„Durch Rating-Agenturen bewusst eine Parallelwelt eröffnet, um neue Anlegerkreise zu gewinnen“ – Interview Teil I (II)

Klartext von Rating-Kritiker Dr. Grunow

Interview mit Dr. Hans-Werner Grunow, Partner bei der Beratungsgesellschaft CAPMARCON

Rating-Noten bei Mittelstandsanleihen stehen immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik: Für Anlegerschützer sind sie zu lasch, Emittenten bemängeln hingegen, dass Zukunftschancen ihrer Unternehmen zu wenig einflössen. Viele verwunderte auch, dass einige Ratings innerhalb weniger Monate gleich um mehrere Stufen abgewertet wurden. Im Gespräch mit BondGuide erläutert Dr. Hans-Werner Grunow von der Beratungsgesellschaft CAPMARCON die Schwachpunkte und warum Investoren damit kritisch umgehen sollten.

BONDGUIDE: Herr Dr. Grunow, bei den Noten von Rating-Agenturen haben viele gemischte Gefühle. Was waren die ungewöhnlichsten Erfahrungen?
Grunow
: Interessant war schon zu sehen, dass sämtliche Ausfälle bei Mittelstandsanleihen von den neuen Dienstleistern mit Investment Grade oder nur eine Stufe davon entfernt bewertet waren – eine recht gute Einschätzung. Einzige Ausnahme war Standard & Poor’s, die eine ausgefallene Anleihe zur Emission mit CCC+ einschätzte. Aber auch renommierte Agenturen haben beim Rating von strukturierten Finanzprodukten schon erstaunliche Schwächen gezeigt.

BONDGUIDE: Bei manchen Mittelstandsanleihen, die Rating-Agenturen mit Investment-Grade BBB benoteten, bekommen Anleger fast 7% Zinsen im Jahr, bei Anleihen von MDAX-Unternehmen mit derselben Note gibt es dagegen in der Regel nur 3%. Wie passt das zusammen?
Grunow
: Eigentlich gar nicht. Solche Zinsdifferenzen zeigen, dass die Bewertungen der Mittelstandsanleihen von den neu an den Markt gekommenen Rating-Anbietern die tatsächlichen Risiken dieser Bonds nicht angemessen berücksichtigen. Hier wurde bewusst eine Parallelwelt eröffnet, um neue Anlegerkreise zu gewinnen.

BONDGUIDE: Worin unterscheiden sich die Ratings großer Agenturen wie Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch von denen kleinerer Anbieter wie Creditreform oder Scope?
Grunow
: Die Ratings der renommierten großen Agenturen beschreiben die Ausfallwahrscheinlichkeit und das Verlustrisiko von Finanzinstrumenten auf der Grundlage von Daten und Erfahrungen, die in mehr als 100 Jahren gesammelt wurden. Die Einschätzungen der neuen Bewertungs-Dienstleister sind bei nur dreijähriger Rating-Historie praxisorientierter. Das bedeutet: Mittelständler werden hier wie große Unternehmen behandelt – mit entsprechend besseren Ergebnissen. Dieses unterschiedliche Vorgehen drückt sich auch in der hohen Ausfallrate von Mittelstandsanleihen trotz guter Einstufungen aus.

BONDGUIDE: Ist denn die Bewertung großer Agenturen strenger oder gibt es eine intensivere Prüfung?
Grunow
: Die Bewertung ist nicht strenger, sie ist aber korrekter – und zwar korrekter im Sinne eines objektiv zu messenden Risikos. Denn brauchbare Ergebnisse sind nur möglich, wenn der Prüfungsprozess nicht am Ergebnis ausgerichtet ist, sondern alle wesentlichen Kriterien erfasst und unstrittige Zusammenhänge dargestellt werden.

BONDGUIDE: Das bedeutet ja, dass die Bewertungsqualität unterschiedlich ist. Warum werden trotzdem identische Buchstaben-Noten von AAA bis D verwendet?
Grunow
: Unterschiedlich sind die jeweiligen Schwellenwerte zur Einordnung der quantitativen Größen und die Relevanz der qualitativen Kriterien. Unterschiedlich sind auch die Gewichtung der Kriterien und damit deren Bedeutung bei der Ermittlung des Gesamtergebnisses. Die Rating-Terminologie von AAA bis D haben die neuen Rating-Anbieter nur übernommen, weil sie im Markt bekannt ist und jeder Anleger sich darunter etwas vorstellen kann – auch wenn in der Verpackung etwas ganz anderes steckt.

BONDGUIDE: Wie bewerten Sie es, dass bei Mittelstandsanleihen zuletzt viele Ratings innerhalb weniger Monate gleich um mehrere Stufen abgewertet wurden?
Grunow
: Diese raschen Verschlechterungen bestätigen die Skepsis gegenüber den Bewertungen hinsichtlich ihrer Aussagekraft über das Anlagerisiko. Fast drängt sich hier der Eindruck auf: Erst mit den Herabstufungen wandeln sich diese Ratings von einem Marketingmittel zu einem Signal-Instrument.

BONDGUIDE: Herr Dr. Grunow, vielen Dank für das interessante Gespräch!

Das Interview führte Thomas Müncher.

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Dr. H-W Grunow