Leere Regale: „Wenn Mars, Kellogg’s und Coca-Cola rausbrechen, haben unsere Supermärkte ziemliche Probleme“

In Deutschland bleiben einige Regale in Supermärkten leer – Mars, Kellogg’s und Coca-Cola wollen massive Preiserhöhungen bei ihren Produkten durchsetzen. Unsere Supermärkte setzen sich dagegen zu Wehr. BondGuide sprach mit Experte und Branchenkenner André Moll* zum aktuellen Geschehen.

Herr Moll, vielleicht kurz ein paar Worte zu Ihnen selbst und darüber, was Sie so machen.
Moll: Ich bin Geschäftsführer der Utry.me GmbH, die ihren Stammsitz in München hat, und beschäftige mich seit vielen Jahren sehr intensiv mit der FMCG-Branche[1], den Fast Moving Consumer Goods.

Der weltbekannte Mars-Konzern fordert eine Erhöhung der Preise bei allen möglichen Riegeln, für die er ja bekannt ist. Zunächst einmal: Was gehört denn beispielsweise alles zu Mars?
Zu Mars gehören nicht nur die gleichnamigen Schokoriegel, sondern auch Tierfutter, Reis, Spaghetti oder Kaugummi. Wir sprechen über eine ziemliche Marktmacht. Somit ist es kein Zufall, dass der aktuelle Preiskonflikt ausgerechnet bei einem multinationalen Hersteller-Konzern eskaliert. Im Gegensatz zu kleineren, eher national agierenden Unternehmen hat Mars die Möglichkeit, auf eine Supermarktkette in einem von vielen Ländern zu verzichten. Bei kleineren Herstellern, die eher national aufgestellt sind, wäre das nicht so einfach möglich.

Als Alternative zu höheren Preisen hat Mars Rewe, Edeka und anderen einen Lieferstopp angedroht. Da steht die Frage im Raum: Muss das jemanden kümmern?
Falls ein einziger Riegel aus Regalen verschwindet und bei uns in Deutschland nicht mehr verfügbar sein wird, dürfte das verkraftbar bleiben. Es wird aber eine ganze Produktpalette und möglicherweise die gesamte Belieferung durch einen der Großkonzerne beinhalten. Laut Medienberichten sind rund 300 Produkte betroffen. Und das wird definitiv im Supermarkt auffallen. Und eben nicht nur in einem, denn jeder hat Mars-Produkte in den Regalen.

Als Gesundheitsbewusster sage ich: Wunderbar – endlich wird Ernährungsmüll so teuer, dass er hoffentlich weniger gekauft werden wird. Also wie eine Zuckersteuer, die wir hier in Deutschland aber wohl leider nie bekommen werden. Denke ich zu kurz?
Das ist eine philosophische Frage. Wahrscheinlicher ist, dass einfach andere Riegel, z.B. die Eigenmarken der Supermärkte, gekauft werden, womit bereits aktiv geworben wird. Würde es nur um Schoko-Riegel gehen, wären die Auswirkungen überschaubar. Wenn ein Multi-Konzern wie Mars aber seine komplette Zulieferung nach Deutschland einstellt, werden durchaus ‚wichtigere‘ Produkte betroffen sein, für die ein Kunde oder eine Kundin ggf. zu einem anderen Supermarkt wechselt. Und inzwischen kommt die Forderung nach Preiserhöhungen ja nicht nur von Mars, sondern unter anderem auch von Kellogg’s oder Coca-Cola. Ich weiß nicht, wie Marken-sensitiv Sie persönlich sind, aber wenn in meinem Einkaufsmarkt künftig keine Coca-Cola mehr zu kaufen wäre, fiele mir das sehr wohl auf.

Will denn nur Mars Preiserhöhungen weitergeben oder ist Ihnen dieser Konflikt von anderen Multis ebenfalls bekannt?
Aktuell ist von Mars, Kellogg‘s und Coca-Cola die Rede.

Aus diversen Dokus im Sparten-TV weiß man, dass Supermärkte mit Grundnahrungsmitteln sogar Verluste hinnehmen, um in der Rabattschlacht am Ball zu bleiben. Verdient wird mit hochmargigen Produkten, mit denen sich Verbraucher leichter täuschen lassen, namentlich Bio sowie Produkte mit vermeintlich additiven Eigenschaften, sog. Superfood – und natürlich Markenprodukte wie eben von Mars und anderen. Stimmt das denn?
Ja, das stimmt. Die Grundabdeckung an Grundnahrungsmitteln wie Brot etc. kann gut durch Eigenmarken der Supermärkte geleistet werden. Hier gibt es kaum Oligopole. Den relevanten Gewinn machen die Märkte mit hochmargigen Markenartikeln. Es gehört also zur Selbsterhaltung der Märkte, auch diese Produkte reichlich im Gesamtangebot zu führen und natürlich an den Kunden zu bringen. Wenn Mars, Kellogg’s, Coca-Cola und eventuell noch weitere da rausbrechen, haben unsere Supermärkte ziemliche Probleme. Mit den günstigen Eigenmarken lässt sich dauerhaft nur sehr schwer ein profitables Geschäft betreiben.

Mit welchen Bandagen wird im Einkauf gekämpft aus Ihrer Erfahrung heraus?
Mit so ziemlich allen. Sie müssen sich überlegen, wer am längeren Hebel sitzt. Der Verkäufer eines Herstellers fährt in der Regel zu den deutschen Dependancen einer der oligopolistisch geprägten Handelsketten. In der Regel lässt dort einen der Einkäufer erst einmal warten, um seinen Rang für die Verhandlung zu verdeutlichen. Diese Vorgehensweise erhöht den Druck des Verkäufers, seine günstigeren Preise durchzusetzen. Denn davon hängen immerhin 10, 15 oder gar 20% des Jahresumsatzes für seine Firma ab. Wenn die Gegenseite, also der Händler als Käufer, den Abnahmepreise auch noch senken will, dann kann man sich ausmalen, welche Kröten ein Verkäufer schlucken muss. Bei den jährlich stattfindenden Gesprächen geht es jedoch nicht nur um Preisverhandlungen, sondern auch um Liefermengen, Werbeaktionen und Logistik. Bei diesen Jahresgesprächen gilt Mars übrigens als ‚harter Hund‘ und ihre Verhandlungsrunden können sich über Monate ziehen. Traditionell ist Deutschlands Lebensmittelmarkt extrem umkämpft – und die Kunden größtenteils sehr preissensitiv, was den Wocheneinkauf angeht. Eine Preiserhöhung bei wichtigen Grundnahrungsmitteln ist in Deutschland somit oftmals nur mit Kollateralschäden, in Form von sich abwendenden Kunden, durchsetzbar.

André Moll

Nicht jede/r kennt die Preise für Dinge des täglichen Bedarfs auswendig. Bekommt der Konsument denn überhaupt mit, wenn etwas im Preis von 99 Cent auf 1,09 EUR steigt?
Nein, mehrheitlich wohl nicht. Aber die Gesamtsummen beim Wocheneinkauf steigen nun mal seit einigen Quartalen – und die bekommt man mit, ohne die Details zu kennen. Das ist nur meine persönliche Meinung, und die ist, dass es in der Marktwirtschaft auch mal zu härteren Verhandlungen kommen kann und eine Seite auch mal aussteigt. Dass die Herstellungskosten steigen, ist nachvollziehbar, aber sie können nicht vollständig auf den Endverbraucher umgelegt werden. Der Hersteller muss in diesen schwierigen Zeiten auch etwas von seiner Marge in die Verhandlungsrunde werfen, genauso wie die Handelsseite.

Herr Moll, ganz herzlichen Dank an Sie für den überaus spannenden Austausch!

Interview: Falko Bozicevic

*) André Moll ist Gründer und Geschäftsführer von Utry.me

[1] Fast Moving Consumer Goods sind sog. schnelldrehende Produkte des täglichen Bedarfs, v.a. Lebensmittel, aber auch Kosmetikprodukte oder Reinigungsmittel.

———————-

Die Ausgabe 3/2022 Biotechnologie 2022  der Plattform Life Sciences ist erschienen. Die Ausgabe kann bequem als e-Magazin oder pdf durchgeblättert oder heruntergeladen werden.

Schon unsere brandneue Krypto-Jahresausgabe 2022 (1. Jg., Erscheinungstermin Aug. 2022) gesehen?

Unsere neueste BondGuide Jahresausgabe ,Green & Sustainable Finance 2022‘ ist im April erschienen und kann ebenso wie unser BondGuide Nachschlagewerk ,Anleihen 2021‘ als kostenloses E-Magazin bequem heruntergeladen, gespeichert & durchgeblättert oder weitergeleitet werden!

Bitte nutzen Sie für Fragen und Meinungen Twitter – damit die gesamte Community davon profitiert. Verfolgen Sie alle Diskussionen & News zeitnaher auf Twitter@bondguide !