Die Klimakatastrophe ist keinesfalls abgeblasen

Das Hier und Jetzt ist den Menschen weiterhin wichtiger als eine drohende Klimakatastrophe in der nahen oder ferneren Zukunft – wir sind zu langsam. Von Dieter Wermuth*

Man sollte es nicht meinen: Wie die International Energy Agency (IEA) berichtet, haben die Subventionen für den Verbrauch fossiler Energie im vergangenen Jahr mit rund 1 Bio. USD einen neuen Rekord erreicht; das sind etwa 1% des globalen BIP, doppelt so viel wie 2021 und beinahe fünfmal mehr als im Jahr 2020.

Auf der Glasgower Klimakonferenz COP26 waren die Regierungen im November 2021 noch aufgefordert worden, „… solche ineffizienten Subventionen Schritt für Schritt zu beseitigen, dabei aber arme und wehrlose Menschen (finanziell) zu unterstützen“. Der steile Anstieg der Gas-, Benzin- und Strompreise im Gefolge des Ukrainekriegs hatte jedoch die Kaufkraft der ärmeren Bevölkerungsschichten und die Geschäftsmodelle energieintensiver Unternehmen so sehr beeinträchtigt, dass die Regierungen, einschließlich der deutschen, keine Wahl zu haben glaubten, als durch Preisdeckel und Einkommenstransfers das Schlimmste zu verhindern, de facto also das Verbrennen fossiler Energieträger zu fördern.

Es gibt zwar einen breiten Konsens, dass die Emission von Treibhausgasen durch die ständige Verteuerung von Gas, Erdöl und Kohle vermindert werden muss, es hat sich aber wieder einmal gezeigt, dass das nicht zu schnell gehen darf, weil die Bevölkerung nicht mitmacht, wenn die reale Kaufkraft zu stark sinkt und Arbeitsplätze verlorengehen. Wie es aussieht, haben Strukturwandel und Klimaschutz zurückzustehen, wenn es ans Eingemachte geht. Das Hier und Jetzt ist den Menschen wichtiger als eine drohende Klimakatastrophe in der nahen oder ferneren Zukunft.

Im vergangenen, konjunkturell guten Jahr haben die CO2-Emissionen daher global einen neuen Höchstwert erreicht (schätzungsweise 41 Mrd. Tonnen). Da China, Indien und die übrigen Schwellenländer, auf die 85% der Weltbevölkerung entfällt, weiterhin einen energieintensiveren Lebensstandard anstreben, wird es noch für einige Jahre immer neue Rekordwerte geben. Die Pariser Klimaziele werden nur schwer zu erreichen sein.

Auf längere Sicht sieht es allerdings nicht so schlecht aus, zumindest in Teilbereichen. Der Anteil der Erneuerbaren an der Bruttostromerzeugung der Welt ist in den vergangenen zehn Jahren mehr oder weniger stetig von weniger als 20 auf zuletzt 29% gestiegen und wird bis 2030 vermutlich etwa 40% erreichen, Folge des technischen Fortschritts, staatlicher Förderung und der Fahrt aufnehmenden Massenproduktion von Wind- und Solaranlagen. Der Trend wird sich fortsetzen, ist aber im Vergleich zu dem, was nötig ist, nicht steil genug.

Eine andere gute Nachricht betrifft Elektroautos. Die Zulassungszahlen sind in den letzten Jahren global mit hohen zweistelligen Raten gestiegen und der Anteil an den Gesamtzulassungen von PKWs hat sich von 2% im Jahr 2018 auf etwa 11% im Jahr 2022 erhöht. Die IEA rechnet damit, dass er bis 2025 auf 17%, und bis 2030 auf 25% steigen wird – dann dürfte der Bestand an Elektroautos 200 Mio. erreichen, was eine Erhöhung um das Elffache gegenüber dem Stand heute bedeutet. In Deutschland lag der Anteil der Elektroautos an den Neuzulassungen im Übrigen bereits im vergangenen Jahr bei 31,4% und war damit weit höher als in China und, vor allem, viereinhalbmal so hoch wie in den USA. Kein Land hat einen so großen Nachholbedarf wie Amerika.

Um die Zahlen mal in den passenden Kontext zu bringen: Wenn alle PKWs eines Tages elektrisch wären und alle Menschen dieser Erde so viele Autos besäßen wie zurzeit in der OECD, müsste der Bestand an Elektroautos angesichts einer Weltbevölkerung von 8 Mrd. auf 4 Mrd. Stück steigen, was noch einmal eine Verzwanzigfachung gegenüber dem Prognosewert für 2030 bedeutet. Es wird so nicht kommen, denn simple Extrapolationen sind keine seriöse Wissenschaft, aber es lässt sich mit einiger Sicherheit wohl trotzdem sagen, dass die Elektrifizierung des Verkehrs erst am Anfang steht. Wir haben es mit einer Wachstumsindustrie zu tun.

Eine Klimakatastrophe lässt sich nach Ansicht der meisten Klimaforscher jedoch kaum vermeiden, wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen. Dafür sind nicht zuletzt die Fortschritte in der Industrie, im Gebäudesektor und in der Landwirtschaft viel zu gering. Ich setze allerdings darauf, dass sich die Dinge deutlich beschleunigen werden, wenn die Klimaverschlechterung tatsächlich eines Tages auch in den reichen Ländern zu existenziellen Problemen führt. Hoffentlich ist es dann nicht bereits zu spät.

Dieter Wermuth

*) Dieter Wermuth ist Economist und Partner bei Wermuth Asset Management

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