenfalls über Seedmatch mit vertrieben haben, und schließlich kam der Aktien-Börsengang an der Frankfurter Börse. Daran wird sehr gut deutlich, dass es für unterschiedliche Unternehmensphasen jeweils gut geeignete Finanzierungsalternativen gibt, bei denen wir die Unternehmen kontinuierlich unterstützen und begleiten können. Fairerweise muss man natürlich sagen, dass sich sicherlich nicht jedes Unternehmen für eine Präsenz an den Finanzmärkten eignet. Dann muss man eben ein oder zwei Stufen darunter verweilen, bis gegebenenfalls die Voraussetzungen erfüllt sind. Wie man an unserem Portfolio sieht, betreuen wir Unternehmen unabhängig von den letztlichen Zielen und auf jeder Stufe.

Kerl Eyewear: Carbon-Brillen made in Germany

BondGuide: Sticht die Perspektive Buy & Hold, also z.B. volle fünf Jahre Haltedauer, den Wunsch, ein Produkt börsentäglich handeln zu können?
Ranscht: Den Wunsch nach der Handelsfähigkeit sieht man gerade bei Investoren jenseits von etwa 20 TEUR – das sind im Bereich Crowdinvesting ‚größere‘ – er ist jedoch auch bei vielen Investoren, die kleinere Tickets zeichnen, bereits vorhanden. Das muss aber nicht zwingend eine offizielle Börse sein, ein akkreditierter Handelsplatz reicht vielen schon aus. Davon gibt es bereits diverse Beispiele innerhalb Europas. Wenn man jedenfalls eine Handelbarkeit wo auch immer herstellt, sollten die Emittenten auch von Dienstleisterseite unterstützt werden, eine entsprechende Kurspflege – etwa durch professionelle Marktkommunikation – zu gewährleisten, um volatilere Entwicklungen abzufedern. Auch dafür ist Herr Speidel Experte. Die Handelbarkeit einer Anlage an offiziellen Börsen macht nur Sinn, wenn man börsentäglich ein gewisses Maß an Hintergrundrauschen im Handel hat.

BondGuide: Können Sie uns etwas zur Historie einiger Crowdfinanzierungen sagen? 2020 berichtete auch BondGuide einmal über Buckle & Seam, die in Pakistan die nachhaltige Produktion von Ledertaschen anstoßen wollten.
Ranscht: Leider haben sich in diesem Fall die Gründer verstritten, so dass gerade dieses Beispiel eine Insolvenz zur Folge gehabt hat. Das ist sehr traurig, denn speziell in Corona-Zeiten hatte das Thema faire Produktions- und Arbeitsbedingungen absolut Rückenwind. Es gibt jedoch in unserer Historie zahlreiche Positivbeispiele für sehr erfolgreiche Crowdfinanzierungen.

Buckle & Seam: gute Idee, aber die Macher dahinter überwarfen sich

BondGuide: Was war denn die lukrativste Anlage über OneCrowd und wie ist ansonsten die Bilanz?
Ranscht: Die lukrativste Anlage, bei der wir ganz konkrete Zahlen nennen können, war das Crowdinvesting von Seeding Alliance, einem Native-Advertising-Anbieter. Das Unternehmen wurde 2012 über Seedmatch finanziert und hat sich, u.a. durch einen Exit an Ströer, sehr positiv entwickelt. 2019 erhielten die Investoren von Seeding Alliance das 16fache ihres Ursprungsinvestments zurück. Auch die Firmen Freche Freunde, Hersteller der Kinder-Snacks unter der Marke erdbär, und XLETIX, ein Anbieter von Sport-Events, waren sehr erfolgreich und bescherten ihren Crowdinvestoren durch Exits zweistellige Multiples auf das Ursprungsinvestment. Bislang zählen wir bei der OneCrowd 20 Exits unserer Funding-Unternehmen, das ist der höchste Wert aller deutschen Crowdinvesting-Plattformen. Exit Nummer 20 kam erst unlängst hinzu: Die Firma Kerl Eyewear fertigt ultraleichte Carbon-Brillen. Der Kaufvertrag über den Exit wurde gerade erst unterschrieben. Bei Seedmatch haben wir basierend auf einer Berechnungsmethode der Universität Oldenburg eine dezidierte Auswertung gemacht, welche Rendite man mit Seed Investments, also stark erfolgsabhängigen Startup-Investments, auf unserer Plattform historisch erzielen kann. Die erste Auswertung von 2018 ergab eine Rendite von 15% pro Jahr, bei der zweiten Auswertung 2020 lag sie sogar bei 16% p.a. Bei Econeers, also im Bereich erneuerbare Energien und nachhaltige Projekte, hatten wir bisher zwei oder drei Ausfälle, aber der Durchschnitt bleibt bei 40 Finanzierungsrunden gut. Auf unserer Immobilienfinanzierungs-Plattform Mezzany haben wir grundsätzlich keine Ausfälle zu beklagen – das wäre auch sehr negativ für das Image.

Marc Speidel

BondGuide: Nun haben Sie kürzlich eine Crowdinvesting-Kampagne für OneCrowd selbst erfolgreich durchgeführt. Das Maximalvolumen von 1,3 Mio. EUR wurde innerhalb von nur zwölf Stunden erreicht. Was sind die Ziele mit dem akquirierten Kapital?
Speidel: Wir sind aktuell der größte Anbieter in Deutschland, der in allen drei Bereichen des Crowdinvestings – Unternehmen, nachhaltige Projekte sowie Immobilien – aktiv ist. Wir wollen die Chancen, die sich uns mit der European Crowdfunding Service Provider, ECSP, Verordnung bieten, nutzen und künftig Projekte ausländischer Unternehmen auf unseren Plattformen anbieten sowie internationale Investoren ansprechen. Wie bereits angedeutet, soll auch unser Portfolio an Finanzierungsmodellen weiteren Zuwachs erhalten. Wir denken da etwa an die bereits erwähnten tokenisierten Wertpapiere, prüfen aber auch kontinuierlich weitere Optionen. Dabei haben wir immer unser Ziel im Blick: Unternehmen jeder Phase die passende Finanzierungslösung anzubieten und der Crowd einen selbstbestimmten und kostengünstigen Aufbau eines individuellen Portfolios auch schon mit kleineren Beträgen zu ermöglichen.

Johannes Ranscht

BondGuide: Herr Ranscht, Herr Speidel, ganz herzlichen Dank für die ausführlichen Eindrücke und Erläuterungen!

Interview: Falko Bozicevic