Wege aus dem Corona Shutdown

Eckpunkte für eine Exit-Strategie aus dem Shutdown mit Verantwortung für Gesundheit und Wirtschaft. Wichtig ist eine Strategie des aktiven Versuchens mit unmittelbarer Überprüfung. Von Dr. Malte Heyne, IHK Nord

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise sind in ihrem gesamten Umfang noch nicht absehbar – aber schon heute kämpfen viele Unternehmen um ihr Überleben. Über 90% der norddeutschen Unternehmen aus nahezu allen Wirtschaftssektoren sehen negative Auswirkungen auf ihren Geschäftsbetrieb.

Die Krise schlägt in unterschiedlicher Intensität und zeitverzögert zu. Veranstaltungs- und Reisebranche, Gastronomie oder Einzelhandel sind unmittelbar und sofort durch den Shutdown an ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit gehindert, mit gravierenden, teilweise unmittelbar existenzbedrohenden Folgen. Andere Branchen spüren die Krise indirekt, etwa durch Mietausfall in der Immobilienbranche, stillgelegte Produktion führt zu vermindertem Energieverbrauch oder Transportbedarf. Haushaltssperren in vielen Unternehmen und Institutionen treffen etwa die Dienstleistungsbranche besonders schmerzhaft. Und angebotsseitig fehlen der Wirtschaft krankheitsbedingt und wegen der Kita- /Schulschließungen Arbeitskräfte.

Der Gesundheitsschutz der Bevölkerung hat für die norddeutsche Wirtschaft oberste Priorität. Die über 700.000 Betriebe in Norddeutschland tragen die massiven und häufig existenzgefährdenden Einschränkungen im Wirtschaftsleben verantwortungsbewusst und solidarisch mit. Akzeptanz für die Maßnahmen schafft das entschlossene und grundsätzlich richtige Handeln der Bundes- und Landesregierungen zur Stabilisierung der Wirtschaft. Nach einem Monat des weitgehenden Stillstands des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens benötigen die Betriebe Norddeutschlands eine verbindliche Perspektive, damit aus der Corona-bedingten Wirtschaftskrise keine soziale Krise wird. Denn klar ist: Aus medizinischer Sicht mag es eine Unterscheidung von systemrelevanten und weniger systemrelevanten Arbeitsplätzen geben.

Aus Sicht der Wirtschaft ist jeder einzelne Arbeitsplatz für die Kunden, die er versorgt und die Familien, die er ernährt, von größter Wichtigkeit! Und mittelfristig können wir das außergewöhnlich gute Gesundheitssystem in Deutschland nur mit einer starken Wirtschaft finanzieren. Vor diesem Hintergrund schlägt die norddeutsche Wirtschaft eine Exit-Strategie aus dem Corona-Shutdown, die den größtmöglichen Gesundheitsschutz mit Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft verbindet, gemäß folgender Eckpunkte vor:

Jeder Tag zählt – transparente und verbindliche Lockerungskriterien

In Norddeutschland ist durch den Corona-Shutdown aktuell nahezu jedes fünfte Unternehmen von der Insolvenz bedroht – trotz der staatlichen Schutzinstrumente. Jeder Tag mit den aktuellen Einschränkungen kostet die norddeutsche Wirtschaft – überschlägig – bis zu 1,6 Mrd. EUR. Das ifo-Institut berechnet die volkswirtschaftlichen Kosten des Shutdowns für die deutsche Wirtschaft insgesamt auf 57 Mrd. EUR pro Woche. Dies bedeutet pro Tag und angesichts des Anteils der norddeutschen Wirtschaft von 20% am deutschen Bruttoinlandsprodukt ein Kostenanteil von über 1,6 Milliarden Euro der norddeutschen Wirtschaft.

Sobald die medizinische Situation es gestattet, muss die Wirtschaft, auch in einzelnen Sektoren, in denen es bereits vertretbar ist, umgehend wieder hochgefahren werden. Unternehmen brauchen hierfür ein Höchstmaß an Planungssicherheit und -verbindlichkeit. Es ist dringend nötig, die medizinischen Entscheidungskriterien, von denen eine schrittweise Lockerung der Einschränkungen abhängig ist, transparent und verbindlich zu kommunizieren. Zudem müssen bei den Lockerungsmaßnahmen Wechselwirkungen zwischen Sektoren beachtet werden, bspw. zwischen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen und der Personalverfügbarkeit in den Unternehmen.

Länderübergreifende Synchronisierung der Lockerungen

Der Weg in den Shutdown war – der besonderen Situation geschuldet – teilweise von hoher Dynamik geprägt, was zu unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern geführt hat. Gerade im föderativ kleinteiligen Norden steht dies im Gegensatz zum einheitlichen, nicht an Landesgrenzen orientierten Wirtschaftsraum. Bei einer Lockerung der wirtschaftlichen Einschränkungen ist eine Orientierung am Subsidiaritätsprinzip sinnvoll, um lokal und regional gegebenenfalls schneller zur wirtschaftlichen Normalität zurückzukehren.

Grundsätzlich ist ein einheitliches und abgestimmtes Vorgehen mit einer Orientierung an einheitlichen Kriterien aller Bundesländer erforderlich, um die Wirtschaft hochzufahren und zugleich Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Ganz besonders gilt dies für den norddeutschen Wirtschaftsraum. Zentral ist eine länderübergreifende Bewegungsfreiheit, allein wegen der vielfältigen Pendlerverkehre, Liefer- und Leistungsbeziehungen und touristischer Aktivitäten. Darüber hinaus sollten auch schrittweise Lockerungen und einheitliche Regelungen für den grenzüberschreitenden Warenverkehr im EU-Binnenmarkt angestrebt werden.

Klare Gesundheitsvorschriften statt pauschaler Branchen-Einschränkungen

Natürlich gibt es Wirtschaftsbereiche, beispielsweise Großveranstaltungen, die noch auf absehbare Zeit aus medizinischen Gründen nicht wieder hochgefahren werden können. Zielführender und angemessener als pauschale Einschränkungen für ganze Wirtschaftssektoren können die klare Definition und Einhaltung von Gesundheitsvorschriften, wie Abstandsregelungen oder eine maximale Personenanzahl pro Quadratmeter Geschäftsfläche sein.

Unternehmen müssen ihre Tätigkeit wieder aufnehmen dürfen, wenn sie diese Vorschriften einhalten, auch ohne Gefahr zu laufen, hierdurch in Bezug auf staatliche Unterstützungsprogramme schlechter gestellt zu werden. Die Unternehmen in (Nord-) Deutschland sind bereit, den hygienischen Schutz in ihren Betrieben zu verstärken und entsprechende Maßnahmen für ihre Beschäftigten, Kunden und Stakeholder verantwortungvoll umzusetzen.

Hierfür muss die öffentliche Hand pragmatisch die Voraussetzungen schaffen: Definition verbindlicher und klarer Hygienevorschriften, Beratung zur Umsetzung der Hygienemaßnahmen durch die Gesundheits- und Ordnungsämter – gerne im Verbund mit den Industrie- und Handelskammern – und Sicherstellung der Verfügbarkeit von Schutzausrüstung, wie Atemschutzmasken oder Desinfektionsmitteln.

Technologische Möglichkeiten für den Exit voll ausnutzen

Die norddeutsche Wirtschaft plädiert entschlossen dafür, alle technischen Möglichkeiten voll auszunutzen, um weitere und noch längere Einschränkungen im öffentlichen Leben zu verhindern. Die Ansätze sogenannter Tracking-Apps sind vielversprechend, wie das Beispiel Südkorea zeigt. Natürlich muss auch hier der Datenschutz beachtet werden, aber er muss in dieser Sondersituation mit Augenmaß eingesetzt werden und gegebenenfalls auch zeitlich begrenzt Ausnahmen ermöglichen. Ebenfalls sind Optionen von Immunitätsnachweisen zu prüfen. Weiterhin sollten die rechtlichen Voraussetzungen für virtuelle Sitzungen und Beschlussfassungen ausgeweitet werden.

Dr Malte Heyne, IHK Nord ( ©Ulrich Perrey)

Dr Malte Heyne, IHK Nord ( ©Ulrich Perrey)

Monitoring und situative Anpassung

Die Entscheidungen zur schrittweisen Lockerung der Einschränkungen des wirtschaftlichen Lebens erfolgen unter einem hohen Maß an Unsicherheit. Für die norddeutsche Wirtschaft wird der Weg aus dem Shutdown ein iterativer Prozess sein, bei dem es Schritte zur Lockerung, aber situativ bedingt auch wieder Einschränkungen geben kann. Wichtig ist eine Strategie des aktiven Versuchens mit unmittelbarer Überprüfung. Bei Irrtümern in Form von zu weit gehenden Lockerungen muss sofort reagiert werden, um einem Wiederanschwellen der Infektionsraten zu begegnen.

Denn nach einzelnen Lockerungen darf es insgesamt nicht zu einem zweiten Shutdown kommen, der zu längeren Einschränkungen und damit ökonomisch noch größeren Ausfällen führt. Dringend notwendig sind hierfür etwa ausreichende Kapazitäten für Schnelltestverfahren auf das Corona-Virus oder ein effizienter Daten- und Informationsaustausch der Gesundheits- und Ordnungsämter – mindestens im norddeutschen Raum, besser bundes- und oder auch europaweit.