Der Law Corner Beitrag von Dr. Mirko Sickinger, LL.M. (Columbia), Partner, Dr. Christopher Scholz, LL.M., Associate, Heuking Kühn Lüer Wojtek.
Der Adressatenkreis der Regelungen zu Insiderinformationen, insbesondere also der Pflicht zur Veröffentlichung von Adhoc-Mitteilungen, wurde mit der Marktmissbrauchsverordnung („MAR“) erheblich ausgeweitet. Seit dem 3. Juli 2016 müssen auch Emittenten im Freiverkehr bei Verstößen nicht nur privatrechtliche Sanktionen der Börsen, sondern Bußgelder oder gar strafrechtliche Sanktionen fürchten. Dies hat vor allem Auswirkungen auf Emittenten, deren Anleihen zum Handel in Freiverkehrssegmenten einbezogen sind.
Grundsätzlich liegen Insiderinformationen bei Anleiheemittenten – wie auch bei anderen Verpflichteten – dann vor, wenn die Informationen
• nicht öffentlich bekannt sind,
• präzise sind,
• direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und
• wenn sie öffentlich bekannt würden, dazu geeignet wären, den Kurs der Anleihe erheblich zu beeinflussen (Kursrelevanz).
Allerdings müssen im Hinblick auf die Frage, wann eine Information dazu geeignet ist, den Kurs einer Anleihe erheblich zu beeinflussen, bei klassischen Fremdkapitalinstrumenten andere Grundsätze gelten als bei Aktien. Die Besonderheit liegt darin, dass über die Tilgung von Nennwert und die Zahlung von Zinsen hinaus kein Upside-Potenzial für den Inhaber des Wertpapiers besteht.
Bei Aktien und eigenkapitalnahen Instrumenten hingegen ist das potenzielle Upside-Potenzial grundsätzlich unbegrenzt und bietet somit viel Raum für spekulative Entwicklungen. Folge hiervon ist, dass die Schwelle der Kurserheblichkeit im Falle von Erfolgsmeldungen bei Anleihen nicht so leicht überschritten wird. Bei Anleihen ist weniger die Aussicht auf einen hohen künftigen Gewinn von Bedeutung als vielmehr die Relevanz der Information für die Fähigkeit des Unternehmens, den Nennbetrag nebst Zinsen zahlen zu können.
So hat auch die BaFin in ihrem Emittentenworkshop vom 11. Dezember 2017 ausweislich der von ihr veröffentlichten Präsentation darauf hingewiesen, dass eine Kursrelevanz in erster Linie gegeben ist, wenn die der Information zugrunde liegenden Umstände eine Rückzahlung der Anleihe beeinträchtigten. Weitere dort genannte Fälle mit Kursrelevanz sind die vorzeitige Kündigung, der Rückkauf, der Umtausch durch den Emittenten und die Verlängerung der Laufzeit. Diese Fälle sind allesamt einfach zu beurteilen, da es jeweils rechtlich oder wirtschaftlich um den Zeitpunkt der Zahlung von Zins und Tilgung geht.
In einen schwierigen Grenzbereich dürften Sachverhalte fallen, bei denen der Emittent unerwartet erfolgreich ist: Bei Finanzinstrumenten, die eine Gewinnbeteiligung gewähren, hat ein Übertreffen der Gewinnprognose regelmäßig Kursrelevanz. Bei z.B. durch Grundpfandrechte gesicherten Anleihen mit solidem Rating und geringer Ausfallwahrscheinlichkeit ist es jedoch fraglich, ob eine (noch) höhere Wahrscheinlichkeit der Rückzahlung den Kurs erheblich beeinflussen kann.
Zudem dürften bei Kapitalmaßnahmen von Anleiheemittenten Besonderheiten bestehen. Kapitalerhöhungen können nämlich positiv für die Anleihegläubiger sein, da dadurch der Anleihe nachrangig haftendes Kapital aufgenommen wird. Andererseits könnten sie auch so interpretiert werden, dass sie auf einen erhöhten Liquiditätsbedarf hinweisen. Seit der Lafonta-Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 2015 kann auch in derart ambivalenten Fällen regelmäßig von einer Insiderinformation ausgegangen werden.
Nach dieser Rechtsprechung muss für das Merkmal einer präzisen Information nicht feststehen, ob der Kurs positiv oder negativ beeinflusst wird. Nicht geklärt ist allerdings, ob dies auch für das Merkmal der Kursrelevanz gilt. In der Praxis wird man deshalb bei Kapitalerhöhungen im Zweifel von Kursrelevanz ausgehen müssen.
Letztendlich ist wie immer eine Einzelfallbetrachtung geboten, bei der die Grundsätze für das Vorliegen von Insiderinformationen bei Aktien erste Anhaltspunkte bieten; gerade im Hinblick auf gute Neuigkeiten für den Emittenten dürfte die Erheblichkeitsschwelle für Anleihen jedoch oftmals anders als bei Aktien zu ermitteln sein.
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