BGH: AGB-rechtliche Inhaltskontrolle von Mehrheitsklauseln in Anleihebedingungen außerhalb des SchVG

Dr. Lutz Pospiech & Dr. Josepha Rüberg, GÖRG

Der Law Corner Beitrag von Dr. Lutz Pospiech, Assoziierter Partner, und Dr. Josepha Rüberg, Associate, GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München.

In seinem Urteil vom 16.1.2020 hat sich der BGH mit der praxisrelevanten Frage befasst, inwieweit Eingriffe in Gläubigerrechte durch kollektive Vertretung und Mehrheitsbeschlüsse der AGBrechtlichen Inhaltskontrolle standhalten. Der BGH hat klargestellt, dass Mehrheitsklauseln in Anleihebedingungen außerhalb des Anwendungsbereichs des SchVG insbesondere am Transparenzgebot des § 307 I 1 BGB zu messen sind.

Urteil des BGH (Az. IX ZR 351/18)
In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt sahen die Anleihebedingungen von nicht verbriefter Namensschuldverschreibungen die Möglichkeit vor, dass die Gläubiger Änderungen der Anleihebedingungen mit qualifiziertem Mehrheitsbeschluss – mit Wirkung für alle Gläubiger – zustimmen können. Weitere Konkretisierungen oder Beschränkungen enthielt die betreffende Mehrheitsklausel allerdings nicht. In den Anleihebedingungen war zudem geregelt, dass die Wahrnehmung der Rechte der Anleger einem Treuhänder obliegt. Auf dieser Grundlage beschloss eine qualifizierte Mehrheit der Gläubiger, dem Emittenten die Option einzuräumen, die Rückzahlung der Anleihe samt Zinsen an Erfüllung statt durch die Übertragung von Aktien erfüllen zu können.

Der BGH hat an der Entscheidung des OLG Stuttgart vom 19.7.2018 als Vorinstanz (vgl. Law Corner im BondGuide #21/2018, S. 37) festgehalten und hat die Wirksamkeit des gefassten Mehrheitsbeschlusses verneint.

Foto: © Vladimir Kolobov – stock.adobe.com

Unterwerfung der Mehrheitsklausel unter die AGB-Inhaltskontrolle
Zunächst führt der BGH an, dass § 5 SchVG im vorliegenden Fall mangels Verbriefung der Schuldverschreibungen keine Rechtsgrundlage für Mehrheitsbeschlüsse der Anleger darstelle. Angesichts der fehlenden Verkehrsfähigkeit der nicht verbrieften Schuldverschreibungen scheide auch eine analoge Anwendung des SchVG aus. Als Rechtsgrundlage käme somit allein die in den Anleihebedingungen enthaltene Mehrheitsklausel in Betracht, deren Wirksamkeit sich nach der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle bestimme. Dem stehe auch § 310 IV BGB nicht entgegen, wonach bei Verträgen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts keine AGB-Kontrolle stattfindet. Der BGH stellt klar, dass Verträge über die Gewährung von Schuldverschreibungen davon nicht umfasst sind, weil sie keine gesellschaftsrechtlich geprägten Mitgliedschaftsrechte verkörpern, sondern sich in einem schuldrechtlichen, geldwerten Anspruch erschöpfen.

Verstoß gegen das Transparenzgebot
Nach § 307 I 1 BGB liegt eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners und damit eine Unwirksamkeit der betreffenden Bestimmung vor, wenn diese nicht klar und verständlich ist. Der Verwender von AGB muss die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass der Vertragspartner ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte feststellen und die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen erkennen kann. Ein wie vorliegend mehr oder weniger schrankenloses Ermessen der Anlegermehrheit sei folglich mit dem Transparenzgebot unvereinbar. Laut BGH falle dabei zusätzlich ins Gewicht, dass die Anleger in der Anlegerversammlung durch einen vom Emittenten bestimmten und nur kraft der Anleihebedingungen bevollmächtigten Treuhänder vertreten wurden.

Adobe

Foto: © C. Schüßler – stock.adobe.com

Fazit
Der BGH bleibt seiner Linie treu und hält an dem Erfordernis der Verbriefung von Schuldverschreibungen für die Anwendbarkeit des SchVG fest. Auch mit seinem Urteil vom 16.1.2020 stärkt der BGH den Anlegerschutz. Für den Fall, dass der Anwendungsbereich des SchVG nicht eröffnet ist, sind Mehrheitsklauseln insbesondere am strengeren Maßstab des § 307 I 1 BGB zu messen. Bei der Beurteilung der Transparenz einer Klausel ist nicht – wie bei § 3 SchVG – auf die Perspektive eines ‚sachkundigen Anlegers‘, sondern auf die eines „durchschnittlichen Vertragspartners“ abzustellen.

Offen lässt der BGH indes weiterhin die spannende Frage, ob Regelungen des SchVG mittels Verweisung in den Anleihebedingungen auch außerhalb des Anwendungsbereichs des SchVG für anwendbar erklärt werden können.

Die erste BondGuide Jahresausgabe ,Green & Sustainable Finance‘ ist erschienen und kann ebenso wie das jährliche BondGuide Nachschlagewerk ,Anleihen 2019‘ als kostenloses e-Magazin bequem heruntergeladen, gespeichert & durchgeblättert werden.

! Bitte nutzen Sie für Fragen und Meinungen Twitter – damit die gesamte Community davon profitiert. Verfolgen Sie alle Diskussionen & News zeitnaher auf Twitter @bondguide !