Selbsterfahrung
Für solche Kritiker wäre das Beste, die Krankenhäuser der Lombardei und Venetien zu besuchen, des Wirtschaftsmotors Italiens: Dieser Motor steht dort wirklich still, jeder macht solidarisch mit, dort wo täglich hunderte neue Särge Ärzte und Helfer überfordern, weil sie nicht wissen, wo sie diese Särge bis zur Feuerbestattung hinstellen können. Wer die ungefilterten dramatischen Berichte/Bilder der originalen italienischen Medien folgen kann und täglich mit Menschen in Italien kommuniziert, wird erkennen, dass Covid9 schlimmer ist, als was deutsche Medien darüber berichten, dass die aktuelle Ausgangssperre als effektive Maßnahme unzureichend ist und dass dadurch viel mehr Zeit als in Italien nötig sein wird, um zur Normalität zurückzukehren. Je mehr Menschen unterwegs sind, desto länger dauert es: Das unsolidarische Verhalten der Bürger und die persönliche Fehlschätzung über die Covid19-Risiken sind letztendlich die Hauptgründe, warum das Ende der Krise in Deutschland nicht kurzfristig erreicht werden kann, so einfach ist das.
Die bei uns eingeführte leichtere Version der italienischen Kontaktsperren ist eine Woche alt und schon will man im April aufhören. Täglich wird bereits über eine Rückkehr zur Normalität berichtet. Die Sehnsucht ist verständlich, aber wer nach nur sieben Tagen im Kopf hat, dass Schulen, Gaststätten und Stadien spätestens Ostern wieder aufmachen, der hat die letzten Wochen nicht richtig zugehört. Eine verfrühte Rückkehr zur Normalität bedeutet, dass das Virus sofort einen neuen und noch gefährlicheren Anlauf unternehmen wird.
Bundesliga, Biergärten, Urlaub an der Adria, Wochenenden am Gardasee, Wiesn: das alles wird erst dann wieder möglich sein, wenn ein Impfstoff gefunden ist. Dafür brauchen wir aber Zeit, die nur eine „richtige“ Ausgangssperre schaffen kann. Täglich sind noch viele Menschen an diesen sonnigen Tagen unterwegs: überall Spaziergänger, Familien auf Fahrradtour, fahrende Autos, volle Supermärkte ohne Abstand zwischen Kunden. Dadurch wird die Anzahl der Covid19-Fälle in Deutschland weiter steigen.
Vielerorts noch mangelhaftes Verständnis
Menschen haben in Deutschland den Ernst der Lage immer noch nicht verstanden, die richtige Wahrnehmung fehlt weiterhin. All diese Menschen, die egal aus welchem Grund täglich unterwegs sind, leisten stets einen Beitrag über die Verlängerung der Ausgangssperre, die jeder eigentlich schnell beendet sehen möchte. Als Deutsch-Italiener in München kann ich eine ernsthaftere Wahrnehmung der Ausgangssperre in Deutschland nur begrüßen. Das ist aber nur durch Disziplin möglich.
Die Rückkehr der Lebensfreude lässt noch eine Weile auf sich warten – das muss jeder einsehen
Übrigens, der „Ausgangsbeschluss“ der Bundesregierung besagt unter anderem, dass es in einem öffentlichen Raum untersagt wird, mit mehr als zwei Personen zu sein und dass dabei ein Mindestabstand von 1,5 Metern zu fremden Menschen gelten muss (am besten 2 Meter). Der Logik nach bedeutet das aber, dass diese Maßnahmen u.a. auch für Büros gelten sollten, denn nicht nur im öffentlichen, sondern auch in privaten Büroräumen von Firmen besteht die Gefahr der Virusübertragung, wo mehr als zwei Menschen in einem Raum arbeiten und keine 2 Meter Abstand gewährleistet werden kann. Das bedeutet, dass jeder Arbeitgeber dafür sorgen müsste, die Gesundheit der eigenen Mitarbeiter zu schützen, diese zwei beschlossenen Maßnahmen auch am Arbeitsplatz zu gewährleisten, dort wo kein Homeoffice möglich ist – eigentlich fast überall in deutschen Büros.
Sowohl in Deutschland als in Italien leiden Unternehmer, Selbstständige, Geschäftsinhaber von Bars, Restaurants, Boutiquen etc. bis zum totalen Verlust ihrer Geschäftsaktivität. Die Corona Krise hat allen Politikern und zuständigen Ämtern in Deutschland die Augen über die sehr schlechte Bezahlung von ‚systemrelevanten Berufen‘ geöffnet, u.a. von Krankenpflegern bzw. medizinischem Personal in Krankenhäuser und Altersheimen, von Feuerwehrleuten und Polizisten, die Tag und Nacht 7 Tage die Woche unser Leben und Überleben sichern. Das müsste am besten ab sofort mit verbesserten fairen Gehältern und sonstigen Anreizen geändert werden, denn ohne sie gibt es unser normales Leben so nicht.
Fortsetzung nächste Seite