„Riesige Lücke zwischen Wunsch und Handeln“

Accentro Real Estate AG: Die ACCENTRO Real Estate AG platziert erfolgreich ihre Unternehmensanleihe
Foto @ ACCENTRO Real Estate AG

BondGuide: Suchen Menschen in Ballungszentren wie München oder Frankfurt tatsächlich eine Wohnung für die Selbstnutzung oder ist zu erkennen, dass viele schon spekulieren?
Mingazzini: Im Nachgang zu dem zuvor Geschilderten ist das Merkwürdige, dass sich vier von fünf Deutschen ein eigenes Heim wünschen – umso unverständlicher also noch, dass diese Niedrigzinsphase nicht genutzt wird, diesen Wunsch umzusetzen. Zwischen Wunsch und Handeln klafft eine riesige Lücke. Es ist legitim, dass Menschen, die schon Wohneigentümer sind, noch eine zweite Wohnung als Kapitalanlage und zur Vermögensbildung erwerben oder bauen lassen und damit auch zur Verminderung von Wohnungsnotstand beitragen.

BondGuide: Was fordern Sie von der Politik bzw. was können Sie selbst als Unternehmenslenker beisteuern, um die Wohnungssituation in Deutschland zu verbessern?
Mingazzini: Man könnte auf mehreren Ebenen etwas unternehmen. Wichtig ist vor allem, dass in den betroffenen Gebieten neuer Wohnraum geschaffen wird. Leider zeigt eine jüngste Studie des BfW Landesverbands Berlin/Brandenburg, dass die Anzahl der Fertigstellung von neuen Wohnungen weit niedriger ist als die Anzahl der Genehmigungen. Als einen Hauptgrund für diese Entwicklung nennt die Studie stark verlängerte Planungs- und Genehmigungsprozesse im Wohnungsneubau. Den Bebauungsplänen, die 2017 festgesetzt wurden, ging eine durchschnittliche Laufzeit von zwölf Jahren voraus. Das ist ein unhaltbarer Zustand und zeigt, dass Vorschriften und Prozesse entschlackt werden müssen. Man könnte auch mit einem geringen administrativen Aufwand viel bewirken: Beispielsweise könnten die Eigenkapitalanforderungen herabgesetzt werden, die ja mit steigenden Preisen ebenfalls ansteigen. Ein erster Schritt wäre meines Erachtens die Befreiung von der Grunderwerbssteuer bei erstmaligem Kauf einer selbstgenutzten Wohnung. Das wären in Berlin immerhin 6%. Schließlich könnten auch die Förderbanken mit einem vergleichsweise geringen administrativen Aufwand als Garanten nachrangiger Bürgschaften mehr tun. Die Ausfälle bei selbstgenutztem Eigentum sind gering. Alles jeweils ein kleiner Aufwand, aber mit jeweils großer Wirkung.

AccentroBondGuide: Und Sie selbst?
Mingazzini: Ich habe den Verein zur Förderung von Wohneigentum in Berlin ins Leben gerufen. Andere Mitstreiter waren es wie ich leid, dass das Thema Wohneigentum in Berlin auf keiner Tagesordnung steht – obwohl das sogar in der Berliner Verfassung verankert ist. Berlin missachtet aktuell seine eigene Verfassung, indem es sich ausschließlich um Mietwohnungsthemen kümmert. Das ist völlig unsachgerecht. Wir sollten diese historische Chance nicht ungenutzt vorbeiziehen lassen, denn Vermögensaufbau und Absicherung im Rentenalter hängen damit ganz eng zusammen. Diese verschlafen wir in Deutschland, auf praktisch allen Ebenen.

Mingazzini

Jacopo Mingazzini, Vorstand der ACCENTRO Real Estate AG

BondGuide: In der Tat liest man in Zeitungen ja nur stets, dass Sparer enteignet würden aufgrund der Niedrig- und Minuszinsen. Die Kehrseite wird wenig bis gar nicht adressiert.
Mingazzini: Das stimmt. Dass es sehr günstig geworden ist, sich Fremdkapital zu leihen, wird in der Berichterstattung kaum beleuchtet. So wenig es sich lohnt, derzeit Sparer zu sein, desto mehr lohnt sich, Investor zu werden. Gleichzeitig hat man bei Immobilieneigentum auch noch den Vorteil der guten Wertentwicklung von Sachwerten, die ja auch in enger Korrelation zur Niedrigzinsphase steht.

BondGuide: Herr Mingazzini, besten Dank für die überaus aufschlussreichen Einblicke!

Das Interview führte Falko Bozicevic

Das neue jährliche BondGuide Nachschlagewerk ‘Anleihen 2018′ ist erschienen und kann als kostenloses e-Magazin bzw. pdf bequem heruntergeladen, gespeichert & durchgeblättert werden.

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