
Nach dem rasanten Aufstieg von ESG-Investitionen zu Beginn der 2020er-Jahre – getrieben von Klimazielen, gesellschaftlicher Verantwortung und regulatorischem Rückenwind – ist die Euphorie in der Finanzwelt spürbar abgeklungen. Waren die Aspekte Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung vor einigen Jahren noch integrale Bestandteile jeder Anlageentscheidung, so verliert ESG heute sowohl im institutionellen als auch im privaten Anlegerumfeld leider merklich an Bedeutung. Von Toni Phan*, Associate Director Capital Markets, und Felix Pröfrock**, Leiter Capital Markets, M.M.Warburg & CO
Angespannte geopolitische Lage verdrängt ESG
Der Prioritätenwechsel bei Investmententscheidungen ist u.a. durch die drastische Änderung in der Geopolitik zu begründen: Der Krieg in der Ukraine, die Spannungen im Nahen Osten und wachsende Konflikte in Asien haben die globale Sicherheitsarchitektur ins Wanken gebracht – mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Politik und die Kapitalallokation. Rüstung ist kein Tabuthema mehr, sondern mittlerweile ein konjunktureller Treiber, der mit dafür verantwortlich ist, dass das Thema ESG in den Hintergrund gedrängt wurde.
Auch politisch ändert sich der einst grüne Kurs: In den USA stieg Donald Trump nach seiner Wiederwahl erneut aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aus. In Deutschland hat die neue Bundesregierung unter schwarzer Führung – ohne die Grünen – einen geänderten Kurs in Sachen Klima- und Umweltpolitik eingeschlagen, u.a. erkennbar am milliardenschweren Schuldenpaket, das den Schwerpunkt klar auf Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur legt. Die Ausgaben für den Klimaschutz fallen im Vergleich dazu voraussichtlich geringer aus.
Das Investitionsverhalten hat sich ebenfalls gewandelt: Verzeichneten globale nachhaltige Fonds 2021 ihren Höhepunkt bezüglich der Mittelzuflüsse, so fiel dieser Wert bereits im anschließenden Kriegsjahr um 75%. Auch wenn sich die Investitionen in das sonstige globale Fondsuniversum stark verringerten, ist eine eindeutige Trendwende zu erkennen. Weltweit waren Fondszuflüsse 2024 nur noch zu einem knappen Fünftel nachhaltig, wie eine Auswertung von Morningstar (siehe Abb. 1) zeigt.
Abb.1: Globale Kapitalströme nachhaltiger und konventioneller Fonds im Zeitvergleich[1]; Quelle: Morningstar
Deutschland und die Energiewende
Trotz der aktuellen geopolitischen Turbulenzen und der damit einhergehenden Verschiebung der Prioritäten bleibt die Notwendigkeit einer nachhaltigen Energiewende in Deutschland unbestritten – doch wo steht Deutschland bei selbiger?
Das von der deutschen Bundesregierung verabschiedete Klimaschutzgesetz umfasst das Ziel der Klimaneutralität Deutschlands bis 2045. Das EEG sieht sogar bis 2030 einen Anteil von 80% erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch vor.
Der kontinuierliche und zuletzt deutlich beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren rückt das Erreichen des EEG-Ziels in greifbare Nähe. So hat sich der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien in Deutschland in den letzten sieben Jahren verdoppelt und erreichte 2024 einen Wert von über 60%.[2] Den größten Beitrag leistete dabei die Windenergie, die rund ein Drittel zur Gesamtstromproduktion beisteuerte. Auch die Solarenergie verzeichnete ein deutliches Wachstum und stellte rund 14% der Gesamtenergiemenge.[3]
Abb. 2: Anteil erneuerbarer Energien an der öffentlichen Nettostromerzeugung; Quelle: Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE)
Ein zentraler Treiber dieser Entwicklung liegt in der technologischen Weiterentwicklung. Moderne Windkraftanlagen liefern heute bis zu viermal höhere Strommengen als Turbinen von vor zehn bis 15 Jahren.[4] Zudem zeigen sich Erfolge bei der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren: Die durchschnittliche Verfahrensdauer für Windkraftprojekte konnte von vormals 27 auf rund 19 Monate verkürzt werden.[5]
Zwar fielen die technologischen Sprünge im PV-Bereich moderater aus, doch der globale Wettbewerb, insbesondere durch chinesische Anbieter, hat zu einem starken Preisverfall bei Solarmodulen geführt. Im Jahr 2025 liegt der Preis pro Megawattstunde rund 80% unter dem Niveau von vor zehn Jahren.[6] Diese Entwicklungen ermöglichen das Erreichen des EEG-Ziels, sofern das aktuelle Ausbautempo gehalten wird.[7]
Doch der Fokus allein auf den Ausbau erneuerbarer Energien greift zu kurz. Die Energiewende erfordert einen integrierten Ansatz, der Versorgungssicherheit, Preisstabilität und Klimaschutz gleichermaßen berücksichtigt.
Die neue Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche betont, Klimaschutz sei sehr wichtig, müsse aber mit ökonomischer Stabilität und Versorgungssicherheit vereinbar sein. Dafür brauche es den bedarfsgerechten Ausbau erneuerbarer Energie, abgestimmt mit Back-up-Kapazitäten und Stromspeichern, sowie eine modernisierte Energieinfrastruktur, die dem steigenden Strombedarf gerecht wird.[8]
Neben dem technischen Ausbau bleiben Fragen der Finanzierung akut. Die vorgenannten Maßnahmen sind äußerst kapitalintensiv. Nachhaltige Finanzprodukte wie Green- oder Sustainability-Linked-Bonds oder Transition-Finance-Strukturen bieten neben den klassischen Finanzierungsformen der Banken sinnvolle Alternativen. Auch wenn das Emissionsvolumen zuletzt hinter den Boomjahren zurückblieb, ist das Potenzial dieser Instrumente zur Mobilisierung privaten Kapitals ungebrochen.
Der Erfolg der Energiewende bemisst sich nicht an installierten Megawattzahlen, sondern an der Fähigkeit, CO2-Emissionen dauerhaft und kosteneffizient zu senken – bei gleichzeitig hoher Versorgungssicherheit. Entscheidend wird sein, dass politischer Wille, technologische Innovation und nachhaltige Finanzierung Hand in Hand gehen.
Fazit: Ökologisches Ziel und wirtschaftliche Realisierung müssen zusammengedacht werden
ESG-Investments geraten durch geopolitische Spannungen unter Druck – zugleich zeigt sich ihre strategische Bedeutung gerade in unsicheren Zeiten. Deutschlands Energiewende beweist, dass Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Besonnenheit vereinbar sind. Technologische Fortschritte und sinkende Kosten begünstigen die Transformation. Entscheidend ist, dass nachhaltige Kapitalflüsse bestehen bleiben: ESG darf kein Konjunkturtrend oder sogar nur „Marketinglabel“ sein, sondern muss langfristig als Fundament stabiler, zukunftsfähiger Finanz- und Wirtschaftssysteme verstanden werden.
*) Toni Phan verfügt über 15 Jahre Erfahrung in den Bereichen Kapitalmarkt und Structured Finance. Seit 2023 ist er bei M.M.Warburg & CO tätig und begleitet als Associate Director im Bereich Capital Markets Emittenten des deutschsprachigen Mittelstands bei ihren Kapitalmarkttransaktionen.
**) Felix Pröfrock ist seit 2008 bei M.M.Warburg & CO tätig und verantwortet als Director das Kapitalmarktgeschäft. In dieser Funktion betreut er internationale Kunden sowohl auf der Eigen- als auch auf der Fremdkapitalseite bei ihren Transaktionen mit Schwerpunkt auf Börsengängen, Kapitalerhöhungen, Umplatzierungen, öffentlichen Übernahmen und Anleiheemissionen.
Dieser Fachbeitrag erschien ursprünglich in der BondGuide-Jahresausgabe „Green & Sustainable Finance 2025“ am 12. Juni 2025 – HIER geht’s zur Gesamtausgabe.
[1] https://www.morningstar.co.uk/uk/news/260061/europe-continues-to-dominate-the-sustainable-fund-market.aspx
[2] https://www.ise.fraunhofer.de/de/daten-zu-erneuerbaren-energien.html
[3] https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/archiv/ausbau-erneuerbare-energien-2225808
[4]https://www.ise.fraunhofer.de/content/dam/ise/de/documents/publications/studies/DE2024_ISE_Studie_Stromgestehungskosten_Erneuerbare_Energien.pdf,
https://www.vee-sachsen.de/artikel/klimaschutz-sachsen-moderne-windenergieanlagen-fuer-vierfachen-stromertrag?utm_source=chatgpt.com
[5] https://goal100.org/monitor
[6] https://about.bnef.com/blog/cost-of-clean-energy-technologies-drop-as-expensive-debt-offset-by-cooling-commodity-prices/,
https://about.bnef.com/blog/global-cost-of-renewables-to-continue-falling-in-2025-as-china-extends-manufacturing-lead-bloombergnef/
[7] https://goal100.org/report/25q1
[8] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/katherina-reiche-klimaschutz-kann-nicht-das-einzige-ziel-sein/100128164.html