
Die LAW Corner aus BG 05-2025 (07. März) Von Dr. Tobias Moser, Partner, und Dr. Fabian Wirths, Associate, beide DMR Rechtsanwälte Moser Degenhart Ressmann PartG mbB, München.
In einem aktuellen Urteil vom 29.11.2024 hat sich das Landgericht Hamburg (Az. 404 HK 024/24) mit der Frage der Übertragbarkeit des Amtes eines gemeinsamen Vertreters befasst. Die Entscheidung des LG Hamburg ist soweit ersichtlich die bisher einzige zu der konkreten Konstellation.
Hintergrund des Falls
Hintergrund der Entscheidung ist die Insolvenz der Rickmers Holding. Diese hatte im Jahr 2013 eine Anleihe in Höhe von 275 Mio. EUR ausgegeben. 2017 geriet das Unternehmen in die Insolvenz.
Im Juni 2017 wurde die One Square Advisors Services GmbH (OSAS DE) als gemeinsamer Vertreter der Anleihegläubiger bestimmt. Im Jahr 2020 wurde die OSAS DE durch einen identitätswahrenden Formwechsel in die One Square Advisors Services GmbH & Co. KG umgewandelt. Persönlich haftende Komplementärin wurde die One Square Advisors GmbH (OSA GmbH), eine Schwestergesellschaft aus der One Square Gruppe, und die in der Schweiz ansässige One Square Advisors Services S.á.r.l. (OSAS Schweiz) wurde zur Kommanditistin der KG.
Ende 2020 schied die Komplementärin aus der KG aus, was zugleich zum Erlöschen der Gesellschaft führte. Alleinige Rechtsnachfolgerin der KG wurde die verbleibende Kommanditisten, die OSAS Schweiz. Zwischen den Beteiligten war umstritten, ob nunmehr die OSAS Schweiz das Amt als gemeinsame Vertreterin der Anleihegläubiger innehatte.
Auf Betreiben einiger Anleihegläubiger fand daher im Februar 2024 eine weitere Gläubigerversammlung statt. Unter Tagesordnungspunkt 3 wählten und bestellten die Gläubiger einen neuen gemeinsamen Vertreter und entschieden unter Tagesordnungspunkt 4 über die vorsorgliche Abberufung der OSAS Schweiz. Gegen diese Beschlüsse erhob die OSA GmbH, die selbst Anleihen der Rickmers Holding hielt, Klage und beantragte, die Nichtigkeit der Beschlüsse festzustellen. Widerklagend beantragte der bei der Rickmers Holding eingesetzte Insolvenzverwalter die Feststellung, dass die OSAS Schweiz nicht gemeinsamer Vertreter war und ist.
Identitätswahrende Umwandlung und Anwachsung
Streng genommen sind zwei Schritte zu unterscheiden: (1) Zum einen der Formwechsel der GmbH in die KG im Jahr 2020 und zum anderen (2) das Ausscheiden der GmbH aus der KG Ende 2020, was zum Erlöschen der Gesellschaft führte.
(1) Für eine Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz – zu der auch der Formwechsel zählt (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 UmwG) – ist anerkannt, dass diese umfassend und einschließlich übernommener Ämter erfolgt. D.h. es findet ein gesetzlicher Rechtsübergang mit dem Ziel statt, die Kontinuität der Rechtsverhältnisse zu gewährleisten (bzgl. der Rechtsnachfolge eines WEG-Verwalteramtes BGH, Urteil vom 21. Februar 2014 – V ZR 164/13). Gleiches gilt in Bezug auf Aufträge, Dienstverhältnisse und Vollmachten, die allesamt auf den Rechtsnachfolger übergehen.
(2) Anders verhält es sich beim Ausscheiden eines Gesellschafters. Juristisch gesehen bewirkt das Ausscheiden keine Umwandlung, sondern eine sog. Anwachsung. Vereinfacht gesagt bezeichnet die Anwachsung einen Vorgang, bei dem ein Gesamthänder aus einer Gemeinschaft ausscheidet und sein Anteil den verbleibenden Gesamthändern ‚anwächst‘.
Im Mittelpunkt der Entscheidung des LG Hamburg stand also die bisher ungeklärte Frage: Ist die Rechtsstellung des gemeinsamen Vertreters kraft Anwachsung übertragbar?
Die Entscheidung des LG Hamburg (404 HKO 24/24)
In seinem Urteil gelangte das LG Hamburg zunächst zu der Feststellung, dass der Beschluss zu TOP 4 nichtig ist und wertete damit die Feststellung einer vorsorglichen Abberufung der OSAS Schweiz zwar als unzulässig. Allerdings stellte das Gericht auf die Widerklage hin fest, dass die OSAS Schweiz nicht als gemeinsame Vertreterin der Anleihegläubiger anzusehen war bzw. ist. Einen Übergang kraft Anwachsung lehnte das Gericht somit ab.
Die Begründung: Die Rechtsstellung des gemeinsamen Vertreters ist als ein von einem besonderen Nähe- und Vertrauensverhältnis geprägtes Amt analog § 673 S. 1 BGB zu qualifizieren. Bei höchstpersönlichen Rechtsverhältnissen wie beispielsweise einen Auftrag, bewirkt der Tod des Auftraggebers (bzw. hier das Erlöschen des Rechtsträgers) im Zweifel das Erlöschen des zugrundeliegenden Auftrags (§ 673 S. 1 BGB). Zwar ließ das LG Hamburg in seiner Begründung dahinstehen, ob das Amt eines gemeinsamen Vertreters als höchstpersönliches Recht zu qualifizieren sei.
Allerdings wertete das Gericht die Situation zumindest als vergleichbar und gelangte daher zur selben Rechtsfolge. Der gemeinsame Vertreter genießt als zentrale Koordinierungsfigur zwischen Gläubigern und Schuldner besonderes Vertrauen und kann seine administrativen und organisatorischen Aufgaben eben nur dann effektiv ausüben, wenn ihm dieses Vertrauen entgegengebracht wird.
Nach dem LG Hamburg seien deshalb die Regelungen des Umwandlungsrechts nicht auf den hier vorliegenden Fall einer Anwachsung zu übertragen, da sich die Anwachsung grundlegend hiervon unterscheide. Anders als bei der Umwandlung, kommt es bei der Anwachsung nicht immer zu einer planmäßigen Übertragung von Vermögenswerten auf Grundlage einer Einigung der Parteien. Das Ausscheiden eines Mitgesellschafters und damit die Folge der Anwachsung können vielmehr auch einen ungewollten Ursprung haben. So beispielsweise beim insolvenzbedingten Ausscheiden eines Gesamthänders.
Diese Zufälligkeit spreche bei einer Amtstätigkeit wie der eines gemeinsamen Vertreters gegen das Gläubigerinteresse und die Selbstbestimmungsrechte der Gläubiger. Schließlich haben die Gläubiger nicht die OSAS Schweiz, sondern eine andere Gesellschaft gewählt. Die Übertragung der Rechtstellung des gemeinsamen Vertreters im Wege der Anwachsung bedeutet daher für die Gläubiger ein nicht unerhebliches Risiko und entspricht nicht im Allgemeinen dem Interesse der Gläubiger – so das LG Hamburg.
Anleihegläubigern steht es zwar frei, jederzeit über eine Abberufung des gemeinsamen Vertreters zu beschließen (§ 7 Abs. 4 SchVG), so dass auch die OSAS Schweiz jederzeit wieder hätte abberufen werden können. Die hanseatischen Richter gewichteten dieses Argument jedoch nicht als ausreichend. Denn eine Abberufung kostet Zeit und Geld und es besteht zumindest die Gefahr, dass in der Zwischenzeit bis zur Abberufung Verfügungen des gemeinsamen Vertreters erfolgen.
Stellungnahme
Nach der Auffassung des LG Hamburg, ist die Position des gemeinsamen Vertreters keine im Wege der Anwachsung übertragbare Rechtsposition. Es lassen sich jedoch auch Gegenargumente ausfindig machen:
Zum einen lässt sich anführen, dass die Tätigkeit des gemeinsamen Vertreters wohl keinen höchstpersönlichen Charakter haben dürfte – ein Aspekt, den das Gericht zwar erkannt, aber in der Begründung letztlich und leider hat dahinstehen lassen.
Höchstpersönlich sind Rechtsgeschäfte bzw. Handlungen, die der Gesetzgeber als dergestalt mit der Person des Handelnden verknüpft ansieht, dass von Gesetzes wegen eine Vertretung ausgeschlossen ist. Gesetzlich geregelte Fälle von höchstpersönlichen Rechtsgeschäften sind beispielsweise die Eheschließung (§ 1311 BGB), Testamentserrichtung (§ 2064 BGB), Erbvertrag (§ 2274 BGB), Erbverzicht (§ 2347 Abs. 2) oder die Unterzeichnung eines Jahresabschlusses (§ 245 BGB). Im Schuldverschreibungsrecht fehlt hingegen eine entsprechende Regelung.
Darüber hinaus sprechen auch die konkreten Aufgaben und Befugnisse eines gemeinsamen Vertreters gegen die Höchstpersönlichkeit und somit gegen die Analogie, wie sie vom LG Hamburg angenommen wurde. Denn die Aufgaben, wie z.B. die Anmeldung von Forderungen zur Insolvenztabelle (§ 19 Abs. 3 SchVG) oder die Geltendmachung von Auskunfts- und Informationsrechten (§ 7 Abs. 5 SchVG), kann der gemeinsame Vertreter uneingeschränkt an Dritte, wie z.B. Rechtsanwälte oder Berater oder auch Mitarbeiter, delegieren. Im Rahmen der Anmeldung von Forderungen zur Insolvenztabelle oder der Teilnahme an insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen wird teilweise sogar von den Gerichten unter Hinweis auf die Prozessordnung (§ 79 ZPO) eine anwaltliche Anmeldung und Vertretung – auch des gemeinsamen Vertreters – verlangt.
Im Ergebnis wird man weitere Entscheidungen oder höhergerichtliche Rechtsprechung abwarten müssen, um zu sehen, welche Argumente mehr Beachtung finden.
Bedeutung für Anleihegläubiger
Auch wenn die Entscheidung konkret nur im Fall Rickmers ergangen ist, kann sie Auswirkungen auf ähnliche Verfahren haben, in denen Anleihegläubiger ihre Interessen durch gewählte Vertreter wahrnehmen lassen. Darüber hinaus wirft die Entscheidung weitere Einzelfragen auf. So ist das Insolvenzgericht nach § 19 Abs. 2 SchVG verpflichtet, eine Gläubigerversammlung einzuberufen, um den Anleihegläubigern die Wahl eines gemeinsamen Vertreters zu ermöglichen, wenn (noch) kein gemeinsamer Vertreter bestellt ist. Unklar ist allerdings, ob diese Einberufungspflicht nur bei erstmaligem Fehlen eines gemeinsamen Vertreters besteht oder z.B. auch dann, wenn das Amt des gemeinsamen Vertreters – wie im Fall Rickmers – nachträglich untergegangen ist. Auch diese Frage bleibt spannend.
Fazit
Das Urteil des LG Hamburg gibt zumindest einen ersten Anhaltspunkt, welche Rechtsauffassung die Gerichte in der vorliegenden Frage vertreten könnten. Über den Einzelfall hinaus entfaltet das Urteil jedoch keine Bindungswirkung. Für Anleihegläubiger bedeutet es nur ein wenig mehr Rechtssicherheit, aber auch die Verantwortung, die Wahl ihres Vertreters sorgfältig zu prüfen. Emittenten, Gläubiger und Insolvenzverwalter müssen sich bewusst sein, dass Umstrukturierungen in der Person des gemeinsamen Vertreters nicht automatisch zur Übertragung von Rechten und Pflichten führen, sondern die konkrete Struktur im Einzelfall berücksichtigt werden muss.
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