Nicolas Barthalon: „Interessiere mich für alle Möglichkeiten aus der ‚Silver Economy‘, der Robotik und digitalem Gesundheitssektor“

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BondGuide im Gespräch mit Venture-Capital-Spezialist Nicolas Barthalon * über technologisch getriebene Ansätze zur Lösung von Energie- und Klimakrise, paneuropäische Sicht und deutsches Ökosystem

BondGuide: Herr Barthalon, zunächst einmal zum Aufwärmen: Können Sie einige Worte über sich selbst erzählen und was Sie derzeit so machen?
Aber sicher! Mein Name ist Nicolas Barthalon, und ich bin derzeit als Venture Capitalist bei Ventech in Deutschland tätig. Ventech ist ein paneuropäischer Risikokapitalfonds, der sich auf Frühphaseninvestitionen in der Tech-Branche spezialisiert hat. Da ich sowohl in Frankreich als auch in Deutschland gelebt habe, verfüge ich über ein tiefes Verständnis für beide Kulturen und kann den von uns unterstützten Start-ups daher eine breitere Perspektive bieten. Als französischer Investor mit Sitz in München unterstütze ich gerne ambitionierte, technikaffine Start-ups in der Frühphase auf dem deutschen Markt und bringe dabei meine marktübergreifende Expertise ein. Innerhalb von Ventech liegt mein Hauptaugenmerk auf dem deutschen Ökosystem. In meiner Funktion habe ich mich aktiv an namhaften DACH-Unternehmen wie Frontastic – Exit, Käufer: Commercetools –, Realxdata – Exit, Käufer: Moody’s Analytics –, 7Learnings, Prewave und Passion.io beteiligt. Mit Blick auf die Zukunft interessiere ich mich für alle Möglichkeiten, die sich aus der ‚Silver Economy‘, der Robotik und dem digitalen Gesundheitssektor ergeben.

Wo investiert man denn derzeit innerhalb Ihrer Szene?
Nun, generative KI und Klimatech sind zwei Bereiche, die derzeit viel Aufmerksamkeit und Investitionen auf sich ziehen.

Wir beobachten ein wachsendes Interesse an allem, was mit KI zu tun hat, insbesondere an generativer KI, aufgrund der jüngsten Fortschritte auf diesem Gebiet. Das Thema wird schon seit geraumer Zeit erforscht, und jetzt tauchen die ersten Anwendungen von Branchenriesen wie Microsoft/OpenAI – ChatGPT – und Google – Bard – auf. Außerdem hat dieser Trend den Weg für den Markteintritt neuer Start-ups geebnet, die auf diesen etablierten Modellen aufbauen und sich auf vertikale Anwendungsfälle konzentrieren oder neue Modelle ‚von Grund auf‘ entwickeln. Ein Beispiel dafür ist Mistral AI, ein europäisches Start-up, Hauptsitz übrigens in Frankreich, das sich auf generative KI-Modelle spezialisiert hat und vor kurzem einen Rekord aufstellte, indem es bei seiner Seed-Runde 105 Mio. EUR erhielt. Die Entwicklung dieser neuen generalistischen Modelle zwingt viele große Unternehmen dazu, ihre strategischen Optionen zu überdenken. Besonders in Hinsicht dessen, was die Aufmerksamkeit der Investoren auf sich zieht.

Angesichts der Umwelt- und Energiekrise, die nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit zu beobachten ist, liegt ein weiterer wichtiger Fokus der Investoren derzeit auf Climate Tech. Start-ups erforschen verschiedene Möglichkeiten der Energieerzeugung und -speicherung, wie z.B. Hardwarelösungen für den Heimgebrauch oder softwaregesteuerte Ansätze, die dem Verbraucher helfen, beim Kauf von Energie aus dem Versorgungsnetz fundierte Entscheidungen zu treffen. Dieser besondere Schwerpunkt ist für Deutschland von großer Bedeutung, da das Land von der Kernenergie abgekommen ist. Folglich fließen die Mittel vor allem in deutsche Unternehmen, die sich mit Fusionsenergie beschäftigen.

Befinden wir uns derzeit eigentlich in einer Art disruptivem Umbruch einiger Branchen? Während der Corona-Lockdowns wurde so etwas öfter mal behauptet, aber mir scheint, 2023 geht alles so weiter, wie vor 2020!
So wie ich es sehe, hat COVID-19 unseren täglichen Lebensstil und unsere Art, Geschäfte zu machen, verändert und damit als Digitalisierungsbeschleuniger für viele Sektoren gewirkt. Nehmen Sie zum Beispiel das Gesundheitswesen. Wir haben eine Verschiebung hin zu neuen digitalen Werkzeugen erlebt, wobei Telemedizin und Remote-Patientenüberwachung immer mehr Akzeptanz finden. Dennoch gibt es noch Raum für Verbesserungen. Digitale Gesundheits-Apps, sogenannte ‚DiGa‘, die die Behandlung von Patienten unterstützen, müssen ihre Wirksamkeit nachweisen, um von den Krankenkassen erstattet zu werden, und nur wenige wurden bisher allgemein angenommen. Man könnte also argumentieren, dass es aufgrund des plötzlichen Schocks durch die Pandemie zu einer ‚Disruption‘ gekommen ist, aber letztendlich wurden dadurch Veränderungen beschleunigt, die ohnehin anstanden. Wir sehen definitiv Sektoren, in denen sich die digitale Innovation während COVID-19 langfristig auf die Wirtschaft auswirken wird.

In der Tat wird die entscheidende Rolle der Human Resources bei der Bindung und Gewinnung von Talenten wieder stärker anerkannt, da der ‚War for Talents‘ zu einem Kampf gegen Talentabwanderung wird. Jetzt werden viele Tools getestet, um die Produktivität zu verbessern und Mitarbeiter zu halten, anstatt nur nach neuen Talenten zu suchen und um sie zu werben. Außerdem haben sich die Unternehmen auf neue Stellenkriterien eingestellt. Viele Menschen schätzen wieder ihre persönliche Zeit und wünschen sich mehr Flexibilität bei der Gestaltung ihrer Arbeit. Sie legen auch mehr Wert auf den Ruf und das Markenimage eines Unternehmens, insbesondere bei der jüngeren Generation.

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Darüber hinaus haben die Lockdowns das Wachstum des e-Commerce vorangetrieben. Dies hat die Dynamik von Gewerbeimmobilien erheblich verändert. Da Stadtzentren und öffentliche Räume nicht mehr in gleichem Maße genutzt werden, erleben wir eine Neuordnung des Marktes, begleitet von sinkenden Preisen.

Wer sind denn branchenseitig die Profiteure der neuen Welt, in der wir jetzt leben? Die Zinslandschaft ist eine ganz andere als vor wenigen Jahren, als jeder dachte, das sei eine Einbahnstraße.
Es zeichnet sich ein klarer Trend ab: ‚Insourcing‘ ist auf dem Vormarsch, da die lokale Produktion zur neuen Priorität wird. Die Lieferkettenprobleme während der Coronakrise haben sich auf unsere Volkswirtschaften ausgewirkt und zu Engpässen auf den Märkten der USA und Westeuropas geführt. Die Pharmaindustrie, beispielsweise holt einen Teil ihrer Produktion nach Europa zurück, um Engpässe zu vermeiden. Die Energiequellen werden nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine diversifiziert, und wir beobachten eine zunehmende Unterstützung für europäische Start-ups im Deep-Tech-Sektor, da die Regierungen nach mehr technologischer Souveränität streben.

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Als Reaktion auf diese Veränderungen haben die Regierungen stärker eingegriffen und Vorschriften eingeführt, um die wirtschaftliche Stabilität ihres lokalen Marktes zu gewährleisten. Nehmen Sie zum Beispiel das Lieferkettenmanagement. Das neue deutsche Gesetz zur Transparenz in der Lieferkette wird nun auf ganz Europa ausgeweitet und verlangt von den Unternehmen ein größeres Bewusstsein für potenzielle Unterbrechungen der Lieferkette. Ironischerweise entsteht nach dem Bestreben nach einem dezentralisierten Finanzwesen auf der Grundlage der Distributed-Ledger-Technologie nun auch der Wunsch nach mehr Transparenz und die Nachverfolgung der Interaktionen zwischen Verkäufern und Käufern.

Eine rasche Anpassung an diese Dynamik ist entscheidend. Unternehmen, die sich den Herausforderungen stellen und die Chancen nutzen, die sich aus den neuen Vorschriften ergeben, werden definitiv von diesem Wandel profitieren.

Herr Barthalon, hat die Ausnahmesituation während Corona dafür gesorgt, dass Business Angels vorteilhafter zum Zuge kommen – oder hält man sich in der Szene doch lieber auch zurück, da die Visibilität nun mal auch nicht die beste ist?
Im Jahr 2021 haben Business Angels in Deutschland stark in Start-ups investiert, sie waren nach Investitionsvolumen die aktivsten Business Angels in Kontinentaleuropa! Aufgrund des verschärften Wettbewerbs befanden sie sich zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht unbedingt in einer vorteilhaften Situation. Die Ausnahmesituation während der Pandemie hat sich allerdings gelegt, und es ist heute viel schwieriger, das Vertrauen der Investoren zu gewinnen als noch vor zwei Jahren. Gute Unternehmen mit visionären Konzepten und soliden Wachstumsmetriken erhalten jedoch nach wie vor erhebliche Finanzmittel, wie beispielsweise unser Portfoliounternehmen Prewave, eine Plattform zur Analyse von Lieferkettenrisiken, die vor kurzem beeindruckende 18 Mio. EUR erhalten hat. Dieses Beispiel zeigt, dass außergewöhnliche Start-ups auch in unsicheren Zeiten noch erhebliche Investitionen anziehen können.

Nicolas Barthalon

Herr Barthalon, ganz herzlichen Dank an Sie.
Vielen Dank ebenfalls!

*) Nicolas Barthalon ist Principal von Ventech, einem paneuropäischen Risikokapitalfonds, der sich auf Frühphaseninvestitionen in der Tech-Branche spezialisiert hat

Interview: Falko Bozicevic

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