Wie schlimm wird 2022 ?

Nach einem schwierigen ersten Halbjahr 2022 bleibt laut J.P. Morgan Asset Management auch die zweite Jahreshälfte herausfordernd.

Drängendste Frage ist aktuell, wie es mit der Inflation weitergeht und ob diese zu einer Rezession führt. Angesichts des Wechselspiels zwischen Inflations- und Rezessionsgefahr stehen die Zentralbanken und wie sie auf diese Situation reagieren besonders im Fokus. Während in den USA der enge Arbeitsmarkt die Inflation weiter befeuert, stechen in Europa derzeit vor allem die Risiken bei der Energieversorgung hervor. Vor diesem Hintergrund fragen sich Anlegerinnen und Anleger, inwiefern ein Rezessionsrisiko an den Kapitalmärkten bereits eingepreist ist und wie man sich am besten positionieren sollte.

Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management, spricht bei der Vorstellung des „Guide to the Markets“ für das 3. Quartal 2022 davon, dass zur Einordnung der aktuellen Ereignisse zunächst eine „Vergangenheitsbewältigung“ sinnvoll sei: „Das erste Halbjahr war insofern besonders, als dass fast alle großen Anlageklassen – bis auf Rohstoffe und Hedgefonds – eine negative Entwicklung zu verschmerzen hatten. Der starke US-Dollar hat diese für global investierte Euro-Anleger zwar noch etwas abgemildert, aber die hohe Inflation hat die klassische Korrelation zwischen Aktien und Renten außer Kraft gesetzt. Wenn diese Diversifikationseffekte nachlassen und die Volatilität steigt, müssen Portfolios noch breiter diversifiziert werden, um das Risiko zu verringern“, führt der Ökonom aus.

Verschiedene Komponenten der Inflation auf den beiden Seiten des Atlantiks

Ein Treiber der Inflation sind die anhaltenden Versorgungs- und Lieferengpässe, wobei es laut Galler zwischen Rohstoffen wie Öl und Gas und den Gütermärkten zu unterscheiden gilt. Auch die Engpässe auf dem Arbeitsmarkt sind nicht zu vernachlässigen. „Nach Jahrzenten des Überflusses sind wir in einer Zeit des Mangels angekommen“, stellt Galler fest. Aktuell gibt es in den USA für jeden Arbeitssuchenden zwei offene Stellen, was das Lohnwachstum ebenso wie die gesamtwirtschaftliche Nachfrage antreibt. Der Experte betont jedoch, dass dies eine Momentaufnahme sei – im Laufe des Jahres sollte sich die Inflation in den USA, die zuletzt auf über 9% geklettert ist, wieder abschwächen.

Auch tragen auf beiden Seiten des Atlantiks unterschiedliche Komponenten zu der Inflation bei. Energiekosten etwa treiben die Inflation in den USA nicht so stark in die Höhe wie in Europa. In anderen Bereichen, wie etwa im Automobilsektor, lösen sich die Engpässe nach und nach auf. Zukünftig dürfte sich auch nach der Urlaubszeit die aufgestaute Nachfrage in vielen Dienstleistungen verringern. „So langsam scheint der Peak überschritten zu sein, denn die Verbraucher werden ihre Konsumgewohnheiten dem veränderten Preisumfeld anpassen“, betont Galler.

Ein wichtiger Aspekt ist, wie es den Konsumenten geht. Neben den inflationären Verteuerungen bei Nahrungsmitteln oder an der Tanksäule ziehen in den USA laut Galler auch dunkle Wolken am Immobilienmarkt auf. So verdoppelten sich die US-Hypothekenzinsen zuletzt auf mehr als 6%, was die Kostenbelastung für Immobilienkäufe oder Kreditrefinanzierungen steigert. Dies dämpft den Immobilienmarkt und den Bausektor, wo zwar aktuell noch der Auftragsstau abgebaut wird, aber es mittel- bis langfristig zu einem Rückgang kommen werde. Sorgen, dass es zu einem Immobiliencrash wie bei der Finanzkrise kommt, sind laut Galler jedoch unbegründet, da die Finanzierungen viel langfristiger und solider als damals sind und es den Haushalten weiterhin sehr gut geht.

Rezessionsrisiken steigen

Nichtsdestotrotz haben sich die Rezessionsrisiken in den letzten sechs Monaten deutlich erhöht. „Viele Frühindikatoren waren zum Jahresbeginn noch im grünen Bereich und sind nun in Bereiche abgerutscht, die historisch auf ein erhöhtes Rezessionsrisiko hingewiesen haben“, führt Galler aus. Während in den USA allerdings vor allem das verarbeitende Gewerbe auf ein kritisches Niveau abgerutscht ist, sind in Europa zusätzlich das Verbrauchervertrauen und der Einkaufsmanagerindex für Dienstleistungen „tiefrot“. Der Arbeitsmarkt zeigt sich dagegen weiterhin sehr robust, was den Konsum weiter stützen sollte.

„Die Kombination aus Inflation, Straffung durch die Fed und höheren Hypothekenzinsen stellt sicherlich einen Gegenwind für die US-Wirtschaft dar. Es ist in den USA in diesem Jahr aber eher eine technische Rezession zu erwarten, statt eines tieferen Abschwungs – zumindest solange die Beschäftigungslage weiterhin so gut ist“, so Galler. Er erwartet, dass die Kerninflation nun ihren Höhepunkt erreicht hat und die Zentralbanken aufgrund der sich abschwächenden Inflationsdynamik wieder etwas zurückhaltender agieren. „Sicherlich werden die US-Zinsen in diesem Quartal kräftig steigen, aber die Geschwindigkeit der Zinserhöhungen wird sich anpassen, sobald die Wirtschaft reagiert und sich Inflation und Wachstum abschwächt“, ist der Stratege sicher. In Europa, wo der Krieg in der Ukraine und die Risiken der Energieversorgung die Rezessionsrisiken noch stärker erhöhen, sollten die Anleger nicht zu große Zinsschritte erwarten.

Die Aufzeichnung der Webkonferenz ist hier zu finden

Tilmann Galler, Executive Director, CEFA/CFA, arbeitet als globaler Kapitalmarktstratege für die deutschsprachigen Länder bei J.P. Morgan Asset Management in Frankfurt. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung in der Finanzbranche und war zuvor unter anderem auch als Portfolio Manager tätig.

www.jpmorganassetmanagement.de/deu/marketinsights

Der vollständige, aktuelle Guide to the Markets steht in Kürze in der Market Insights App oder auf der Website www.jpmorganassetmanagement.de zur Verfügung.

Tilmann Galler, J.P. Morgan AM

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