
Missmut durch Zolldrohungen und Gegenzölle, Kahlschlag im US-Staatsapparat und Einschränkung der militärischen Unterstützung – von Torsten Steinbrinker und Adrian Roestel*
In den kommenden Wochen dürfte der zweijährige Bullenmarkt an den Aktienmärkten durch diese anhaltenden Belastungen auf eine harte Probe gestellt werden.
Wirtschaftspolitische Veränderungen sind mit Anpassungskosten verbunden. Je radikaler sie ausfallen, je langfristiger und unsicherer sie in ihrer Ausgestaltung sind, desto höher sind diese Kosten. Die USA haben einen Anteil von rund 12% am Welthandel, der wiederum ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung ausmacht. Die US-Zollpläne haben daher das Potenzial, erhebliche Schmerzen für Unternehmen zu verursachen.
Nutzt die US-Regierung Zölle lediglich als Druckmittel und reduziert sie rasch wieder, dürften die Wirtschafts- und Kapitalmarktwirkungen überschaubar bleiben. Werden sie jedoch als zusätzliche Einnahmequelle genutzt, bleiben monatelang bestehen oder treffen auf substanzielle Gegenzölle, müssen viele Firmen ihre Lieferketten und Produktionsstandorte überdenken.
US-Stimmung trübt sich ein
Die chaotische US-Wirtschaftspolitik der vergangenen Wochen hat den globalen Index für politische Unsicherheit über seinen Rekordstand während der Covid-19-Panik gehievt. Investitionen, Expansions- und Einstellungspläne werden auf Eis gelegt. Dass ein Großteil der höheren Kosten an die Endverbraucher weitergegeben wird, ist ein Problem für die amerikanische Notenbank. Denn wenn sie mit Zinssenkungen auf eine geringere Nachfrage und steigende Arbeitslosenzahlen reagiert, riskiert sie eine Inflationsspirale.
Zudem zeigte sich im Februar, dass sich die Stimmung der Verbraucher und Unternehmen in den USA bereits massiv eingetrübt hat. Im Einkaufsmanager-Bericht, einem wichtigen Frühindikator, fielen die Auftragseingange drastisch – vom höchsten Stand seit Jahren in den Bereich der Schrumpfung. Gleichzeitig zogen die gezahlten Preise und die Auslieferungen sprunghaft an. Ein klares Zeichen, dass sich die Unternehmen als Vorsorge vor den Zöllen mit Vorräten eingedeckt haben.
Vorziehkäufe waren auch bei den privaten Käufen dauerhafter Konsumgüter zu beobachten. Doch diese Effekte werden sich demnächst umkehren. In Kombination mit den Massenentlassungen der US-Regierung dürfte dies das Wachstum belasten und die Arbeitslosenquote in die Höhe treiben. Die Verbraucher, so zeigen die jüngsten Daten, halten ihre Käufe angesichts der hohen politischen Unsicherheit trotz solide steigender Einkommen zurück.
Chance für europäische Märkte
Während die hoch bewerteten US-Aktienmärkte anfällig für eine solche Abwärtsspirale sind, stehen die Chancen für Europas Aktienmärkte gut, sich in der nahen Zukunft besser als ihre transatlantischen Pendants zu entwickeln. Europas Valoren sind günstiger bewertet, viele Belastungen scheinen weitestgehend eingepreist. Zudem ist Potenzial für positive Überraschungen gegeben, wie ein Waffenstillstand in der Ukraine, die Annäherung Großbritanniens an die EU oder ein Erstarken der chinesischen Wirtschaft. […]
Quintessenz: Europäische Werte sind hinsichtlich des Chance-Risiko-Profils mittelfristig deutlich besser aufgestellt. Wir behalten daher unsere taktische Ausrichtung zu Gunsten Europas und defensiver Sektoren bei.
*) Torsten Steinbrinker ist CEO und Adrian Roestel Leiter Portfoliomanagement der Reichmuth Integrale Vermögensverwaltung AG.
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