
Mittelständische Unternehmen machen fast die Hälfte des deutschen Bruttoinlandsprodukts aus, sind jedoch an der Börse kaum vertreten. Trotz ihrer wirtschaftlichen Bedeutung nutzen viele Unternehmen in Deutschland die öffentlichen Kapitalmärkte nicht als Finanzierungsquelle. Das hat kulturelle Gründe, ist aber auch auf Unsicherheiten bezüglich der Transaktionskosten und Transaktionssicherheit zurückzuführen. Von Jens Hecht*, CFA, Managing Partner, Kirchhoff Consult, und Dr. Stefan Petrikovics**, Gründer und CEO, SMG Holding
Ein Reverse IPO bietet auch kleinen und mittleren Unternehmen eine effiziente und kostengünstige Möglichkeit, den Zugang zu öffentlichen Kapitalmärkten zu erlangen. Durch die Fusion mit einer bereits börsennotierten Gesellschaft können Unternehmen den aufwendigen klassischen IPO-Prozess umgehen. Diese Methode ist besonders vorteilhaft für Unternehmen, die einen schnellen Markteintritt sowie Transaktionssicherheit suchen – ohne die Risiken eines üblichen Börsengangs.
Vorteile eines Reverse IPO
Ein Reverse IPO bietet Unternehmen, insbesondere in herausfordernden wirtschaftlichen Zeiten, zahlreiche Vorteile. Zunächst ist es kosten- und zeiteffizient. Traditionelle Börsengänge sind teuer und zeitaufwendig, verbunden mit hohen Emissionsgebühren und rechtlichen Kosten. Durch die Fusion mit einer börsennotierten Mantelgesellschaft können Unternehmen diese Kosten deutlich senken. Außerdem können Unternehmen damit den langen Prozess eines Börsengangs vermeiden. Dadurch erhalten sie schneller Zugang zu den Kapitalmärkten.
Gerade der deutsche Kapitalmarkt bietet noch reichlich Potenzial. Alle deutschen börsennotierten Unternehmen zusammen erreichten Ende 2023 eine Kapitalisierung von rund 2,6 Bio. EUR – das ist weniger als der Börsenwert von Apple. Insgesamt macht die Marktkapitalisierung der Börse im Verhältnis zum BIP in Deutschland nur einen Bruchteil dessen aus, was er in den USA darstellt. Der breite Mittelstand nutzt den Kapitalmarkt kaum.
Die Börse bietet gerade dem Mittelstand erhebliche Vorteile, darunter die Möglichkeit, langfristiges Eigenkapital anstelle von Bankkrediten aufzunehmen und damit die Resilienz zu erhöhen und Innovationen zu finanzieren. Zudem entsteht ein geringerer Kontrollverlust, als es in der Regel bei der Aufnahme von Private Equity der Fall wäre. Nach dem Listing haben die Aktionäre die Möglichkeit, Anteile nach und nach zu veräußern, wodurch sie mehr Flexibilität erhalten. Diese Vorteile werden von mittelständischen Unternehmen in Deutschland oft übersehen.
Ein Reverse IPO mildert einige der häufigsten Bedenken in Bezug auf den Kapitalmarkt. Es beseitigt Unsicherheiten hinsichtlich der Kosten, der Bewertung und der zufließenden Mittel. Ein solcher Merger ist zudem deutlich weniger abhängig vom Börsenumfeld.
Prozess eines Reverse IPO
Zunächst muss das private Unternehmen eine geeignete börsennotierte Mantelgesellschaft finden, die bereits an der Börse gelistet ist, bisher keine wesentlichen Geschäftstätigkeiten hat und idealerweise über Finanzmittel verfügt.
Nach dem Erwerb der Mantelgesellschaft erfolgt die Umstrukturierung und Umbenennung. Der Name und das Management der Mantelgesellschaft werden geändert, um die neue Identität des Unternehmens widerzuspiegeln. Anschließend muss das neu gelistete Unternehmen die regulatorischen Anforderungen erfüllen, wie etwa die Veröffentlichung von Finanzberichten sowie die Ad-hoc-Publizität. Nach dem Abschluss der Fusion kann die neu gelistete Firma eine Kapitalerhöhung durch eine öffentliche oder private Platzierung in Betracht ziehen, die zudem flexibel geplant werden kann, um günstige Marktbedingungen zu nutzen.
Voraussetzungen für ein Reverse IPO
Nicht jedes Unternehmen ist für ein Reverse IPO geeignet. Um erfolgreich an die Börse zu gehen, sollte das Unternehmen ein attraktives Finanzprofil und Wachstumspotenzial aufweisen. Zudem sollte sein Geschäftsmodell gut skalierbar sein.
Ein erfahrenes Managementteam ist ebenfalls unerlässlich. Das Team muss auch in der Lage und zudem gewillt sein, mit Investoren transparent zu kommunizieren und hohe Governance-Standards zu erfüllen.
Aktuelle Beispiele: BigRep und Hüttenwerke Königsbronn
Im Jahr 2024 entschied sich die BigRep SE für ein Reverse IPO an der Frankfurter Börse. Auf diese Weise konnte der stark wachsende Hersteller von großformatigen industriellen 3D-Druckern schnell Zugang zu Wachstumskapital erlangen. Damit kann BigRep nicht nur die Umsetzung seiner Buy-and-Build-Strategie finanzieren, sondern auch sein öffentliches Profil schärfen. Als IPO-Sponsor unterstützte die SMG Holding das mittelständische Unternehmen bei der Transaktion und stellte das im regulierten Markt notierte und mit Kapital ausgestattete Börsenvehikel zur Verfügung.
Auch Hüttenwerke Königsbronn (HWK), ein traditionsreiches deutsches Unternehmen, das auf die Herstellung schwerer Kalanderwalzen spezialisiert ist, wählte den Weg eines Reverse IPO, um den Kapitalmarkt zu betreten. Durch die Fusion mit der Mantelgesellschaft Terentius SE konnte HWK die Kosten und Komplexität eines traditionellen Börsengangs minimieren. Das Reverse IPO ermöglicht es HWK, Kapital zur Erweiterung seiner Geschäftstätigkeiten in neue Märkte und Technologien zu beschaffen. Der erfolgreiche Börsengang an der Düsseldorfer Börse zeigt, wie Reverse IPOs auch kleineren Unternehmen strategische Flexibilität und Zugang zu öffentlichem Kapital bieten.
Fazit
Reverse IPOs können auch dem Mittelstand den Weg an den Kapitalmarkt ebnen. Während traditionelle Börsengänge in Deutschland aufgrund der Transaktionsrisiken nur zögerlich in Angriff genommen werden, stellt ein Reverse IPO eine schnellere und sicherere Lösung dar. Da der Kapitalmarkt in Deutschland in Bezug auf IPOs noch immer hohen Nachholbedarf aufweist, sind Reverse IPOs für mittelständische Unternehmen eine Option, um das Potenzial der öffentlichen Aktienmärkte zu erschließen.
*) Jens Hecht, CFA, ist Managing Partner von Kirchhoff Consult GmbH und berät seit über 25 Jahren mittelständische Unternehmen bei der Vorbereitung und Durchführung von Börsengängen sowie in den Bereichen Investor Relations, ESG und Finanzberichterstattung.
**) Dr. Stefan Petrikovics ist Gründer und CEO der SMG Holding AG und seit 15 Jahren als Investor im europäischen Mittelstand aktiv. Seit drei Jahren bietet die SMG Holding als IPO-Sponsor Reverse Merger an und hat im selben Zeitraum Kapitalmarkttransaktionen mit einem Volumen von 800 Mio. EUR erfolgreich umgesetzt.
Dieser Fachbeitrag erschien in der BondGuide-Jahresausgabe „Finanzierung im Mittelstand 2024“ Ende Oktober 2024.