Rezession : Fast überall stehen die Indikatoren auf Rot

Alle Frühindikatoren stehen auf Rot: Eine Rezession ist so gut wie sicher, in Deutschland, in Europa und in der Welt insgesamt – von Dieter Wermuth*

Im Jahr 2020 schrumpfte das reale BIP der Welt um 3,1% – ein Rückgang könnte erneut bevorstehen, obwohl die offiziellen, von Mal zu Mal pessimistischeren Prognosen von IWF und OECD weiterhin für das Jahr 2023 ein positives Wachstum für die Weltwirtschaft erwarten (2,2%). Für besonders betroffen hält die OECD in ihrer Septemberprognose Deutschland (-0,7%), Euroland (0,3%) und die USA (0,5%).

Der Auslöser ist diesmal ein anderer als 2020: Es ist die Explosion der Energiepreise, nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Für die Haushalte in den Ländern, die auf Energieimporte angewiesen sind, bedeuten die hohen Preise für Gas und Öl, dass sie viel weniger Geld übrig haben für andere Ausgaben – auch für solche, die kaum Energie als Input erfordern.

Während das allgemeine Niveau der Verbraucherpreise zurzeit zwischen 8 und 10% höher ist als vor einem Jahr, sind die Einkommen nur um 3 bis 5% gestiegen. Wenn es nach den gewerblichen Erzeugerpreisen geht, dürfte diese Diskrepanz in den nächsten Monaten weiter zunehmen: In Deutschland lagen die Erzeugerpreise im August um nicht weniger als schockierende 45% über ihrem Stand zwölf Monate zuvor.

Die Unternehmen versuchen, wenn sie nicht Konkurs anmelden wollen, den gewaltigen Anstieg ihrer Einstandskosten an ihre Kunden weiterzugeben: Die Kosten für Gas beispielsweise sind gegenüber dem Vorjahr etwa um den Faktor 10 gestiegen. Die Folge wird sein, dass die Inflation der Verbraucherpreise auch in Deutschland in Kürze zweistellige Werte erreichen wird.

Hinzu kommt, dass die Geldpolitik im gesamten OECD-Bereich (außer in Japan) prozyklisch agiert, also trotz der Rezessionsgefahren immer stärker auf die Bremse tritt. Die Inflationsraten liegen weit über ihren Zielwerten, also muss die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen aus Sicht der Zentralbanker durch steigende Leitzinsen gedrosselt werden. Sie sorgen sich um ihren Ruf.

Weitere große Zinsschritte sind fast überall schon angekündigt. Dadurch verschieben sich die gesamten Zinskurven nach oben, selbst am langen Ende, obwohl die kommende Rezession normalerweise zu einem Rückgang der Inflationserwartungen und damit der längerfristigen Bondrenditen führt. Diesmal nicht!

Das hat mindestens zwei negative Effekte auf Wachstum und Beschäftigung: Zum einen steigen die Zielrenditen von Sachinvestitionen, was deren Dynamik abbremst, zum anderen vermindern sich durch die höheren Diskontierungsfaktoren die Barwerte der künftigen Cashflows und Gewinne, was auf die Aktienkurse drückt; dieser negative Vermögenseffekt vermindert die Ausgabeneigung von Haushalten und Unternehmen.

Gleichzeitig findet ein tiefgreifender Strukturwandel statt. Weil fossile Brennstoffe so teuer geworden sind, müssen Verfahren, Anlagen und Produkte, die bisher auf sie angewiesen waren, aufgegeben und abgeschrieben werden, was in die Gewinne geht. Viele Fachkräfte verlieren ihre Jobs. Eine neue Struktur muss her, aber es mangelt zumindest anfangs an zuverlässigen Lieferanten und Spezialisten. Es kommt zu einer sogenannten friktionellen Arbeitslosigkeit.

Eigentlich schlägt in einer solchen Situation die Stunde der Finanzpolitik. Sie hat die Aufgabe, durch niedrigere Steuern und eine gezielte Förderpolitik den Strukturwandel zu begleiten, insbesondere soziale Härten abzumildern und die Ressourcen in zukunftsträchtige Bereiche zu lenken. Das ist leichter gesagt als getan, denn die Staatsschulden sind durch die vorherige Rezession bereits sehr hoch und sollten, jedenfalls nach Meinung konservativer Politiker, eher abgebaut als weiter vergrößert werden. Von dieser Seite wird wenig Hilfe im Kampf gegen die Rezession kommen.

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In der Vergangenheit war China ein stabilisierender Faktor: es ist ein Land mit großem Nachholbedarf und einer sehr hohen Sparquote. Bis vor wenigen Jahren wuchs sein Output mit jährlichen Raten von mehr als 8% und sein Beitrag zum Wachstum des globalen BIP betrug seit der Jahrtausendwende im Durchschnitt 28% (USA 10%) – es war der Motor der Weltwirtschaft. Damit ist es fürs Erste vorbei. Wegen der Immobilienkrise, der Covid-Lockdowns und der Probleme auf den Exportmärkten hat sich das Trendwachstum Chinas auf etwa 4% vermindert. Das bedeutet, dass die Kapazitäten offenbar nicht mehr genügend ausgelastet sind und das Land daher in der nahen Zukunft als ‚Importer of last Resort‘ ausfällt.

In den USA ist das BIP in den vergangenen zwei Quartalen leicht gesunken, dabei steigen die Leitzinsen weiterhin in großen Schritten und rascher Abfolge. Ebenso wie in den Ländern des Euroraums wird das Wachstum von nun an, bis mindestens Ende 2023, mit Raten von weniger als 1% expandieren. Es fragt sich, woher der Anstoß für den nächsten Aufschwung kommen soll. Die OPEC-Länder, Russland, Norwegen und Texas, die großen Profiteure der jetzigen Krise, werden es nicht richten – sie sind zu klein. Zunächst wird es sich nicht vermeiden lassen, dass es im OECD-Raum und in China wenn nicht zu einer Rezession, mindestens aber zu einem deutlichen Nachlassen der wirtschaftlichen Dynamik kommt.

Dieter Wermuth

Was lernen Anleger daraus? Sie sollten die Finger von Aktien lassen – da ist das Ende des allgemeinen Kursverfalls noch nicht in Sicht. Davon werden, und sollten, sich Contrarians natürlich nicht beeindrucken lassen, ebenso wenig wie jene klugen Investoren, die Monat für Monat einen gleichbleibenden Betrag in Aktien stecken, egal was am Markt passiert. Auf Dauer können sie sich darauf verlassen, dass die Risikoprämie von Aktienportefeuilles gegenüber Bondanlagen 3 bis 4 Prozentpunkte pro Jahr beträgt. Im Übrigen sollte die Restlaufzeit der Wertpapierbestände verringert werden, jedenfalls solange die Zentralbanken nicht von ihrer Restriktionspolitik ablassen. Und natürlich japanische Wertpapiere! Sie wurden in letzter Zeit zu Unrecht stark vernachlässigt. Zudem ist der Yen krass unterbewertet.

*) Dieter Wermuth ist Economist und Partner bei Wermuth Asset Management

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