China: Aufschwung bleibt ein Rätsel – was ist da los?

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Auf der ganzen Welt führte die Wiederbelebung der Volkswirtschaften nach COVID-19 zu wirtschaftlichen Aufschwüngen – überall, außer in China. Was ist da los?

Man muss einräumen, dass nach dem Ausstieg aus der Null-Covid-Politik Ende 2022 eine leichte Erholung festzustellen war. Der offizielle zusammengesetzte Index der Wirtschaftstätigkeit stieg von einem Tiefststand bei 42,6 Ende Dezember bis Ende März auf 57, was ein sehr hohes Niveau ist.

Zudem belief sich das BIP-Wachstum im ersten Quartal 2023 auf 2,2% (nicht annualisiert). Dies ist eine gute Entwicklung, sowohl im Vergleich zu dem durchschnittlichen Quartalswachstum von 1,2% in den drei von der Coronapandemie geprägten Jahren, als auch im Vergleich zu den in den fünf Jahren vor der Pandemie erzielten 1,7%.

Höhepunkt des Aufschwungs in China schon vorbei?

Doch diese guten Nachrichten verschleiern weniger schillernde Tatsachen – von geostrategischen Aspekten ganz zu schweigen. So wird sich den Schätzungen von Bloomberg zufolge das BIP in diesem Jahr trotz des derzeitigen Aufschwungs voraussichtlich nur auf 5,7% belaufen, was noch unter dem langfristigen Trend von vor 2020 liegt. Des Weiteren ist die Verteilung des Aufschwungs zwischen dem fertigenden Gewerbe und dem Dienstleistungssektor sehr ungleich.

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Der offizielle Index für die Wirtschaftstätigkeit außerhalb des Fertigungssektors liegt bei 55,1, doch das verarbeitende Gewerbe selbst kommt nur auf 49,2. Noch entscheidender ist allerdings, dass beide Indizes rückläufig sind, denn im März lagen sie noch bei 56,9 bzw. 51,9. Der Höhepunkt des Konjunkturaufschwungs scheint – zumindest vorläufig – bereits hinter uns zu liegen, obwohl der Tiefpunkt erst im Dezember erreicht worden war.

Dass dieser Aufschwung in China auf wackligen Beinen steht, bestätigen auch andere Daten wie zum Beispiel die Immobilienpreise. Sie sind der Hauptmotor des chinesischen Wohlstands, mussten aber über das gesamte Jahr 2022 hinweg Rückschläge hinnehmen, was den vollständigen Zusammenbruch führender Immobilienentwickler zur Folge hatte. Zudem kam es aufgrund der Unzufriedenheit der Eigentümer zu sozialen Unruhen, was in China eher selten ist.

Ihr guter Start in das neue Jahr wurde mittlerweile gebremst. So stieg der Index für neue Wohngebäude in den 70 größten Städten des Landes im April nur um 0,32%, während es im Vormonat noch 0,44% waren. Auch mit Blick auf die Solidität der Immobilienkonzerne ist Vorsicht geboten. Dies zeigt sich etwa an der dritten Verschiebung des Börsengangs der Immobiliengesellschaft Zhuhai Wanda Commercial Management Group, eine Tochtergesellschaft des Mischkonzerns Wanda Group.

Zurückhaltende Geld- und Wirtschaftspolitik

Im Rahmen seiner Sitzung Ende April reagierte das Politbüro der kommunistischen Partei Chinas prompt auf diese Instabilität. Es stellte fest, dass der Aufschwung zwar deutlich erkennbar, aber unzureichend sei. Es bedürfe weiterer Anstrengungen, um den Konsum zu festigen, die Arbeitslosigkeit unter der jungen Stadtbevölkerung, die bei fast 20% liegt, zu verringern und den Immobilienmarkt zu stärken.

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Trotz alledem kündigt das Politbüro keine neuen Anreizmaßnahmen an. Dasselbe Zaudern ist bei der Zentralbank zu beobachten, von der eine Lockerung der Geldpolitik erwartet wird. Diese bleibt jedoch weiterhin aus, obwohl die Voraussetzungen günstig sind: Die Kerninflation bleibt mit 0,7% gedämpft. Solange es keinen echten Konjunkturanreiz gibt, wertet der Yuan weiter ab, obwohl die Zentralbank sich bemüht, den Verfall der Währung mittels offizieller Kursfestsetzungen aufzuhalten.

Weg der Mitte

Der Aktienmarkt spiegelt diese Zwiespältigkeit der wirtschaftlichen Lage wider. Trotz der Prognosen eines starken Wachstums für 2023, das laut IWF fast ein Drittel des weltweiten Wachstums ausmachen dürfte, liegen die von den wichtigsten chinesischen Indizes verzeichneten Wertentwicklungen seit Jahresbeginn quasi bei null. Alle Indizes der westlichen Welt bewegen sich hingegen im positiven Bereich, obwohl dort mit deutlich schwächerem Wachstum gerechnet wird.

Olivier de Berranger

Diese Zwiespältigkeit ist der Schlüssel zu des Rätsels Lösung. Das Reich der Mitte bleibt seinem Namen treu und pendelt sich irgendwo zwischen Aufschwung und erneutem Einbruch, zwischen reichem und armem Land, zwischen Welt- und Regionalmacht und zwischen Moskau und Washington ein. Der Weg der Mitte, so heißt es dort, führt zum Erwachen.

*) Olivier de Berranger ist CIO bei LFDE

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