Der Krieg um die Ukraine – ein Jahr später

Der aktuelle Kommentar von Razan Nasser, Credit Analyst bei T. Rowe Price zum Krieg um die Ukraine – ein Jahr später

– Die Ukraine wird wahrscheinlich weiterhin starke finanzielle Unterstützung von außen erhalten, aber der Westen erwartet eine tiefgreifende Umstrukturierung ihrer Staatsschulden.

– Die Sanktionen haben die russische Wirtschaft hart getroffen und dürften das Wachstum noch einige Zeit belasten.

– Die Wirtschaft der Eurozone hat die Erwartungen übertroffen, aber angesichts der anhaltenden Herausforderungen im Energiebereich ist eine Rezession in diesem Jahr nicht auszuschließen.

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich zum bedeutendsten Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelt. Die daraus resultierende humanitäre Krise ist nach wie vor sehr besorgniserregend, da das Leben der Menschen in der Ukraine massiv gestört ist. Die Invasion selbst war der Katalysator für erhebliche wirtschaftliche und finanzielle Marktverwerfungen in Europa und darüber hinaus. Da der Konflikt nun in sein zweites Jahr geht, untersuchen wir seine Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der Ukraine, Russlands und Europas sowie die Folgen für Energie und andere Rohstoffe.

Ukraine – wirtschaftlicher Tribut macht tiefgreifenden Schuldenschnitt wahrscheinlicher

Die vom Krieg gezeichnete ukrainische Wirtschaft steht noch immer vor großen Herausforderungen. Schätzungen zufolge wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2022 um mehr als 30% geschrumpft sein. Angesichts der anhaltenden Angriffe auf die Infrastruktur und der Energieknappheit erwarten wir, dass die Wirtschaftstätigkeit in diesem Jahr erneut zurückgeht, wenn auch mit einer niedrigen einstelligen Rate.

Obwohl das Haushaltsdefizit voraussichtlich hoch bleiben wird, ist eine starke externe Unterstützung durch westliche Regierungen und den Internationalen Währungsfonds wahrscheinlich. Dies dürfte dazu beitragen, die Finanzierungslücke zu schließen, was wiederum dazu beitragen dürfte, die Abhängigkeit von der monetären Finanzierung im Jahr 2023 zu verringern.

Angesichts des immensen Drucks, der auf der Ukraine lastet, haben sich die externen Gläubiger im August auf einen zweijährigen Zahlungsstopp für die Staatsschulden des Landes geeinigt, was unserer Meinung nach der erste Schritt der Umstrukturierung sein dürfte, wobei ein tieferer Schuldenschnitt wahrscheinlich ist. Der Umfang dieses Schuldenschnitts lässt sich nur schwer vorhersagen, da er von der Lage der ukrainischen Wirtschaft zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Umstrukturierung abhängt.

Es wird auch eine politische Entscheidung darüber zu treffen sein, in welchem Umfang sich die privaten Gläubiger an den Baukosten beteiligen sollen. Die Schäden an der Infrastruktur sind bisher enorm. Wenn der Krieg schließlich zu Ende ist, wird das Ausmaß der Wiederaufbau- und Wiederherstellungsmaßnahmen wahrscheinlich alles in den Schatten stellen, was Europa seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat.

Russland – Sanktionen beginnen weh zu tun

Foto: © Thomas Hansen – stock.adobe.com

Die tiefgreifenden und weitreichenden Sanktionen haben die russische Wirtschaft erheblich geschwächt und für 2022 wird ein Rückgang von etwa 3% erwartet. In diesem Jahr erwarten wir eine weitere Abschwächung, und wir gehen davon aus, dass sich die russische Wirtschaft auf lange Sicht auf einem deutlich niedrigeren Wachstumsniveau einpendeln wird. Der Iran bietet sich hier als Vergleich an, da er mit ähnlich schweren Sanktionen der USA konfrontiert war, die dazu führten, dass das nominale BIP von rund 644 Mrd. USD im Jahr 2012 auf schätzungsweise 240 Mrd. USD im Jahr 2020 schrumpfte.

Dies verdeutlicht, wie schmerzhaft Sanktionen sein können, wenn sie über einen längeren Zeitraum verhängt werden. Es ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass es für Russland als großen Exporteur von Öl und Gas schwieriger sein wird, seine Wirtschaft vom Rest der Welt abzuschotten.

Europa – Energiekrise abgewendet, aber Herausforderungen liegen noch bevor

Razan Nasser

Die Wirtschaft der Eurozone ist geschwächt, aber nicht so stark wie unmittelbar nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine befürchtet. Eine Energiekrise konnte bisher vermieden werden, da es den europäischen Ländern weitestgehend gelungen ist, ihre Gasspeicher vor dem Winter zu füllen. In Verbindung mit dem milden Winter hat dies dazu beigetragen, dass die Großhandelspreise für Gas gegenüber ihren Höchstständen von 2022 deutlich gesunken sind. Auch wenn dies ermutigend ist, bleibt die Abkehr Europas vom russischen Gas bis 2023 und darüber hinaus eine große Herausforderung, so dass es ein Fehler wäre anzunehmen, die Energiekrise sei vorbei. In vielerlei Hinsicht fängt sie gerade erst an.

——————————

Schon unsere brandneue Jahresausgabe ‚Anleihen 2022‘ (11. Jg., Erscheinungstermin Dez 2022) gesehen?

Die Ausgabe 3/2022 Biotechnologie 2022 der Plattform Life Sciences ist erschienen. Die Ausgabe kann bequem als e-Magazin oder pdf durchgeblättert oder heruntergeladen werden.

Unsere
BondGuide Jahresausgabe ,Green & Sustainable Finance 2022‘ ist im April erschienen und als kostenloses e-Magazin bequem heruntergeladen, gespeichert & durchgeblättert oder weitergeleitet werden!

Bitte nutzen Sie für Fragen und Meinungen Twitter – damit die gesamte Community davon profitiert. Verfolgen Sie alle Diskussionen & News zeitnaher auf Twitter@bondguide !