Geschäftsleiterhaftung nach dem StaRUG – Shift of Fiduciary Duties

Dr. Christian Becker (li) und Dr. Lutz Pospiech, GÖRG

Law Corner von Dr. Christian Becker, Partner, Dr. Lutz Pospiech, Assoziierter Partner, GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München

Der Entwurf zum Sanierungsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) beinhaltet als Kernstück das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG-E). Durch das StaRUG-E wird nicht nur ein Rechtsrahmen für außerinsolvenzliche, mehrheitsgetragene Sanierungen geschaffen (s. hierzu unseren Überblick in BondGuide #21/2020, S. 45–47 und #22/2020, S. 44–45), das StaRUG-E führt zudem zu einer Verschiebung und Neuausrichtung der Geschäftsführerpflichten in der Krise – und damit zu einem Paradigmenwechsel der Haftung der Geschäftsleiter.

Einrichtung eines Krisenfrühwarnsystems
GmbH-Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder einer AG haben nach § 1 StaRUG-E künftig (i) fortlaufend über Entwicklungen, die den Fortbestand eines Unternehmens gefährden können, zu wachen und (ii) erforderlichenfalls Gegenmaßnahmen zu ergreifen und den Überwachungsorganen unverzüglich Bericht zu erstatten. Das StaRUG-E verpflichtet Geschäftsleiter dementsprechend explizit zur Implementierung eines Krisenfrühwarnsystems und zu einem Krisenmanagement bei erkennbar Werdenden wirtschaftlichen Bedrohungen. Damit sind die Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder verpflichtet, eine rollierende Unternehmensplanung (einschließlich Liquiditätsplanung) von mindestens rund drei Jahren zu führen.

Verschiebung der Geschäftsleiterpflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit
Die zentrale Änderung im Pflichten- und Haftungsregime für Geschäftsleiter stellt die Neuausrichtung der Geschäftsleiterpflichten nach Maßgabe von § 2 StaRUG-E bei Eintritt drohender Zahlungsunfähigkeit dar. Ab diesem Zeitpunkt haben die Geschäftsleiter künftig primär die Interessen der Gläubiger zu wahren und nur nachrangig die der Gesellschafter und anderer Stakeholder; das Gläubigerinteresse verdrängt bei Eintritt drohender Zahlungsunfähigkeit die bis dahin geltende Orientierung am Gesellschafterinteresse (Shift of Fiduciary Duties). Beschlüsse der Überwachungsorgane und/oder anderer Gesellschaftsorgane sind dann für die Geschäftsleiter unbeachtlich, soweit sie der Wahrung der Gläubigerinteressen entgegenstehen (§ 2 II 2 StaRUG).

Foto: © your123 – stock.adobe.com

Der Begriff der „drohenden Zahlungsunfähigkeit“ ist in verschiedenen Krisenstadien relevant. Daher geht der Gesetzgeber im StaRUG-E insoweit von einem „atmenden“ System aus, in dem sich die Handlungspflichten der Geschäftsleiter mit fortschreitender Vertiefung der Krise verdichten: Je näher ein Unternehmen der Insolvenz kommt und das Eigenkapital mithin „aus dem Geld ist“, desto stärker haben die Geschäftsleiter ihr Handeln an den in diesem Stadium vorrangigen Gläubigerinteressen auszurichten.

Da es oftmals mehrere denkbare Sanierungsmaßnahmen geben wird, gilt auch in dieser Krisensituation zugunsten der Geschäftsleiter die Business Judgement Rule. Keine Pflichtverletzung liegt dann vor, wenn ein Geschäftsleiter vernünftigerweise annehmen dürfte, auf Grundlage angemessener Informationen die Interessen der Gläubiger zu wahren (§ 2 I 2 StaRUG-E).

Schadenersatz
Ab drohender Zahlungsunfähigkeit tritt künftig an die Stelle bzw. neben die originäre Organhaftung nach § 43 II GmbHG oder § 93 II AktG eine Haftung gemäß § 3 StaRUG-E bei Verletzung der Gläubigerinteressen nach Maßgabe von § 2 I StaRUG-E. Diese Haftung nach § 3 StaRUG-E soll die Verminderung der den Gläubigern zur Verfügung stehenden Haftungsmasse sanktionieren. Sie umfasst mithin auch eine Haftung für unterlassene Sanierungsbemühungen. Anspruchsinhaber ist die Gesellschaft (Innenhaftung).

Foto: © photobyphotoboy – stock.adobe.com

Sofern Geschäftsleiter nach Anzeige eines Restrukturierungsvorhabens beim Insolvenzgericht gegen die Pflichten des § 2 StaRUG-E zur Wahrung der Gläubigerinteressen verstoßen, haften sie nach § 45 StaRUG-E für schuldhafte Pflichtverletzungen sogar direkt gegenüber den Gläubigern (Außenhaftung). Diese dem Haftungssystem des deutschen Gesellschaftsrechts widersprechende scharfe Außenhaftung steht in der Kritik. Opponierende Gläubiger könnten diese nutzen, um Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern zu drohen, sie mit jahrelangen und existenzbedrohenden Haftungsklagen zu überziehen. Es bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber darauf reagiert.

Fazit
Aufgrund der expliziten Bindung der Geschäftsleiter an die Gläubigerinteressen haben Geschäftsleiter künftig eine mindestens 3-jährige rollierende Unternehmensplanung (einschließlich Liquiditätsplanung) zu führen. Zudem müssen sie in der Krise eines Unternehmens bereits frühzeitig Sanierungsmaßnahmen – insbesondere auch solche nach Maßgabe des StaRuG-E – prüfen, gegeneinander abwägen und umsetzen, auch wenn dies u.U. auf Widerstand der bisherigen Gesellschafter stoßen sollte.

Angesichts des Spannungsfelds von Gläubiger- und Gesellschafterinteressen ist es für die handelnden Geschäftsleiter in der Krise unabdingbar, für eine ausführliche Dokumentation zu sorgen, wie und warum sie von ihrem Handlungsermessen Gebrauch machen und welche Sanierungsmaßnahmen sie im Interesse der Gläubiger einleiten. Dies gilt insbesondere dann, wenn es nach der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens bei dem Restrukturierungsgericht bei einer Außenhaftung gegenüber Gesellschaftsgläubigern bleiben sollte.

Unser
BondGuide Nachschlagewerk ,Anleihen 2020‘ kann ebenso wie unsere vorjährige BondGuide Jahresausgabe ,Green & Sustainable Finance‘ als kostenloses E-Magazin bequem heruntergeladen, gespeichert & durchgeblättert werden.

! Bitte nutzen Sie für Fragen und Meinungen Twitter – damit die gesamte Community davon profitiert. Verfolgen Sie alle Diskussionen & News zeitnaher auf Twitter@bondguide !