Ekosem-Agrar: „Restriktionen und Belastungen, die uns kaum eine andere Option lassen“

Ekosem-Agrar vollzieht Beschlüsse der DGAP-News: Ekosem-Agrar mit guten Ernteerträgen und deutlichem Wachstum in der Milchproduktion in den ersten neun Monaten 2016

Ekosem-Agrar überraschte die Tage mit der Ankündigung, dass ein zypriotischer Investor bestehendes Anleihevolumen zum Kurs von 30% übernehmen wolle. Was Teil eines Gesamtkonzepts ist. Nun müssen erst einmal wieder Anleihegläubiger-Versammlungen her – dazu sprach BondGuide mit Wolfgang Bläsi*

Herr Bläsi, warum ist eine Restrukturierung notwendig? Auf Basis der kürzlich gemeldeten Zahlen ist 2022 operativ sehr gut gelaufen, obgleich 2023 etwas schlechter – aber für 2024 erwartet Ekosem-Agrar wieder eine positive Entwicklung – warum sollen Anleihegläubiger nun auf einen Großteil ihrer Forderung verzichten?
Der Grund hierfür liegt darin, dass es sich wie schon 2022 nicht um eine primär wirtschaftliche, sondern um eine ‚politische‘ Notwendigkeit handelt. Während die operative Entwicklung zufriedenstellend ist, ist in den letzten beiden Jahren ein Netz von faktischen oder drohenden Restriktionen und potenziellen finanziellen Belastungen entstanden, die uns kaum eine andere Option lassen.

„Wie bei der Restrukturierung 2022 handelt es sich nicht primär um eine wirtschaftliche, sondern um eine ‚politische‘ Notwendigkeit.“

Und zum Zeitpunkt – wie kam es nunmehr dazu? Und können Sie uns die regulatorischen Entwicklungen bzw. Restriktionen, die das Unternehmen in Deutschland und Russland betreffen, näher beschreiben?
Auslöser sind mehrere regulatorische Entwicklungen in jüngster Zeit, die ein kurzfristiges Handeln notwendig gemacht haben. So fällt Russland seit Beginn dieses Jahres in den Geltungsbereich des Steueroasenabwehrgesetzes, StAbwG – dieses enthält Regelungen, die eigentlich für den Umgang mit Steuerparadiesen erstellt wurden. Dies führt für die deutsche Muttergesellschaft Ekosem-Agrar AG bereits zu drohenden finanziellen Belastungen von mehreren Mio. EUR – die sie faktisch nicht tragen kann.

Und in Russland?
Darüber hinaus gibt es in Russland die Gefahr, dass die dortigen Tochtergesellschaften der Ekosem-Agrar Gruppe vom Bezug staatlicher Subventionen ausgeschlossen werden oder – wie andere Unternehmen – unter staatliche Verwaltung gestellt werden. All diese Gründe führen dazu, dass die Anteile an den russischen Zwischenholdings nach Russland übertragen werden müssen, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern.

In den letzten beiden Jahren seit der letzten Restrukturierung nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine wurden keine Zinsen bezahlt, da ein Transfer von Liquidität aus Russland heraus unmöglich wurde. Jetzt sollen über 50 Mio. EUR an Anleihegläubiger fließen, um diese quasi herauszukaufen. Wie funktioniert das Vorhaben?
Der Erwerb der Anleihen erfolgt in dem vorgeschlagenen Restrukturierungskonzept nicht durch die Ekosem-Agrar, sondern durch einen Dritten; die Mittel hierfür stammen also nicht von der Gesellschaft. An der grundsätzlichen Situation, dass es der Gruppe nicht möglich ist, größere Beträge aus Russland herauszubekommen, hat sich nichts geändert. Hier ist wichtig zu betonen, dass dies nicht auf fehlenden technischen Möglichkeiten beruht. Vielmehr ist auch dies ein eher politisches Thema: Als Empfänger von sehr umfangreichen staatlichen Agrarsubventionen wird es den russischen Gesellschaften schlicht nicht erlaubt, Liquidität ins Ausland zu übertragen.

„Die Gesellschaft auf Zypern schafft so die Voraussetzung für die Beteiligung des externen Eigenkapital-Investors.“

Spektrum von Ekosem-Agrar

Und wie lautet die Rechnung des zypriotischen Investors, über den man nicht sonderlich viel weiß – wie geht die Rechnung für ihn oder sie auf?
Wie die Emittentin bereits berichtet hat, finden in Russland Gespräche über eine mögliche Beteiligung von Eigenkapitalinvestoren statt. Damit diese Beteiligung umgesetzt werden kann, müssen die Anteile am operativen Geschäft in Russland auf eine neue lokale Holding übertragen und in diesem Zusammenhang eine Lösung für die bestehenden Anleihen gefunden werden. Die Gesellschaft auf Zypern, die die Anleihen erwerben soll, arbeitet im Interesse eines der potenziellen Eigenkapitalinvestoren und schafft so die Voraussetzung für die Beteiligung dieses Investors. Die zypriotische Gesellschaft übernimmt bei Umsetzung der Restrukturierung die Anleihen von den bisherigen Gläubigern mit dem Rangrücktritt, der Teil des Restrukturierungsbeschlusses sein wird. Wenn die verschiedenen Schritte der Gesamttransaktion umgesetzt sind, ist eine geordnete Liquidation der Emittentin geplant und der Investor erhält sein eingesetztes Kapital inklusive einer marktgerechten Verzinsung zurück.

„Nach den verschiedenen Schritten der Gesamttransaktion ist eine geordnete Liquidation der Emittentin geplant.“

Hätte man für die leidgeplagten aktuellen Anleiheinhaber nicht etwas Upside-Potenzial einbauen können, z.B. mit einer Art Besserungsschein? – um sowohl von wieder guten Geschäftszahlen der Ekosem zu profitieren als auch von einer möglichen, wenngleich derzeit überhaupt nicht erkennbaren mittelfristigen Normalisierung in den russisches Außenbeziehungen.
Mit der Zahlung der 30% durch den Erwerber erhalten die Gläubiger heute eine Zahlung, obwohl nach den Anleihebedingungen erst 2027 bzw. 2029 die Rückzahlung fällig wäre. Das heißt, die meisten Gläubiger realisieren zwar einen Verlust, erhalten aber im Gegenzug früher Geld als erwartet und werden aus dem Risiko der weiterhin sehr unsicheren Entwicklung entlassen. Wenn die Gläubiger sich gegen diese Restrukturierung entscheiden, wahren sie die Chance auf eine zukünftig positive Entwicklung – tragen aber im Gegenzug das volle Verlustrisiko. Ein späteres zusätzliches Upside-Potenzial für die Anleihegläubiger wäre die ‚eierlegende Wollmilchsau‘, dies ist aber mit dem externen Investor nicht zu machen.

Gehen Sie von zwei AGVs aus, da auf einer ersten die Teilnahmeschwelle (Quorum) von 50% voraussichtlich nicht erreicht werden kann? Und, ich frage nur pro forma, ist eine Zustimmung zum Vorhaben alternativlos?
Die Wahrscheinlichkeit, dass wir in den ersten AGVs die 50% erreichen, ist eher gering – dennoch sind wir seit Veröffentlichung der Einladungen mit Gläubigern in Kontakt, um eine möglichst hohe Teilnahmequote zu erreichen. Ich halte den vorgeschlagenen Weg für schmerzhaft, aber vernünftig – die mögliche Alternative habe ich in der letzten Antwort beschrieben. Ob diese Alternative besser oder schlechter wäre, ist auf absehbare Zeit nicht verlässlich zu prognostizieren.

„Ich halte den vorgeschlagenen Weg für schmerzhaft, aber vernünftig.“

Wie ist denn die Indikation von Ihnen bekannten größeren Anleiheinhabern – gehen Sie den vorgeschlagenen Weg mit?
Wir stehen seit Veröffentlichung der Einladung mit zahlreichen Investoren in Kontakt und haben bisher überwiegend positives und konstruktives Feedback erhalten. Ich habe selbst an einer Online-Informationsveranstaltung des Gemeinsamen Vertreters und der SdK teilgenommen. Wenn Sie die Pressemeldung vom 8. April anschauen, sehen Sie, dass beide das Konzept grundsätzlich begrüßt haben. Insofern glaube ich, wir sind auf dem richtigen Weg.

Wolfgang Bläsi

Russische Vermögen sind (fast) weltweit eingefroren. Noch scheut man sich jedoch, diese handfest zu verwerten, sondern vereinnahmt nur die ‚wenigen Milliarden‘ an Zinsen. Sollte man die Riesensumme für jedwede Entschädigungsansprüche gegen Russland heranziehen oder steht das beschlagnahmte Vermögen nicht doch exklusiv eher der Ukraine zu in erster Instanz?
Diese Fragestellung kann ich nicht beantworten. In meiner Wahrnehmung ist das primär eine juristische Frage und ich wundere mich hin- und wieder, mit welcher Leichtigkeit sich manche Menschen über grundlegende Dinge wie Eigentumsrechte hinwegsetzen.
Darüber hinaus gebe ich zu bedenken, dass zum einen staatliche russische Maßnahmen nicht das einzige Risiko darstellen und zum anderen die Erlangung eines formalen Anspruches und die anschließende Durchsetzung dessen sicherlich viele Jahre in Anspruch nehmen und substantielle Kosten für Anwälte usw. verursachen würde. Es ist zu bezweifeln, dass die Ekosem die Mittel aufbringen kann, um ein solches Verfahren zu führen. Meine Einschätzung – auch nach Gesprächen mit Rechtsanwälten – ist, dass das eine eher theoretische Möglichkeit darstellt.

Herr Bläsi, ganz herzlichen Dank!

Interview: Falko Bozicevic

*) Wolfgang Bläsi fungiert heute als strategischer Berater der Ekosem-Agrar AG, seit Mitte 2018 und bis inklusive 2022 war er deren Finanzvorstand.

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