Biodiversität als Kapitalmarktthema

Ingrid Kukuljan, Head of Impact & Sustainable Investing bei Federated Hermes, über die Bedeutung von Biodiversität als Kapitalmarktthema.

Was ist ein ‚Biodiversity Champion‘, und wie streng sind die Kriterien von Federated Hermes für die Aufnahme in die Anlagestrategie?
Wenn wir uns die Folgen des Verlusts der biologischen Vielfalt anschauen, dann wird deutlich, dass wir an einem Wendepunkt angelangt sind. Durch menschliche Eingriffe sind 75% der Landfläche der Erde und 66% der Meere schwerwiegend verändert worden. Die durchschnittliche Populationsgröße der auf der Erde lebenden Arten sank zwischen 1970 und 2016 um 68%.

Als verantwortungsbewusste Anleger glauben wir, dass der effektivste Ansatz zur Bewältigung dieser Herausforderungen darin liegt, Biodiversity Champions zu identifizieren. Dieser Begriff meint Unternehmen auf der ganzen Welt, die am besten in der Lage sind, den Verlust der biologischen Vielfalt zu begrenzen.

Biodiversität im Tierreich

Welche Kriterien sind das?
Bevor wir ein Unternehmen als Biodiversity Champion in unsere Strategie aufnehmen, untersuchen wir zwei Kennzahlen. Zum einen muss das Unternehmen mindestens eines der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung, Sustainable Development Goals, SDGs, verfolgen. Denn 80% der SDGs beziehen sich auf die biologische Vielfalt, und solange wir den Verlust der Biodiversität nicht bekämpfen, werden wir die Ziele für das Jahr 2030 voraussichtlich verfehlen. Zweitens – und das ist entscheidend – muss das Unternehmen dazu beitragen, die biologische Vielfalt zu bewahren, wiederherzustellen oder ihren Verlust umzukehren.

Welche Themen im Bereich der Biodiversität haben für Sie Priorität und warum?
Es gibt fünf wesentliche Treiber für den Verlust von Biodiversität auf regionaler und globaler Ebene: veränderte Land- und Meeresnutzung, direkte Ausbeutung von Organismen, invasive Arten, Klimawandel und Umweltverschmutzung. Wir haben diese Ursachen untersucht und sechs Anlagethemen für die Strategie ermittelt, mit denen wir sie alle abdecken. Diese Themen sind Landverschmutzung, Meeresverschmutzung und -ausbeutung, nicht nachhaltige Lebensweisen, Klimawandel, nicht nachhaltige Landwirtschaft und Verlust von Wäldern. Jedem dieser Themen sind wiederum mehrere Subthemen beigeordnet, die auf konkrete SDGs ausgerichtet sind.

Also so etwas wie ein Gesamtrahmen oder Framework?
Die Ideenfindung innerhalb des Portfolios basiert auf diesem thematischen Rahmen und unserer Analyse der sektoralen Subthemen. Innerhalb der Subthemen suchen wir nach Unternehmen, die Produkte und Dienstleistungen anbieten, welche den stärksten positiven Einfluss darauf haben, den Verlust der Biodiversität zu stoppen und die Biodiversität wiederherzustellen.

Biodiversität in der Landschaft

Wie finden Sie ein ausgewogenes Verhältnis von Anlagen in unterschiedliche Unternehmen, die die Biodiversität in verschiedenen Lebensräumen fördern?
Kennzeichnend für Biodiversitätsverlust ist, dass er selten als unabhängiger, isolierter Prozess auftritt. Häufig sind verschiedene Lebensräume, Ökosysteme und Orte gleichzeitig betroffen. Daher lässt sich das Problem nicht mit einem begrenzten Fokus auf einen einzelnen Lebensraum lösen, etwa auf die biologische Vielfalt ausschließlich an Land oder ausschließlich im Meer. Dies wirkt sich auch auf die Auswahl unserer Biodiversity Champions aus. Oftmals ermitteln wir Champions, die die Fähigkeit oder das Potenzial haben, den Verlust von Biodiversität in mehr als einem Lebensraum – etwa an Land und im Wasser – und in mehreren Regionen zu verhindern. So stellt eines der von uns gehaltenen Unternehmen Terrassenbeläge her, die zu 95% aus recyceltem oder aufgearbeitetem Polyethylen bestehen, statt aus Holz und Kunststoff. Dadurch wird die Verschmutzung von Land und Meeren sowie der Verlust von Wäldern verhindert.

Wie ermitteln Sie als Biodiversity-Anleger den Fair Value?
Wir ermitteln den Nachweis der biologischen Vielfalt auf zwei Arten. Die erste ist unsere qualitative Bewertung von Biodiversität, Qualitative Biodiversity Assessment, die eine oder mehrere der sechs Biodiversitätsthemen abbildet und eine überzeugende Biodiversitätsthese liefert, auf deren Basis das Portfolio verwaltet wird.

Das zweite Mittel ist unsere quantitative Biodiversitätsbewertung, Quantitative Biodiversity Assessment: Unsere Biodiversity Impact Database. Diese Datenbank berechnet die Biodiversitäts-Auswirkungen jedes einzelnen Titels der Strategie anhand von Kennzahlen, mit denen die Folgen für die Biodiversität, beispielsweise vermiedener Artenverlust, sowie die allgemeinen Nachhaltigkeitsauswirkungen untersucht werden.

Wie groß ist das Anlageuniversum für Biodiversität?
Wenn Sie eine Investition in den Wandel anstreben, umfasst das Anlageuniversum für Biodiversität praktisch alle Unternehmen im globalen Index, da sie alle zu einem biodiversitätspositiven Geschäftsmodell übergehen oder zumindest negative Auswirkungen reduzieren müssen. Unsere Watchlist von Biodiversity Champions umfasst knapp 200 Unternehmen.

Wir investieren in Unternehmen, die in der Lage sind, mit ihren Lösungen überdurchschnittliche Wachstumschancen gegenüber dem Markt zu generieren. Diese Unternehmen profitieren von antizipierten regulatorischen Änderungen durch einen regulierten Wettbewerbsvorteil oder durch eine frühzeitige Anpassung im Vergleich zu Mitbewerbern.

Die Aktien der Portfoliostrategie werden langfristig ausgewählt, und dies mit einer geplanten Haltedauer von mehr als fünf Jahren. Wir verwenden dafür Discounted-Cashflow-Analysen und Szenario-Analysen. Für jede Aktie führen wir eine DCF-Analyse durch, bei der wir jeweils das Basisszenario, das die höchste Wahrscheinlichkeit aufweist, sowie das Best- und das Worst-Case-Szenario beurteilen.

Was sind die Risiko- und Finanzparameter des Portfolios?
Wir verwenden drei zentrale Parameter. Der Erste ist Liquidität – die tägliche Liquidität einer Aktie muss einem Prozent des Nettoinventarwerts der Strategie entsprechen. Der Zweite ist die Aktienkorrelation. Wir konzentrieren uns ausschließlich auf ein thematisches Einzelengagement bis zu einem maximalen Wert von 25%.

Wir investieren nach dem Motto ‚Wachstum zu einem vernünftigen Preis‘. Daher suchen wir nach Unternehmen, die Wachstum zu einer vernünftigen Bewertung bieten. Wir wählen Unternehmen mit attraktiven Renditen im Vergleich zu den Kosten, einer Cashflow-Rendite, einem Track Record von organischem Wachstum und einer nachhaltigen oder sich verbessernden Rentabilität.

Die Strategie strebt ein konzentriertes Portfolio von rund 30 bis 50 High-Conviction-Aktien an, die auf absoluter Basis und indexunabhängig ausgewählt werden. Das Risiko entscheidet über die Gewichtung, wobei kleinere Unternehmen mit einer geringeren Gewichtung gehalten werden, 1 bis 1 ½%). Die Gewichtung von High-Conviction-Positionen beträgt zwischen 2 und 4%, die maximale Positionsgröße beträgt in der Regel 5% des Portfolios.

Ingrid Kukuljan

Wie bewahren Sie die ‚Reinheit‘ von Biodiversitäts-Investments in börsennotierten Unternehmen?
In vielen Fällen ist Biodiversität lediglich Teil einer komplexeren Thematik. Daher ist es entscheidend, dass wir die Aktivitäten aller unserer Portfoliounternehmen vollständig zurückverfolgen und nachweisen können. Hierbei ist unsere Biodiversity Impact Database ein wichtiges Tool. Sie liefert uns Informationen zu Faktoren wie CO2-Emissionen, Abfallaufkommen und Wasserverbrauch – sowohl für einzelne Positionen als auch für das Gesamtportfolio im Vergleich zu unserer Benchmark. Zudem erhalten wir Einblicke in Themen wie die Nutzung sauberer Energie, Recyclingraten und die Größe der Fläche, die vor Nutzungsänderungen oder menschlichen Eingriffen bewahrt wurde. Es handelt sich um ein sehr detailliertes Instrument, das uns hilft, die Performance unserer Portfoliounternehmen im Hinblick auf die Biodiversität zu betrachten. Sie ermöglicht es uns, ausschließlich in Unternehmen zu investieren, die nachweislich dazu beitragen, den Verlust der biologischen Vielfalt zu erhalten oder ihren Verlust umzukehren.

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