Premierministerin Liz Truss in Rekordkürze am Ende – das britische Theater eröffnet wieder

Liz Truss ist nach nur 45 Tagen als Premierministerin zurückgetreten: Damit geht sie als die am kürzesten amtierende britische Premierministerin in die Geschichte ein. Von Modupe Adegbembo*

Abgesehen von der Länge ihrer Amtszeit wird Truss‘ Premierministerschaft für die ‚Trussonomics‘ in die Geschichte eingehen – das unglückliche Experiment riesiger, nicht finanzierter Steuersenkungen, die als angebotsorientierte Reformen getarnt waren. Das berühmt-berüchtigte Steuerereignis vom 23. September löste wochenlange Turbulenzen in der Politik und auf den Märkten aus und führte schließlich zu Truss‘ Rücktritt.

Die Ablösung von Kwasi Kwarteng durch Jeremy Hunt als Schatzkanzler in der vergangenen Woche trug zwar dazu bei, die Befürchtungen der Märkte zu zerstreuen, aber die scharfe Kehrtwende des neuen Schatzkanzlers in der Politik von Truss machte ihre Position letztlich unhaltbar.

Die gestrigen Ereignisse, darunter der Rücktritt von Innenministerin Suella Braverman, die Ungewissheit über den Status von Chief Whip Wendy Morton und die Kontroverse über die Abstimmung im Unterhaus über Fracking, haben den Verlust der Kontrolle über die grundlegendsten Dinge der Regierung deutlich gemacht und das Unvermeidliche beschleunigt.

Trotz der bedeutenden politischen Auswirkungen der Ereignisse sind wir nicht davon überzeugt, dass sie kurzfristig wesentliche wirtschaftliche Folgen haben werden. Da sich Schatzkanzler Jeremy Hunt selbst aus dem Rennen genommen hat und der Haushalt voraussichtlich am 31. Oktober verabschiedet wird, gehen wir davon aus, dass die britische Regierung den bewährten Weg der finanzpolitischen Orthodoxie weiterverfolgen wird.

Baustellen in der britischen Wirtschaft

Mittelfristig müssen noch umfassendere Probleme gelöst werden, die mit früheren Experimenten zusammenhängen, bei denen wirtschaftliche Realitäten außer Acht gelassen wurden, namentlich die Lösung des Nordirland-Protokolls und die Durchführung des BrExit. Vorerst aber sind die Renditen 10- und 30-jähriger Staatsanleihen aufgrund der aktuellen Ereignisse gesunken.

In ihrer Rücktrittsrede bestätigte die Premierministerin, dass die Partei versuchen werde, innerhalb einer Woche einen Nachfolger zu ernennen, und dass dies bis zum 28. Oktober abgeschlossen sein solle. Vor ihrem Rücktritt war erwartet worden, dass die Wahl des Parteivorsitzenden unter Umgehung der Mitglieder beschleunigt werden würde, doch Sir Graham Brady deutete später an, dass die Parteimitglieder dennoch in den Prozess einbezogen werden, und Berichten zufolge werden die Mitglieder der konservativen Partei über eine Online-Abstimmung zur Wahl treten.

Der Exekutivausschuss von 1922 soll heute Abend zusammentreten, um die Regeln für den Führungswettbewerb zu vereinbaren. Rishi Sunak, Penny Mourdant, Suella Braverman, Ben Wallace und der ehemalige Premierminister Boris Johnson wurden als potenzielle Kandidaten für den Parteivorsitz vorgeschlagen.

… zuletzt nur mit Abgängen in den Schlagzeilen

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels hatte jedoch noch kein Kandidat offiziell seine Absicht bekundet, zu kandidieren. Bei den Buchmachern führt Rishi Sunak die Quoten für die Wahl des nächsten Premierministers an, gefolgt von Penny Mourdant und Boris Johnson.

Eine Schlüsselfrage wird sein, ob einer von ihnen die zunehmend gespaltene Partei vereinen kann – dies könnte ein Schlüssel für den bisherigen Favoriten Sunak sein und wäre sicherlich auch für Johnson der Fall. Der Geist der Geschlossenheit könnte in den kommenden Tagen auch dazu führen, dass ein weiterer Kandidat auftaucht.

Laut Verfassung haben die Konservativen ein Mandat, das sie bis Januar 2025 führt, und es ist schwer vorstellbar, dass einzelne Tory-Abgeordnete dieses Mandat freiwillig aufgeben würden. Die demokratische Legitimität eines neuen Premierministers – des dritten innerhalb von vier Monaten und des zweiten, der sein Amt ohne Parlamentswahlen antritt – wird jedoch fraglich bleiben.

Das parlamentarische System des Vereinigten Königreichs erfordert zwar keine Parlamentswahlen für den Wechsel des Premierministers, aber ein Amtsantritt ohne öffentliches Mandat macht den neuen Premierminister und die Partei angreifbar, insbesondere angesichts des derzeit großen öffentlichen Widerstands.

Chaostage in London

In Anbetracht des historischen Vorsprungs der Labour-Partei gegenüber den Konservativen – in einer aktuellen YouGov-Umfrage lag Labour 28 Punkte vor den Konservativen –, gehen wir weiterhin davon aus, dass es in der konservativen Partei kurzfristig starken Widerstand gegen Neuwahlen geben wird, aber der Führungswechsel könnte die Chance auf vorgezogene Parlamentswahlen bis 2023 erhöhen.

*) Modupe Adegbembo ist G7-Ökonomin bei AXA Investment Managers

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