Die Wahl und die Befugnisse eines gemeinsamen Vertreters (gV) können von verschiedenen Faktoren beeinflusst werden. Insbesondere die Situation, in der sich die Emittentin befindet, hat entscheidenden Einfluss auf das Wahlverfahren und den Aufgabenkreis des gV. Hierbei kann zwischen einer außerinsolvenzlichen Situation und einem eröffneten Insolvenzverfahren unterschieden werden. Darüber hinaus können Sondersituationen auftreten, wie z.B. ein Verfahren nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG). Die Law Corner von Dr. Tobias Moser, Partner, und Dr. Fabian Wirths, Associate, DMR Rechtsanwälte Moser Degenhart Ressmann PartG mbB, München:
Außerhalb der Insolvenz
Bestellung: Sofern die Anleihebedingungen keinen sog. Vertragsvertreter vorsehen, können die Anleihegläubiger über die Wahl und Bestellung eines gV beschließen. Die Bestellung erfolgt mit einfacher Mehrheit der an der Gläubigerversammlung teilnehmenden Stimmen (bei Erreichen des gesetzlichen Quorums von 50% in einer ersten und ohne Quorum in einer zweiten Versammlung). Andere Tagesordnungspunkte, die nicht die Wahl des gV betreffen oder, wenn dem gV besondere Ermächtigungen erteilt werden sollen, benötigen hingegen 75% Zustimmung.
Der gV kann jederzeit durch Beschluss der Anleihegläubiger mit derselben Mehrheit und Quorum durch die Gläubigerversammlung abgesetzt werden. Anleihegläubiger, die 5% des Gesamtbetrags der Anleihe ausmachen, können zu diesem Zweck jederzeit vom Emittenten die Einberufung einer entsprechenden Anleihegläubigerversammlung verlangen (sog. Einberufungsverlangen).
Aufgaben und Befugnisse: Nach § 7 Abs. 2 S. 1 SchVG hat der gV die Aufgaben und Befugnisse, die ihm durch Gesetz oder durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger übertragen werden. Zu den gesetzlichen Aufgaben und Befugnissen gehören insbesondere die Berichtspflicht, das Recht zur Einberufung einer Anleihegläubigerversammlung (verbunden mit der Versammlungsleitung), sowie Auskunftsansprüche gegenüber dem Emittenten.
Darüber hinaus können dem gV durch Beschluss weitere Aufgaben übertragen und besondere Befugnisse eingeräumt werden, z.B. einseitige Erklärungen wie Stundungen, der Abschluss von Vergleichen etc. Nach § 7 Abs. 2 S. 2 SchVG ist der gV stets an die Weisungen der Anleihegläubigerversammlung (d.h. nicht eines einzelnen Gläubigers) gebunden. Soweit die individuelle Ermächtigung des gV reicht, besteht eine sog. verdrängende Zuständigkeit und die Anleihegläubiger sind insoweit von der eigenen Wahrnehmung ihrer Rechte ausgeschlossen.
In der Insolvenz:
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verdrängen die Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO) die Vorschriften des SchVG, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die Anleihegläubiger sind Inhaber einer Forderung gegen den Emittenten, die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens automatisch fällig wird (§ 41 InsO) und sind damit ab Verfahrenseröffnung Insolvenzgläubiger i.S.d. § 38 InsO.
Bestellung: Sofern vorinsolvenzlich noch kein gV bestellt worden ist, hat das Insolvenzgericht gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 SchVG von Amts wegen eine Anleihegläubigerversammlung (AGV) allein zum Zweck der Bestellung eines gV einzuberufen. Diese Versammlung folgt eigenen Regeln, ist beispielsweise in jedem Fall beschlussfähig und die Gläubiger beschließen mit einfacher Mehrheit über die Wahl eines gV.
Aufgaben und Befugnisse: Im Insolvenzverfahren erstarkt der gewählte gV zum sog. „starken“ gV. Nach § 19 Abs. 3 SchVG ist er allein berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Anleihegläubiger im Insolvenzverfahren geltend zu machen. Dazu gehört insbesondere die Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle. Darüber hinaus nimmt der gV an den Abstimmungen einer Gläubigerversammlung (§ 74 InsO; zu unterscheiden von der AGV, an der ausschließlich die Anleihegläubiger teilnehmen) teil und übt das Stimmrecht der Anleihegläubiger aus.
Da mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens alle Insolvenzgläubiger im Grundsatz gleich zu behandeln sind, sind Beschlüsse der Anleihegläubiger über eine nachträgliche Änderung der Anleihebedingungen nicht mehr statthaft. Verhandlungen zwischen dem Insolvenzverwalter und dem gV sind nicht ausgeschlossen, hängen jedoch vom Willen des Insolvenzverwalters ab, der wiederum dem Interesse aller Insolvenzgläubiger verpflichtet ist.
Im StaRUG:
Eine besondere Situation kann sich ergeben, wenn die Restrukturierung einer Anleihe durch ein StaRUG-Verfahren erfolgen soll, wie seinerzeit im Paradefall Eterna geschehen und beispielsweise bei ESPG angekündigt wurde. Ziel des StaRUG ist es, Unternehmen im Rahmen eines sog. präventiven Restrukturierungsrahmens möglichst frühzeitig und außerinsolvenzlich zu restrukturieren. Zentrales Element eines StaRUG-Verfahrens ist der sog. Restrukturierungsplan. Die verschiedenen Gläubiger werden in Gruppen eingeteilt (§ 9 StaRUG) und jede Gruppe muss mit jeweils ¾ der Stimmen für den Restrukturierungsplan votieren.
Anleihegläubiger werden regelmäßig eine eigenständige Gruppe bilden. Gruppenübergreifend gilt das Mehrheitsprinzip, so dass einzelne Gruppen von der Mehrheitsentscheidung anderer Gruppen überstimmt werden können. Da es sich beim StaRUG um ein relativ junges Gesetz handelt, sind viele Fragen im Zusammenhang mit der Wahl und den Befugnissen eines gV noch nicht abschließend geklärt.
Bestellung: Bringt ein Schuldner Forderungen aus Schuldverschreibungen in ein Instrument des StaRUG ein, gelten die Regelungen des § 19 Abs. 1 bis 5 SchVG entsprechend (§ 19 Abs. 6 SchVG). Danach liegt eine insolvenzähnliche Situation vor, in der das Restrukturierungsgericht von Amts wegen eine AGV zum Zweck der Bestellung eines gV einzuberufen hat. Noch nicht abschließend geklärt ist, ob für den Bestellungsbeschluss dann die einfache Mehrheit (§ 5 Abs. 4 S. 1 SchVG; § 76 InsO), eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 75% (§ 5 Abs. 4 S. 2 SchVG) oder aber die Dreiviertel-Mehrheit der jeweiligen Plangruppe (§ 25 Abs. 1 StaRUG) erforderlich ist.
Gegen die Anwendung des § 25 StaRUG spricht, dass dieser nur die Planabstimmung regelt. Die Wahl des gV ist jedoch kein Teil der Planabstimmung, sondern eine zeitlich vorgelagerte Maßnahme. Zudem zeigen die Erfahrungen aus vorinsolvenzlichen Szenarien, dass Mehrheiten von 75% keineswegs sicher sind. Zu hohe Anforderungen an die Mehrheit beschränken jedoch die Wahl eines gV und würden damit das Ziel des StaRUG, effektive Restrukturierungsmöglichkeiten zu eröffnen, konterkarieren.
Nach wohl überwiegender Auffassung erscheint es daher sachgerecht, die Wahl des gV im StaRUG-Verfahren grundsätzlich nach den Regeln des § 76 Abs. 2 InsO zu beurteilen, so dass ein (einfacher) Mehrheitsbeschluss ausreicht.
Aufgaben und Befugnisse: Ein gV erstarkt nach den Regelungen des § 19 Abs. 3 i.V.m. Abs. 6 SchVG mit Einbeziehung in ein StaRUG-Verfahren zum „starken“ gV und ist exklusiv berechtigt, die Rechte der Gläubiger geltend zu machen. Teil der Aufgaben des gV ist die Vertretung der Anleihegläubiger als sog. Planbetroffene im Rahmen der Planabstimmung. Bilden die Anleihegläubiger eine eigenständige Gruppe, stellt allein das Votum des gV die Zustimmung dieser Plangruppe dar. Rechtsbehelfe der Anleihegläubiger oder Kontrollmöglichkeiten der Planabstimmung durch den gV sieht das StaRUG hingegen nicht vor. Die Anleihegläubiger sind an die Planabstimmung gebunden.
Fazit
Die Restrukturierung einer Anleihe kann außerinsolvenzlich, als Restrukturierungssache im Rahmen des StaRUG oder innerhalb eines Insolvenzverfahrens anstehen. Dabei gelten teils unterschiedliche Anforderungen im Hinblick auf die Wahl, die Befugnisse und die Aufgaben des gV, dessen Anwendungsbereich sich innerhalb kürzester Zeit ändern kann.
Da in der Insolvenz des Emittenten keine Änderungen der Anleihebedingungen mehr beschlossen werden können, andererseits das StaRUG keine oder nur beschränkte Kontrollmöglichkeiten vorsieht, empfiehlt es sich aus Sicht der Anleihegläubiger, bereits im außerinsolvenzlichen Stadium von der Möglichkeit der Interessenvertretung durch einen geeigneten und vertrauenswürdigen gV umfassenden Gebrauch zu machen.
Auch aus Sicht des Emittenten kann von der Bestellung eines gV möglichst frühzeitig profitiert werden, denn der gV bietet einen Ansprechpartner für den Emittenten und andere Stakeholder, die maßgeblich an den Restrukturierungsverhandlungen beteiligt sind, und somit eine prozessförderliche Verhandlungsrolle. Häufig lassen sich auch ohne die Notwendigkeit eines StaRUG-Verfahrens Verhandlungsergebnisse erzielen, die einerseits die Insolvenz des Emittenten vermeiden und andererseits die Position der Anleihegläubiger nachhaltig verbessern.