Zinswende : Anleihen im hochbonitären Segment im Vorteil

Nach ihrem Kampf gegen die schlimmste Inflationswelle seit der Volcker-Ära [1] beginnen die großen Zentralbanken der westlichen Welt endlich mit der Zinswende – erläutern Ariel Bezalel und Harry Richards*

Die großen westlichen Zentralbanken beginnen nach der Bekämpfung der stärksten Inflationswelle seit der Volcker-Ära, die Zinssätze zu senken. In den letzten zwei Jahren konzentrierte sich die US-Notenbank (FED) darauf, den Preisdruck durch die hohe Nachfrage nach der Pandemie zu bewältigen. Das robuste Wirtschaftswachstum und widersprüchliche Daten erschwerten den Zentralbanken jedoch die Kontrolle und sorgten für Unsicherheit an den Märkten.

Im ersten Quartal stieg die Kerninflation an, was die Marktteilnehmer verunsicherte und ihre Erwartungen für Zinssenkungen auf die zweite Jahreshälfte 2024 verschob. Schwankungen bei saisonbereinigten Inflationsdaten machten die Bewertung der Fortschritte hin zum 2%-Inflationsziel schwieriger. Dennoch zeigen grundlegende Zahlen, dass sich die Inflation voraussichtlich weiter abschwächen könnte. Seit Oktober 2022 lag die monatliche Kerninflation überwiegend unter dem Vorjahreswert. Ein geringes Geldmengenwachstum und moderatere Rohstoff- und Lebensmittelpreise tragen ebenfalls dazu bei.

Zinswende : Realzinsen

Quelle: Bloomberg, NY FED, Jupiter, Stand 31.07.24. Der reale Zentralbankzinssatz wird durch Abzug der Jahresrate des Kern-PCE für die USA berechnet. Berechnung des neutralen Zinssatzes auf der Grundlage des Holston-Laubach-Williams-Modells

Der US-Arbeitsmarkt schwächt sich allmählich ab, was eine Ursache für die weniger restriktive Haltung der FED sein könnte. Powell könnte sich aufgrund der sinkenden Inflation verstärkt auf das Mandat zur Förderung von Beschäftigung konzentrieren. Die Analysten erwarten, dass das nachlassende Lohnwachstum, kombiniert mit Produktivitätszuwächsen von 1,5 bis 2%, das 2%-Inflationsziel der FED unterstützen könnte. Da der Arbeitsmarkt sich in Richtung eines Überschusses entwickelt, ist auch nicht mit einer Lohn-Preis-Spirale zu rechnen.

Die finanzielle Lage der Verbraucher hat sich im vergangenen Jahr kontinuierlich verschlechtert, was durch pessimistischer werdende Prognosen großer Einzelhändler bestätigt wurde. Auch die Konsumausgaben, insbesondere im Restaurantsektor, haben sich seit Jahresbeginn leicht abgeschwächt. Die sinkenden Sparüberschüsse, eine niedrige Sparquote, höhere Verbraucherkredite und schwächere Einkommenserwartungen weisen auf eine bevorstehende Verlangsamung des Konsums hin, der 70% des US-BIP ausmacht.

Auch außerhalb der USA stagnieren die Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe. Ein Aufschwung wird durch höhere Energiepreise, fehlende Spielräume für staatliche Ausgaben und eine schwächere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China erschwert. In Europa könnte politische Unsicherheit die Lage zusätzlich verschärfen, während Chinas strukturelle Probleme weiterhin ungelöst bleiben.

Harry Richards (li.) und Ariel Bezalel

Die Marktdiskussion konzentriert sich auf das Tempo und Ausmaß zukünftiger Zinssenkungen. Anleger zweifeln, ob eine ‚weiche Landung‘ mit minimalen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft möglich ist oder ob eine Rezession droht. Bezalel und Richards sehen die Realzinsen als zu hoch an und vermuten, dass die Zentralbanken gezwungen sein könnten, die Geldpolitik schneller zu lockern, als es die Märkte erwarten. Dies könnte besonders Anleihen im hochbonitären Segment begünstigen.

*) Ariel Bezalel und Harry Richards sind Investmentmanager bei Jupiter Asset Management

[1] Als FED-Vorsitzender von 1979 bis 1987 brachte Paul Volcker die ausufernde Inflation mit aggressiven geldpolitischen Maßnahmen unter Kontrolle.

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