„Bedeutende Besserstellung bei der Planung und Durchführung der Kapitalmaßnahme“

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Law-Corner-Interview mit Ingo Wegerich, Präsident des Interessenverbandes Kapitalmarkt KMU und Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, und Dr. Andreas Beyer, Geschäftsführer der Fonterelli GmbH & Co. KGaA

BondGuide: Herr Wegerich, Herr Dr. Beyer, zunächst Glückwunsch zu Ihrem großen Erfolg: Dass die BaFin ihre Auslegungspraxis ändert, kommt nicht so häufig vor. Können Sie uns vielleicht kurz die alte und neue Rechtslage erläutern?
Wegerich: Sehr gerne. Zunächst möchte ich mich jedoch sehr herzlich bei der BaFin für den sehr konstruktiven Dialog und bei dem DAI für die gute Zusammenarbeit bedanken! Das Wertpapierprospektgesetz ermöglicht prospektfreie öffentliche Angebote von Wertpapieren bis zu 8 Mio. EUR. Sofern der Emittent nicht an einem geregelten Markt zugelassen ist, bedarf es hierfür der Veröffentlichung eines Wertpapier-Informationsblatts sowie grundsätzlich auch der Vermittlung über ein Wertpapier-Dienstleistungsunternehmen (WpDU) im Wege der Anlageberatung oder Anlagevermittlung mit Prüfung von Einzelanlageschwellen bei Kleinanlegern.

BondGuide: Auch bei Bezugsrechtsangeboten?
Wegerich: Das Erfordernis der Vermittlung durch ein WpDU entfällt nur bei Angeboten an Altaktionäre im Rahmen von Bezugsrechtsangeboten. Bei einer solchen Bezugsrechtsemission erhalten die Aktionäre der Gesellschaft das Recht, Aktien aus der Kapitalerhöhung zu zeichnen: Altaktionäre können damit ihren bisherigen Stimmrechtsanteil erhalten, ohne ihre Stimmrechte zu verwässern. Da jedoch meist nicht alle Altaktionäre ihr Bezugsrecht in vollem Umfang ausüben, würden gerne andere Altaktionäre einspringen und zusätzlich zu ihren Bezugsrechten weitere Aktien aus der Kapitalerhöhung beziehen. Dieser Überbezug erforderte gemäß der bisherigen Verwaltungspraxis der BaFin einen Prospekt oder eine Vermittlung der Wertpapiere über ein WpDU unter Beachtung von Einzelanlageschwellen. Diese Praxis wird nun geändert.

BondGuide: Was ist nun konkret der Vorteil für börsennotierte Unternehmen?
Beyer: Der Vorteil ist, dass ein Bezugsangebot bis 8 Mio. EUR mit einem sogenannten Überbezug ausgestattet werden kann und dies keine Prospektpflicht oder eine Pflicht der Vermittlung der Wertpapiere über ein WpDU unter Beachtung von Einzelanlageschwellen mehr auslöst. Emittenten sparen sich damit erhebliche Kosten und können Bezugsrechtsemissionen deutlich schneller umsetzen. Beide Vorteile sind sehr relevant für kapitalmarktorientierte Mittelständler: Bei den Kosten kann dies 100 TEUR bedeuten. Der Zeitvorteil beträgt mehrere Monate, da die Kapitalmaßnahme allein mit einem Wertpapier-Informationsblatt durchgeführt werden kann.

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BondGuide: Dann ist diese Neuerung ja eine gute Nachricht. Aber wie relevant ist das Thema: Wie viele Firmen betrifft das denn überhaupt?
Beyer: Das betrifft jede Bezugsrechtsemission von Gesellschaften, die nicht am Regulierten Markt notieren, bis zu dem genannten Volumen. Schätzungsweise sind das um die 50 Maßnahmen pro Jahr. Man muss bedenken, dass diese Emissionen meist von den kleinen Aktiengesellschaften durchgeführt werden. Und für diese Werte bedeutet die neue Verwaltungspraxis eine bedeutende Besserstellung bei der Planung und Durchführung der Kapitalmaßnahme.

BondGuide: Was war der Auslöser Ihrer Initiative: Welche Erfahrungen haben Sie selbst ggf. konkret gemacht?
Beyer: Im Herbst 2021 hatte die Fonterelli GmbH & Co. KGaA die Durchführung einer Kapitalerhöhung im Verhältnis 1:1 mit Überbezug geplant. Für diese Maßnahme war ein Wertpapier-Informationsblatt erforderlich, deren Veröffentlichung von der BaFin zu gestatten war. Der Überbezug wurde von der BaFin jedoch abgelehnt. Nach Ablauf der Bezugsfrist war ein erheblicher Teil der angebotenen Aktien nicht gezeichnet. Das wäre bei der Gewährung eines Überbezugs sicherlich nicht passiert. Denn die Aktionäre konnten über ihre Quote hinausgehende Zeichnungswünsche nicht abgeben.

BondGuide: Und was war die Folge?
Beyer: Wir mussten die nicht bezogenen Aktien im Rahmen einer Privatplatzierung erneut anbieten. Dies hat uns viel Zeit gekostet. Hier gibt es auch kein automatisiertes Verfahren wie bei einer Bezugsrechtsemission, die mit Hilfe der Depotbanken äußerst effizient abgewickelt wird. Wir mussten Aktionäre und Investoren unter Einhaltung der gesetzlichen Regelung von maximal 149 Personen kontaktieren und mit einem Zeichnungsschein die Zeichnungswünsche entgegennehmen.

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BondGuide: Und was ist daran kompliziert?
Beyer: Man braucht von jedem Zeichner einen doppelt ausgestellten Zeichnungsschein mit verschiedenen persönlichen Angaben mit korrekten Bankdaten und die Unterschriften im Original. Die Zeichnungsscheine werden dann dem Notar vorgelegt, der die Daten mit der Liste der Zeichner abgleicht und diese Unterlagen gehen dann ans Registergericht, das jeden Zeichnungsschein nochmals prüft. Das Verfahren ist umständlich, zeitintensiv und höchst fehleranfällig. Ein Überbezug hätte dagegen bedeutet, dass es in dem Bankenformular zur Teilnahme an der Bezugsrechtsemission eine weitere Zeile gegeben hätte, wo jeder Aktionär lediglich eine weitere Stückzahl eingetragen hätte und alles wäre automatisch abgewickelt worden. Und in der Liste der Zeichner wäre alleine die Zahlstelle, also die übernehmende Bank, als Zeichnerin aufgetaucht.

BondGuide: Der Überbezug dient also einer Vereinfachung.
Beyer: … nicht nur. Es gibt viele weitere Vorteile. Der Überbezug reduziert die Emissionskosten, da keine oder weniger neue Investoren eingeworben werden müssen. Und das Recht eines Überbezugs hat einen wirtschaftlichen Wert für den Aktionär. Da die neuen Aktien im Bezug im Regelfall mit einem Discount zum Börsenkurs angeboten werden, ist es für den Aktionär meist attraktiv, weitere Aktien zu erwerben. Warum sollte man die billigeren Aktien nicht den eigenen Aktionären anbieten? Das wäre viel fairer. Und deswegen habe ich zu diesem Thema im GoingPublic Magazin im April des vergangenen Jahres veröffentlicht und den Interessenverband Kapitalmarkt KMU und das DAI gebeten, in dieser Angelegenheit tätig zu werden.

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BondGuide: Und wie ging es dann weiter?
Wegerich: Wir haben den Dialog mit der BaFin gesucht und uns dann zu diesem Thema sehr intensiv mit der BaFin zusammen mit dem DAI ausgetauscht. Schlussendlich konnten unsere Argumente überzeugen. Dies ist letztendlich auch ein schönes Beispiel für die Existenzberechtigung unseres Interessenverbandes: Mit über 60 kapitalmarktorientierten Unternehmen als Mitgliedern sind wir mittlerweile das Sprachrohr des kapitalmarktorientierten Mittelstandes und werden von der Politik, den Gesetzgebungsorganen und den Aufsichtsbehörden auch als dieses wahrgenommen. Ein einzelnes Unternehmen wird nicht viel erreichen. Wir jedoch sprechen für den gesamten kapitalmarktorientierten Mittelstand.

BondGuide: Das war aber nicht der erste Erfolg des KMU-Verbands, richtig?
Wegerich: Unser Interessenverband hat schon viel für den kapitalmarktorientierten Mittelstand erreichen können. So hatten wir beispielsweise durch eine Petition und Stimmensammlung, an der sich über 100 kapitalmarktorientierte Unternehmen beteiligt hatten, Einfluss auf den Gesetzgeber genommen und hierdurch überhaupt erst prospektfreie Bezugsrechtsemissionen bis zu 8 Mio. EUR ohne Einzelanlageschwellen und verpflichtende Vermittlung über ein WpDU ermöglicht. Im Jahr 2020 war unser Interessenverband für den Small- and Mid-Cap-Award der Europäischen Kommission in der Kategorie ‚Special Mention‘ für besondere Leistungen für den kapitalmarktorientierten Mittelstand nominiert.

Ingo Wegerich (li), Dr. Andreas Beyer

BondGuide: Herr Wegerich, Herr Dr. Beyer, wir danken Ihnen vielmals für das Gespräch!

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