Digitalisierung des Schuldscheins: Darlehen künftig nur noch digital und nicht mehr ohne Plattform?

Dabei finden viele Markteilnehmer, dass „anders“ nicht unbedingt „besser“ sein muss: Der Schuldscheinmarkt hat sich mit seiner bisherigen Struktur und der Prägung durch die zentrale Rolle der arrangierenden Banken sehr nachhaltig und äußerst erfolgreich entwickelt. Im klassischen Schuldscheingeschäft sind die arrangierenden Banken vor allem auch qualitätssichernd tätig – und tragen bisher durchaus erfolgreich Sorge dafür, dass (ganz überwiegend) nur „gute Schuldner“ Zugang zum Markt erhalten. Anders im Markt für Mittelstandsanleihen, in dem die Banken als zentrale Akteure teilweise bewusst aus dem Prozess herausgenommen wurden: dort kam es in den letzten Jahren zu deutlich vermehrten Totalausfällen.

Welche Plattformvarianten gibt es?

Entsprechend sind die derzeit im Markt aktiven Plattformen durchaus unterschiedlich betrieben und setzen unterschiedliche Schwerpunkte: So finden sich auf der einen Seite bekannte Namen aus der Riege der arrangierenden Banken, die mit eigenen bzw. von ihnen unterstützten Plattformen auf ihrer Rolle im Markt aufbauen. Ergänzt wird dieses Modell von Plattformen, die sich bewusst als offenes Angebot für eine Vielzahl von Arrangeuren verstehen. Die dritte Säule bilden schließlich Plattformen, die – entweder als Ergänzung oder sogar ausschließlich – Transaktionen bewusst ohne Arrangeure fördern wollen.

Wo geht die Reise hin?

Welche Modelle erfolgreich sein und welche Errungenschaften der Plattformen den Markt nachhaltig beeinflussen werden, bleibt spannend zu beobachten. Bis dahin haben die Plattformen und ihre Betreiber noch eine Reihe von Herausforderungen zu meistern.

Zu viele Plattformen im Markt ohne ausreichende Teilnehmer würden sich letztlich selbst behindern und keinem auf Dauer das Überleben ermöglichen. Eine zentrale Frage ist daher, wo sich am schnellsten und nachhaltigsten genug Geschäft konzentriert.

Die mögliche Neuaufteilung oder sogar die Prägung ganz neuartiger Rollen im Rahmen einer Schuldscheintransaktion kann auch neue aufsichtsrechtliche Fragen aufwerfen, deren Beantwortung für das Gelingen der Plattformidee mitentscheidend sein kann: Übernimmt beispielsweise eine Nichtbank bestimmte Aufgaben einer Bank, kann dies unter Umständen auch eine (neue) Banklizenz erfordern; werden bisher üblicherweise „im Paket“ erbrachte Leistungen neu aufgeteilt, können möglicherweise mehrere Lizenzen erforderlich sein.

Olver Dreher, CMS

Oliver Dreher, CMS

Letztlich stellt sich auch bei Schuldscheinplattformen die Frage, ob wirklich alles, was technisch umsetzbar wäre, auch praktisch sinnvoll ist: Teilnehmer von Schuldscheintransaktionen legen in der Regel Wert darauf, dass ihre Deal-Konditionen vertraulich bleiben. Plattformen, die eine falsch verstandene „Markttransparenz“ zur Folge hätten, indem sie etwa den Rückschluss auf individuelle Klauseln zulassen würden, sind daher für die meisten nicht erstrebenswert. Außerdem ist die rechtliche Ausgestaltung der Vertragsposition der Investoren in ein Schuldscheindarlehen nicht zuletzt für deren Bilanzierung dieser Position entscheidend. So sind Schuldscheindarlehen üblicherweise im bilanziellen Sinn illiquide Vermögenswerte – dies zu ändern, darf jedenfalls kein unerwarteter Nebeneffekt einer Plattformlösung sein. Die technische und rechtliche Ausgestaltung von Schuldscheinplattformen muss solche und andere wichtige Eigenschaften des Schuldscheins unterstützen, wenn diese dem Schuldscheinmarkt wirklich nutzen sollen.

*) Oliver Dreher ist Partner der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS in Deutschland. Er berät deutsche und internationale Banken und Unternehmen in Fragen des Fremdkapitalmarktrechts. Schwerpunkte seiner Praxis sind strukturierte Finanzprodukte, Produkte für institutionelle Investoren und strukturierte Emissionsprogramme. Seine Expertise erstreckt sich zudem auf die Beratung zu Unternehmens-, Bank- und Staatsanleihen, Schuldscheindarlehen, Namensschuldverschreibungen und Derivate.